Jo's DreamA bike. A tent. A year.

Archive - 2024

Von New Carlisle nach Percé, Québec

Was für eine schöne Nacht! Ich liege im Schlafwagen, erster Klasse. Draußen rollt die See sanft gegen das Ufer, welches nur wenige Meter entfernt liegt. Noch bin ich nicht wach. Aber die Gedanken an den platten Reifen wecken mich auf. Und um kurz nach 8.00 Uhr ist der Reifen geflickt. Schnell ist alles Werk- und Flickzeug verstaut, die Fahrradtaschen angehängt, und das Rackpack festgezurrt.

Ich schwinge mich aufs Rad und hab schon wieder einen Platten. Also alles von vorn. Guy hatte mir einen anderen Flicken gegeben. Ich probiere ihn aus. Alles ist wieder am Fahrrad verstaut. Ich schließe die Tür, steige aufs Rad und gleich wieder ab. Erneut ist der Reifen platt und mir reißt der Geduldsfaden. Ich nestle einen Ersatzschlauch aus der Packtasche hervor. Der ist schnell eingebaut. Mit Guy’s Standpumpe checke ich erneut den Reifendruck. Diesmal hält der Reifen die eingepresste Luft.

Es ist bereits 11.00 Uhr, als ich endgültig aufbreche. Ich habe Rückenwind, der mich gut vorwärts bringt.

Zwei Stunden später wechselt der Wind. Mal kommt er von rechts, dann wieder von links und in launigen Momenten stemmt er sich frontal gegen meine Schultern. Böig, bellend, beißend. Trotzig fahre ich weiter. Einzig die Sonne brennt den ganzen Tag. Sind es morgens noch angenehme 14°C, steigt die Temperatur im Laufe des Tages stetig und erreicht am Nachmittag vorübergehend 26°C. Der Wind bleibt kühlt.

Die Straße ist den ganzen Tag gut zu befahren. Der Asphalt sauber, weiter Schultern, auf denen es sich gut radeln lässt. Die Strecke entlang der Küste größtenteils flach, mit wenigen moderaten Steigungen.

Wenige Dörfer reihen sich entlang der Küste. Dazwischen eine lockere Bebauung. So das die Küste über weite Strecken in privater Hand und ohne Weiteres nicht zugänglich scheint. Allerdings gibt es in fast regelmäßigen Abständen kleine öffentliche Parkplätze. Gut ausgestattet und fast immer seeseitig gelegen.

Der Autoverkehr ist erträglich. Besonders außerhalb der Ortschaften wird es ruhig. Und so bleibt nur der Wind, mit dem ich streite.

Von den Brücken, die sich regelmäßig über die Täler spannen, habe ich immer wieder schöne Aussichten Richtung Meer. Der Wald hat sich verändert. Laub- und Nadelbäume teilen sich den Raum, durchsetzt von abgestorbenen, stehengebliebenen Baumstämmen, totes Geäst bedeckt den Waldboden. Ihre Kronen, oftmals zerzaust und längst nicht mehr so hoch hinausragend. Aber immer noch voller sattem Grün. Hier und da Windbruch.

Gelegentlich haben Biber einen Damm errichtet und tragen so aus purem Eigennutz zum lokalen Waldsterben bei.

Die Strände sind meistens lang und schmal. Bedeckt von grobem Sand, Geröllen und Gestein. Begrenzt von einen Festlandssockel, an dessen Kante das Meer ständig nagt. Fast überall liegt nacktes, blasses, bleiches, in der Sonne dennoch leuchtendes Treibholz am Strand.

Und gelegentlich sehe ich kleine Hafenanlagen. Ausgangspunkt für die lokale Lobsterfischerei. Sie sind oftmals so klein, dass wenige Boote bereits für Überfüllung sorgen.

Gegenüber der Ile Bobaventure liegt mein heutiges Etappenziel Percé. Ein Quartier habe ich nicht. So geht es erst einmal in den Ort. Auffallend viele Touristen. Percé ist wohl beliebt wegen seiner malerischen Küste. Und wo es malerisch ist, ist es auch teuer.

Ich versuche mein Glück auf drei Campingplätzen zu finden. Platz ist noch da, zwischen unzähligen, teils riesigen Wohntrailern. Der Preis für eine Nacht liegt aber über 40 kanadische Dollar. Das ist mir einfach zu viel. Entgegenkommen zeigt keiner. Geschäft ist Geschäft. Und so stehe ich nach Sonnenuntergang immer noch ohne Quartier auf der Straße.

Da es zwischen Percé und Gasbé verboten ist, am Strand zu schlafen, muss ich eine andere Lösung finden. Im Ort wird das nichts. Also fahre ich auf der Route 132 weiter. Kurz hinter dem Ortsausgang Richtung Norden ein steiler Anstieg, den ich nur schiebend bewältigen kann. Eine kurze Verschnaufpause. Ich schau mich um und entdecke eine Werbetafel.

In der Auffahrt zum Grundstück spreche ich eine strahlende, lachende Marie Julie an. Sofort ist sie bereit. Lebhaft erzählt sie von ihrem kleinen Paradies, das sie sich selbst, eigenhändig erschaffen hat.

Voller Phantasie, voller Lebensfreude, voller Tatendrang führt sie mich durch Atelier und Wohnbereich. Und während ich mein kleines Zelt in malerischer Umgebung aufbaue, bereitet sie mir ein leckeres Abendmahl.

Marie Julie berichtet aus ihrem Leben. Ihr Elternhaus hat sie im Laufe der Jahre nach ihren Vorstellungen umgestaltet und erweitert. So kann sie ihrer künstlerischen Tätigkeit ungehindert nachgehen. Gegen 22.00 Uhr beenden wir beide den Tag. Eigentlich will ich noch etwas an meinem Blog schreiben. Aber ich bin zu müde.

Gute Nacht…

Von New Richmond nach New Carlisle, Québec

Ich bin früh wach. Bruce ist bereits in der Küche und hat mir die Zutaten zu einem Frühstück zusammengestellt. Porridge mit Datteln, Mandeln, Rosinen, frischen Blaubeeren, einer Banane, Ahornsirup und selbstgemachter Erdbeermarmelade. Ein Genuss. Schon kurze Zeit später bin ich auf der Straße. Noch sind es angenehme 25°C. Und die Temperaturen sollen heute nochmals Bestwerte erreichen. Bis New Carlisle sind es gut 50 km. Das müsste vormittags zu schaffen sein.

Bereits nach 20 km habe ich die nächste Reifenpanne. Wieder suche ich ein schattiges Plätzchen und wieder bereitet mir die Hausherrin, die ich auf meiner Suche anspreche, große Freude. Sie reicht mir Obst und Wasser, während ich den Reifen flicke.

Die selbstklebenden Pads scheinen nicht so gut zu kleben. Trotzdem versuche ich, die bereits geflickte, jetzt wieder luftdurchlässige Stelle zu flicken. Mal sehen, ob es hält. Eine halbe Stunde später steige ich aufs Rad und fahre mit kräftigem Rückenwind, der den ganzen Tag anhalten wird, gen Osten.

Ein Fluss mündet ins Meer und in seinem Mündungsbereich hat sich einiges an Treibholz angesammelt. Ich komme zügig voran. Die Strecke ist größtenteils flach. In Bonaventura fahre ich einen Bikeshop an und korrigiere den Reifendruck. Der Flicken hält.

Die örtliche Kirche mit ihrem silbernen Dach reflektiert das Sonnenlicht so stark, dass ich die Augen zukneifen muss.

Der kleine Jachthafen mit angrenzendem Campingplatz zieht für kurze Zeit meine Aufmerksamkeit auf sich.

Obwohl bestes Wetter, sehe ich nur wenige Menschen entlang des kilometerlangen Strandes, was mich erstaunt.

Und die letzten Kilometer zu meinem Gastgeber führen mich über Schotterwege und einen langen, hölzernen Bordwalk in Dünenlandschaft zu einem roten Haus. Ich komme von der Seeseite und bin verblüfft bis freudig überrascht. Da hat sich jemand ein Paradies erschaffen.

Das Heim meiner heutigen Gastgeber besteht aus stillgelegten Eisenbahnwaggons, die im Laufe der Zeit modifiziert und deutlich erweitert wurden.

Mein Heim für heute Nacht befindet sich in einem weiteren Waggon. Für mich ist besonders faszinierend, mit wie viel Liebe, Lebens- und Experimentierfreude mein Gastgeber Guy zusammen mit seiner Frau Ann dieses Paradies geschaffen hat.

Die vorhandenen Waggons wurden im Laufe der Jahre immer weiter den persönlichen Bedürfnissen angepasst. Dabei fällt auf, dass das Holz im Wesentlichen nicht weiter behandelt wurde. Keine Tapeten schmücken die Wände. Keine Farben oder Lacke verhindern die Sicht auf die Oberflächen des verwendeten Baumaterials Holz in seiner schönsten Form. Hier darf es sich zeigen und weiterleben. Integraler Bestandteil der Lebenswelt zweier wunderbarer Menschen.

Guy führt mich herum, zeigt mir die Räume und erzählt ihre Geschichten.

Allein die Zuwegung von der Strandseite ist bemerkenswert. Da scheint sich ein zweiter Robinson Crusoe sein Reich geschaffen zu haben.

Guy, erzählt, dass er fast 30 Jahre brauchte, um dieses Juwel zu erschaffen. Nichts wurde gekauft. Alle Zutaten trieb das Meer an Land. Er brauchte nur einzusammeln und mit viel Kreativität zusammenzufügen, was bereits am Zerfallen und Vergehen war. So gibt er Dingen eine neue Funktion und füllt sein Leben mit unglaublich viel Freude.

Während Guy mich herumführt, ist Ann nicht untätig geblieben. Ein aromatischer Begrüßungstee löscht meinen Durst. Und später werden Beide das leckere Abendmahl bereiten. Gegessen wird auf der Terrasse mit Blick aufs Meer. Ich hoffe, es war nicht unhöflich. Aber mein Hunger war groß und der Appetit sein verlässlicher Begleiter. Am Ende ging nur leeres Geschirr zurück in die Küche.

Zwischen alledem hatten wir viel Zeit für Unterhaltung. Und ich stellte fest, dass ihre Sicht auf die Gestaltung ihres Lebens viele Ähnlichkeiten zu unserem Lebenplan aufweist. Das machte es mir leicht und je länger gemeinsame Zeit andauerte, desto vertrauter wurden mir meine Gastgeber.

Beide werden morgen früh aufbrechen zu einer Fahrtadtour. Ein kleines Fachgespräch über die richtige Regenjacke bringt mich einen riesigen Schritt weiter. Ich bin dankbar und kann Guy bei der Montage einer Ortlieb Lenkertasche helfen.

Und am Ende des Tages führt mich Guy noch ein paar hundert Meter durchs Gelände zu seinem weiteren Grundstück und zeigt mir das dortige kleine Holzhaus. Komplett selbstgebaut. In der Bauphase gab es nicht einmal Strom. Heute ist das kleine Häuschen bestens ausgestattet. Guy produziert den Strom selbst. Warm- und Kaltwasser sind vorhanden. Die sanitäre Einrichtung verströmt keinen unangenehmen Duft. An alles wurde gedacht.

Das Haus steht inmitten einer flachen Zone, die in den vergangenen Jahrzehnten an dieser Stelle vom Meer gebildet wurde. Guy kann also sagen, dass die Größe seines Grundstücks im Laufe vergangener Jahrzehnte deutlich gewachsen ist. Und dieses neue Land lässt Guy so sein, wie es die Natur geschaffen hat. Dabei ist er ein ständiger Beobachter, der die stetigen Veränderungen der Landschaft mit großer Begeisterung registriert und alles Geschehen lässt, ohne einzugreifen.

All das begeistert mich und ich könnte Tage an diesem Ort verweilen. Da Ann und Guy bereits um 6 Uhr zu ihrer Fahrradtour starten wollen, verabschieden wir uns bereits heute Abend voneinander. Ein unvergesslicher, wunderschöner Tag geht zuende. Und morgen früh heisst es für mich erneut: Reifen flicken. Ich wette, es ist dieselbe Stelle. Still und dankbar, Gast bei Ann und Guy zu sein, lächele ich in mich hinein. Und bin gespannt, was mir der morgige Tag bringen wird.

Und während hier das Licht erlischt, geht an anderer Stelle ein Licht auf und fährt gemächlich durch diese ruhige Nacht.

Von Escuminac nach New Richmond, Québec

Eine ruhige Nacht liegt hinter mir. Nun weckt mich ein fröhliches Vogelkonzert und mahnt zum Aufstehen. Schnell sind alle Sachen gepackt. Noch schneller sind die Moskitos, die mich immer wieder attackieren. Erst als ich aufs Rad steige, hat der Spuk ein Ende.

Escuminac Campground ist ein geschlossener Platz. Die übliche Campingplatz Ausstattung fehlt. So fahre ich verschwitzt und ungewaschen los. Lediglich das Zähneputzen ist mir wichtig. Ich komme gut voran. Irgendwo auf halbem Wege eine Baustelle. Also warte ich, bis die Schranke sich hebt.

Ich bin keine 10 Meter gefahren, da zischt es ganz ordentlich und ich habe einen Platten. Die Sonne hat die Wolken bereits verbrannt. Und nun attackiert sie auch mich. Ich schiebe das Fahrrad in eine private Auffahrt und frage an, ob ich im schattigen Carport mein Fahrrad reparieren kann. Mittlerweile sind es 34°C. Ich darf und bekomme zusätzlich einen Becher Kaffee, Kekse und Obst gereicht. In aller Ruhe flicke ich den Hinterrad-Reifen.

Die Strecke entlang der Küste verläuft relativ flach. So komme ich gut voran, wenn nicht diese Hitze wäre. Und schon nach wenigen Kilometern suche ich für ein par Minuten Schutz vor der sengenden Sonne.

Ein Aussichtsturm, in der Ferne. Eine Skulptur in der Nähe und ein in der Sonne blinkendes Dach sorgen für Abwechslung entlang der Route 132.

Die Schulter der Straße ist genauso breit, wie die Fahrspur für die Autos.

Während sich an anderer Stelle Treibholz angesammelt hat und den ohnehin schmalen Sandstreifen entlang des Ufersaums weiter einengt.

Kurz vor Dem kleinen Ort Maria stoppt plötzlich ein ein SUV, ein Mann steigt aus und deutet mir winkend, anzuhalten. In einem kurzen, freundlichen Gespräch erfahre ich, dass er der Ehemann meiner Gastgeberin ist, bei der ich vom 20. auf den 21. Juni übernachten werde. Mit meinen roten Taschen war ich ihm aufgefallen. Sie freuen sich schon auf meinen morgigen Besuch. Und natürlich kommt auch bei mir große Freude auf. Dann fährt er weiter und ich steuere Gesgapepiag, Québec an.

Auf einer Wiese entdecke ich mehrere Tipis. Irgendwo wird Rustikales Camping auf diesem Campground angeboten. Noch sind alle Zelte leer. Es wird nicht lange dauern, bis sich die Tipis füllen werden.

Ich radle weiter. Bereits in New Richmond angekommen, nenne ich dem Briefzusteller den Namen meines heutigen Gastgebers. Er beschreibt mir den Weg und deutet noch auf ein anderes Haus. Dort drüben wohnt eine Dame aus Deutschland. Da ich sehr früh dran bin, klopfe ich bei der Dame an.

Eine junge Frau öffnet und nachdem wir uns einander vorgestellt haben, bittet sie mich ins Haus. Bei frischem Obst und viel Wasser unterhalten wir uns angeregt. Ihr Sohn Emilio bastelt mir währenddessen mit großer Freude ein Herz, fügt seinen Namen und einen kleinen Anhänger hinzu und fertig ist das kleine Geschenk für mich. Emilio spricht ebenfalls deutsch. Und so fällt es mir deutlich leichter, zu kommunizieren

Sophie erzählt ein wenig aus der Vergangenheit, wie sie kanadische Bürgerin wurde. Eine schöne Geschichte und ich lausche interessiert. Ihr Mann Christian kommt noch hinzu und beteiligt sich freundlich an unserem Gespräch. Nach einer Stunde verabschiede ich mich. Die Familie macht mir noch ein weiteres Geschenk. Zwei Hände voll Nussriegel mit Schokolade. Was für eine Gastfreundschaft! Und zuletzt weisen sie mir ebenfalls genau den Weg zu meinem heutigen Gastgeber. Sophie erzählt noch, dass er für die Kinder des örtlichen Kindergartens ein Held ist, der die Möglichkeit für die Kinder geschaffen hat, über seinen privaten Zugang zum Strand zu gelangen.

Nach gut einem Kilometer habe ich meinen Gastgeber erreicht. Ich bin sicher, an die richtige Tür zu klopfen. Hat mein Gastgeber Bruce doch eine kleine Nachricht für mich hinterlassen, in welcher er mich namentlich anspricht.

Wir verbringen einen wundervollen späten Nachmittag und Abend. Bruce ist ein hervorragender Gastgeber und Koch. Und während die Waschmaschine läuft und meine verschwitzten Sachen reinigt, sind wir beide schon in intensive Gespräche vertieft. Er zeigt mir Fotos seiner engsten Familie. Und wir unterhalten uns über Politik, Familie, Gesellschaft und was mich zusätzlich erfreut: über das Sammeln von Mineralien und Gesteinen. Ich bin begeistert.

Mir gelingt es immer besser, mich in die Gespräche einzubringen. Langsam weicht meine Scheu, zu sprechen. Und ich fange wieder an, eigene Sätze zu bilden. Da Bruce ein sehr geduldiger Zuhörer ist und sich sehr bemüht, die Sätze so zu verpacken, dass ich sie verstehe, wird es für mich ein toller Abend.

Spaghetti mit würziger Fleischsoße. Eine Riesenportion Eis mit selbst hergestellter Erdbeermarmelade, Blaubeeren und Ahornsirup. Wasser, Wein und Sirup. Und auch hier begeistert mich die Gastfreundschaft. So dass ich am Abend mit großer Dankbarkeit zu Bett gehe. Ich danke allen, die mich durch den heutigen Tag begleitet haben.

Von Pointe Verte, New Brunswick nach Escuminac, Québec

Es war eine unruhige Nacht. Gegen 3 Uhr setzten plötzlich dröhnende Motorengeräusche ein. So laut, dass an Schlaf nicht mehr zu denken war. Also krabbelte ich aus dem Zelt und lief runter zum Strand.

Draußen vor der Küste ernteten mehrere Fischerboote Lobster. Wie sie das machen, weiß ich nicht. Dabei verursachen die Boote diesen Höllenlärm. Wegen des heißen Wetters flüchten die Tiere wohl vor dem warmen Wasser und sammeln sich hier wenige hundert Meter direkt vor dem Strand in kalter Meeresströmung.

An Schlaf war nicht mehr zu denken. Also genoss ich den anbrechenden Morgen am Strand. Statt Herumstochern im Lagerfeuer, zeichnete ich mit einem Stock Formen in den kiesingen, groben Sand. Bei nachlassendem Lärm legte ich mich gegen 6 Uhr wieder hin und döste vor mich hin.

Um 7 Uhr dann laute Stimmen und Lärm zweier Rasenmäher, der jedoch abruppt erlischt. Und auch mein letzter Versuch, ein wenig zu schlafen, scheitert. Um 8 Uhr wird der Rasen rund um mein Zelt gemäht. Ich stehe auf einem Spielplatz und die Arbeiter haben die Aufgabe, diese Fläche zu mähen. Ein kurzes Gespräch, sie sind freundlich und nehmen Rücksicht.

Von meinem Lagerplatz aus kann ich die Rückkehr eines dieser Lobster-Lärm-Boote beobachten. So mache ich mich auf den Weg. Über die Rue du Quai erreiche ich das kleine Hafenbecken, wo ich dem Treiben der Fischer zuschauen kann.

Auf mein Bitten wird eine der Boxen geöffnet, in denen der Fang für den Weitertransport und -verkauf bereits verpackt ist und hält geschickt einen Lobster vor die Kamera.

Ich frage, ob ich solche Tiere auch am Strand fangen könnte und erfahre, dass alle 6 bis 7 Jahre ein solches Ereignis ansteht. Dazu müssen allerdings drei Faktoren zusammenkommen. Eine besonders hohe Tide, ein starker Ostwind und Schnee. Und wenn man in diesem Wetter vor Ort ist, dann kann man durchaus 200 Pfund Lobster einsammeln. Die Fangergebnisse der Fischer werden durch dieses Ergebnis kaum beeinflusst.

Die Hafenmole selbst dient einer Kolonie Kormorane als Ruheplatz.

Schließlich mache ich mich auf den Weg. Der Morgen ist noch kühl, der Himmel bedeckt. Die bisher in den Gärten typischen Rhododendren sind verblüht. Dafür duftet der Flieder entlang der Straßen und manche grüne Wiese ist von einem Meer goldgelber Butterblumen durchsetzt. Was für eine Fülle.

Die Straßen sind gesäumt von weiß blühenden Wiesenblumen.

Strandleben kurz vor Campbellton.

Ein junger Mann spricht mich an. Stolz zeigt er mir seine Eigenkreation. Und sie fährt. Er nutzt das Fahrzeug, um zu seinen verschiedenen Arbeitsplätzen zu fahren.

Campbellton kommt in Sicht und der Anblick des Berges vor mir stimmt mich nachdenklich. Da hinauf, frage ich mich. Doch es kommt anders.

Nach kurzer Rast geht es über die JC van Horne Bridge, die an dieser Stelle den Restigouche River überspannt. Und mit dem Überschreiten der Brücke bin ich das erste Mal in der Provinz Québec.

Ein Seitenstreifen ist auf der vielbefahrenen Brücke nicht vorhanden. So nutze ich den schmalen Fußweg. Das gibt mir Sicherheit.

Ein letzter Blick, bevor ich mein heutiges Ziel, Escuminac, verschwitzt, erschöpft und glücklich erreiche. Mittlerweile ist es schwül und heiß. Die Temperaturen betragen gegen Abend rund 34°C. Jetzt hat mein Körper sich Ruhe verdient.

Bei diesem Wetter habe ich Angst, dass mir die Vorräte vergehen. Und so lege ich den Cheddar 3- oder 4-fach aufs Brot. Und was mache ich mit der getrockneten Wurst? Ich finde bestimmt eine gute Lösung.

Und trinken muss ich noch viel mehr. Ich habe sicher schon 3 Liter getrunken, doch die Tatsache, dass ich heute noch keinen Baum gegossen habe, zeigt mir, es besteht Nachholbedarf. Ich musste Biggi versprechen, gut für mich zu sorgen.

Damit Ihr mich begleiten könnt

Von Miramichi nach Pointe-Verte, New Brunswick

Um 9.00 Uhr verlasse ich Miramichi. Es ist ein sonniger Morgen. Ich habe gut geschlafen. Und fühle mich wohl. Auf dem Weg zur Interstate No. 8 komme ich an der eleganten Centenniel Bridge vorbei, die den Miramichi River überspannt. Nach ein paar Kehren bin ich auf der Interstate.

Es herrscht nicht viel Verkehr. Manchmal passiert minutenlang kein Auto. Die Spur ist sauber und fast so breit wie die eigentliche Fahrbahn. Optimale Bedingungen. Die Steigungen sehr moderat, so dass ich nur wenige Male in den ersten Gang runterschalten muss. Hinzu kommt Rückenwind. Die vergangenen beiden Tage kam der Wind immer von vorne. Heute unterstüzt mich seine Kraft sehr. So komme ich gut voran.

In den Talmulden geht es über Brücken, die gelegentlich einen herrlichen Einblick in die Landschaft rechts des Weges gewähren. Und bis zur Abzweigung ändert sich somit nichts. Ich komme gut voran.

Eine einstündige Pause tut mir gut. Ich habe Halt gemacht an einem Restaurant und gönne mir einen Kaffee. Daraus werden 3 große Becher. War es beim zweiten Becher noch eine Frage, so kam beim dritten die Dame mit der Kaffeekanne und sagte in einem bestimmenden Ton: „Du brauchst bestimmt noch einen Kaffee.“ Ein Liter Milch hat auch noch Platz.

Weiter geht’s. Links und rechts breiten sich üppige Wälder aus. Stundenlang und wunderschön.

Nur an wenigen Stellen treffe ich auf abgestorbene Bäume. Dafür gibt es mehr Elchspuren, die die Fahrbahn kreuzen. Gesehen habe ich bisher noch kein Exemplar. Aber sie sind da. Gestern, auf dem unbefestigten Teil der Beaverbrooks Road, hatte ich die gleichen Trittsiegel schon in Hülle und Fülle gesehen.

Aber trotz ihrer Größe nimmt der Wald sie auf und sie bleiben für mich versteckt.

Kurz vor Erreichen von Bathurst mündet rechts der Straße ein Fluss ins Meer. Es hat fast den Anschein, als wenn er den rettenden Ozean nicht erreicht, versperrt doch die Sandbank den direkten Weg ins Meer …

Um 15.30 Uhr erreiche ich Bathurst. Viel Charme hat die Stadt für mich leider nicht. Einige Industriebetriebe, unter anderem für die Holzindustrie und ein „Instandsetzungswerk“ für deutsche Panzer. All das sichert Arbeitsplätze in dieser Region.

Um 18.30 mache ich mich auf die Suche nach einem Lagerplatz für die Nacht. Und finde Le Cap A Joe. Leider ist auf diesem Privatgrund niemand zuhause. Sonst hätte ich gefragt, ob ich an diesem Ort nächtigen kann. Also weiter suchen. Der Streckenabschnitt von Bathurst bis Le Pointe Verte führt zwar dicht die Küste entlang, ist aber durchgängig privat bebaut.

Ein paar Grundstücke weiter treffe ich auf eine Familie, die am Strand vor einem offenen Feuer in ihren Stühlen sitzt. Ich stelle mich freundlich vor und die nächsten 1 1/2 Stunden sind wir in ein munteres Gespräch vertieft. Jean Emile und seine Frau Lorraine stellen sich freundlich vor. Und sogleich entwickelt sich ein nettes Gespräch.

Jean Emile war Genelral Constructor und ging vor einigen Jahren in den Ruhestand. Da Jean Emile nicht so gut Englisch spricht, hat seine Frau ihn im geschäftlichen Alltag jahrzehntelang unterstützt. Wieviel Liebe steckt doch in dieser Bereitschaft, neben der eigenen Arbeit und den Kindern diese Kraft aufzubringen.

Und dann sind da noch Brigitte und ihr Ehemann Christian. Und während Jean Emile mir einen Schwarzen Tee bereitet (meinen ersten seit meiner Ankunft in New York – und das mir als passioniertem Teetrinker) erzählen beide aus ihrem Leben. So vergeht die Zeit wie im Fluge.

Und dann haben sie noch die Lösung parat, die mir einen herrlichen Schlafplatz direkt am Atlantik sichert. Ein paar Regentropfen fallen. Und da ich nicht abschätzen kann, was daraus wird, verabschiede ich mich, schiebe ich mein Rad gut 100 Meter den Strand entlang und stelle mein Zelt auf. Abendessen mit Blick aufs Meer.

Es gibt Kartoffelsalat, eine frische, saftige Paprika, Tomaten und zum Nachtisch einen Apfel. Und auch die Mücken glauben, ihr Tisch sei gedeckt. Also husche ich ins sichere Zelt und lasse diesen wunderbaren Tag noch einmal Revue passieren. Es waren wieder tolle Begegnungen mit den hier lebenden Menschen, wofür ich sehr dankbar bin.

Von links: Lorraine, Jean Emile, Christian und Brigitte.

Und dann war da noch Blacky, die ganz opportun und vergeblich darauf wartete, etwas vom Müsliriegel abzubekommen. Für heute Abend waren wir fast eine Familie …

Schon weit gekommen …

Von Doaktown nach Miramichi, New Brunswick

Die Nacht war ruhig und kühl. Und am Morgen lacht die Sonne mir ins Gesicht. Schnell ist alles verstaut. Ich habe Hunger, aber der Proviant ist verbraucht. Also auf zum nächsten Supermarkt. Nach wenigen Kilometern finde ich einen. Und halte erst einmal die Luft an. Alles scheint nochmals teurer als und den USA. Und so stehe ich unentschlossen vor Obst und Gemüse und versuche, mir eine Preisübersicht zu verschaffen.

Plötzlich kommt ein junger Mann auf mich zu und fragt, ob er helfen kann. Ich frage, welches die preiswerteste Apfelsorte ist, die sie im Supermarkt im Angebot haben. Er gibt mir keine Antwort, lächelt mich an und fragt stattdessen, wo ich herkomme, wohin es geht, usw. Ein kurzes Gespräch, an dessen Ende er sein Portemonaie zückt, mir 100 Kanadische Dollar schenkt und eine gute Reise wünscht. Sprachlos, aber strahlend schaue ich ihm hinterher, wie er zwischen den Regalen des Supermarktes verschwindet. Im Gefühl großer Dankbarkeit tätige ich meinen Einkauf, und frühstücke erst einmal etwas abseits des Supermarktes.

Eine Kundin des Marktes kommt auf mich zu. Ein nettes Gespräch entwickelt sich, in dessen Verlauf sie mir wertvolle Tipps für den weiteren Weg gibt. So komme ich in Blackville runter von der Hauptstraße und es geht den Miramichi River entlang Richtung Miramichi.

Ich bin schon ein Stück gefahren, da werde ich erneut angesprochen. Mary stellt sich vor. Während einer wunderschönen, angenehmen Unterhaltung zeigt sie mir ein paar lokale Spots und erklärt mir, dass der Ort, an dem wir uns gerade befinden, früher Indiantown hieß, irgendwann jedoch umbenannt wurde in Quarryville.

Mary hat eine Überraschung für mich parat: gemeinsam gehen wir in einen großen Supermarkt einkaufen. Mir hilft das ungemein. Hatte ich doch bisher die Preisauszeichnungen an den Waren nicht richtig verstanden.

Bepackt mit Brathähnchen, frischem Gemüse, Brot und Wassermelone betreten wir ein Lokal und breiten unsere Speisen auf der Theke aus. Das ist erlaubt. Nur das selbstgebraute Bier muss bestellt werden. Und dann wird gespeist. Die Kosten werden geteilt, wobei Mary den Löwenanteil übernimmt. Ich bezahle das Gemüse und die beiden sehr leckeren Biere.

Um 16.00 Uhr verabschieden wir uns voneinander. Über die Beaverbrooks Road verlasse ich Miramichi in nördliche Richtung. Eine breite Asphaltstraße, die aussieht, wie ein Flickenteppich in Schwarz- und Grautönen. Fast kein Verkehr. Nach über 13 km fehlt plötzlich der Belag. Breit, mit tiefen Spurrillen zerfurcht geht es viele Kilometer weiter.

Vorbei an Landschaften, die stark an Moore erinnern.

Ein Eldorado für die Tiere. Biberdämme, die ganze Areale unter Wasser setzen. Tierspuren, die auf Elche hinweisen und ein Weg, der abrupt endet. Ich kann es kaum glauben. Google sagt zwar Geradeaus. Aber vor mir liegt nur undurchdringliches Buschwerk. Den einzigen Autofahrer, den ich zufällig treffe, spreche ich an. Ergebnis: Ich muss den Weg bis Miramichi wieder zurückkehren.

Selbst kleine gescheiterte Nebenpfade führen hier draußen ins Nichts. So fahre ich in den Abend hinein, zurück nach Miramichi. Um weiter zu fahren, ist es nun zu spät.

In einem kleinen Park mit bester Aussicht auf den Fluss finde ich meinen Platz für die Nacht.

So könnte meine Tour weitergehen – oder ganz anders