Jo's DreamA bike. A tent. A year.

Archive - 2024

Von Témiscouata nach Saint-André-de-Kamouraska

Es heisst Abschied nehmen. Schnell sind meine Sachen gepackt. Währenddessen bereiten mir die Beiden ein üppiges Frühstück. Und nachdem wir gemeinsam gefrühstückt hatten, umarmten wir uns ein letztes Mal, bevor ich das Haus verließ.

Ein schönes Geschenk hatten beide noch für mich parat: Eine Einladung an meine Frau und mich, sie irgendwann besuchen zu kommen. Biggi wird sich darüber mit Sicherheit sehr freuen

Vladimir und Lorraine führten mich gestern unter anderem zum Fort Ingall. Von außen war durch die Schießscharten in dem Palisadenwall nicht wirklich viel zu sehen gewesen. Je länger ich darüber nachdachte, um so mehr reifte mein Entschluss, dieses Stück Geschichte einmal näher zu betrachten. Also auf zum Fort.

Es liegt nur wenige Kilometer vom Wohnhaus meiner Gastgeber und keine tausend Meter von der Bahntrasse entfernt, auf der ich in dieses Gebiet hereingekommen bin und nun beabsichtige, wieder zurück zu fahren an die Küste.

Im Jahr 1967 wurde der Standort dieses Forts wiederentdeckt und die Überreste von Archäologen ausgegraben. In 8 rekonstruierten Gebäuden der ehemaligen Befestigung kann jeder Besucher den Zweck und historischen Background erfahren.

Das Museumspersonal, gekleidet in traditionelle Uniformen, ist Kulisse und Informationsquelle zugleich. Bereitwillig geben sie mir Auskunft. Den Rest erledigt ein elektronischer Tourguide, der die einzelnen Stationen des Forts und ihre jeweilige Funktion sehr gut erklärt.

Ursprünglich umfasste das Fort 13 Gebäude, Schlafräume für insgesamt 100 Soldaten, ein Offiziersquartier, eine Küche, eine Bäckerei, ein Bootshaus, eine Munitionskammer und mehrere Latrinen.

Die Bauweise bestand aus übereinander gelegten Zedern- und Kiefernstämmen, die mit einer Art Mörtel verschmiert waren. Die hölzernen Schindeln der Dächer waren rot angemalt. 4 m hohe Palisaden mit zahlreichen, in regelmäßigen Anständen angeordneter Schießscharten umgaben das Fort.

Die Rekonstruktion des Forts orientierte sich weitestgehend an der ursprünglichen Bauweise der Anlage.

1839 wrde das Fort nahe Cabano am Westufer des Lake Témiscouata errichtet. Es sollte im Aroostook-Krieg (1838/39), einem britisch-amerikanischen Grenzkonflikt, den wichtigen Transportweg zwischen dem Lac Témiscouata und dem Sankt-Lorenz-Strom kontrollieren.

Im Vertrag von Paris, der 1783 den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg beendete, wurde die Grenze zwischen Kanada und den USA nicht überall eindeutig festgelegt. Besonders die Grenzlinie zwischen dem heutigen US-Bundesstaat Maine und der kanadischen Provinz New Brunswick war umstritten. Es war ein waldreiches Gebiet und häufig gab es Streit über die Nutzung des Holzes. Der Konflikt eskalierte 1838, als in Maine 10.000 Miliztruppen mobilisiert wurden. Die Briten errichteten daraufhin 1839 im Grenzgebiet eine Reihe von Forts, um der amerikanischen Invasion zu begegnen.

Mit dem Webster-Ashburton-Vertrag wurde der Konflikt schließlich 1842 ohne Blutvergießen beendet. Und das Fort aufgegeben.

Nach zwei Stunden mache ich mich auf den Weg zur Küste. Und wieder zieht mich die Landschaft links und rechts des Weges in ihren Bann. Obwohl ich auf der Herfahrt reichhaltig Gelegenheit hatte, die Landschaft mit den Augen zu erkunden, entdecke ich immer wieder Neues.

Der Weg führt über einen Golfplatz. Und damit es keine Unfälle durch herumfliegende Golfbälle gibt, deutet mir die rote Ampel, anzuhalten.

Anschließend geht es weiter, im Golfcaddy wie auch mit dem Fahrrad. Vorbei an versumpften Waldgebieten mit üppigen Schilfrohrbeständen.

Unweit ein kleiner Rastplatz. Hier gibt es immer wieder hölzerne Plattformen gedacht für Hiker und Cyclists, um in diesem unwegsamen Gelände sein Zelt aufzuschlagen.

Und meistens liegen das Toilettenhäuschen und ein überdachter kleiner Rastort gleich nebenan. Die Abstände zwischen den einzelnen Rastplätzen dürften so um 10 km liegen.

Auf meiner Herfahrt hatte ich das Glück, an dieser Baustelle einen kostenlosen Service vorzufinden, der im Shuttledienst Radfahrer und Wanderer auf die jeweils andere Seite der riesigen Baustelle bringt. Auf mein Fragen erhielt ich die Antwort, dass dieser Dienst die kommenden zwei Tage nicht angeboten werden kann. So begebe ich mich per Pedes auf Schotterpisten hinein in die Baustelle.

Vladimir hatte mir erzählt, das es im Bereich der Baustelle innerhalb von 10 Jahren über 100 teils schwere Verkehrsunfälle gegeben hat. Daher macht es Sinn, diesen Abschnitt der Interstate neu zu gestalten, um zukünftigen Radwanderern und Hikern mehr Sicherheit zu geben.

Da ich ungefähr weiß, wo die Bahntrasse verläuft, verlasse ich mich auf meinen Orientierungssinn und erreiche schließlich das Ende. Vier rote Poller signalisieren mir schließlich Erleichterung. Ist der Streckenabschnitt der Interstate eines Tages fertiggestellt, wird es hier keine Hiobsbotschaften mehr geben.

Und auch Trinkwasser für den Durstigen wird angeboten. Manchmal nicht zweifelsfrei (siehe oben). Meist jedoch eindeutig. Mitunter muss man nach der Zapfstelle suchen. Aber ich bin immer fündig geworden.

Auch wenn die Beschilderung der parallel verlaufenden Interstate sowie Trittspuren auf meinem Weg darauf hinweisen, gesehen hab ich noch keinen Elch.

Ein Stück Waldboden erregt meine Aufmerksamkeit. Auf ca 300 Quadratmetern wächst etwas, das von weitem ausschaut, wie Moos. Es bedeckt den Boden großflächig und diese weichen Kissen machen auch vor herumliegenden Steinen keinen Halt. An den aufwachsenden Baumstämmen ist es jedoch nicht zu finden … und da muss ich dann selber erst einmal recherchieren.

Eine Pflanze zwischen Stacheldrahtpflanze und Heiligenblume schlägt mir Google vor. Diesmal glaub ich Dr. Google nicht, da die Pflanze von der Wuchsform her höchstens 10 cm in die Höhe wächst und in der Ausdehnung kleine rundlich Polster bildet, die dicht an dicht liegen. Vielleicht erfahre ich von meinen Begleitern, was für eine Pflanze oder Flechte ich da habe.

Schließlich ereiche ich Rivière-du-Loup. Vor mir der gewaltige Sankt Lorenz Strom. Im Hintergrund noch im Dunst liegend, aber bereits gut erkennbar die hügelige Nordküste. Ich biege nach Westen ab, immer entlang des Stroms, dessen Wasser über weite Strecken lehmfarben leuchtet.

Für zwei Tage werde ich an der Südküste des St. Lorenz Stromes entlang radeln. Und freu mich schon auf das Neue, was mir begegnen wird.

Es ist bereits später Nachmittag. Am Horizont ziehen Regenwolken auf. Sie verdunkeln das Blau eines Schwimmbeckens am Ufer des Stromes. Es wird regnen. Das ist sicher. Aber ein Weilchen kann ich noch fahren. Schließlich entdecke ich einen kleinen Rastplatz mit tiefgestaffeltem, lockerem Baumbestand. Dazwischen gepflegte Rasenflächen. Bestens, um ein Zelt aufzubauen. Was schnell erledigt ist. Kaum habe ich alles eingeräumt, fängt es an zu regnen.

Müde liege ich auf der Matte. Glücklich und zufrieden lausche ich dem einsetzenden Regen und dem immer stärker werdenden Wind. Noch einmal verlasse ich das Zelt, um alle Leinen gut zu spannen und das Zelt zu stabilisieren. Das lärmende Schlagen der Zeltplane hört auf. Und schließlich schlafe ich ein.

Ein Tag in Témiscouata-sur-le-Lac

Manchmal kommt es anders, als man es sich vorstellen mag. Um 9.00 Uhr breche ich auf. Entlang des Westufers geht es auf der gleichen Bahntrasse zurück, über die ich gestern gen Süden fuhr. Gestern leuchtete der See im warmgoldenen Abendlicht. Heute erlebe ich die Stimmungen im grellen, kühlen Morgenlicht der Sonne. In Temiscouata fülle ich meinen Futtervorrat auf.

Ich bin keine 300 Meter vom Supermarkt, als ich bemerke, dass der hintere Reifen Luft verliert. Es geht schnell und nach wenigen Metern steige ich vom Rad und schiebe es ein paar Meter weiter Richtung Gartenzaun. Alles Gepäck runter. Schnell das Werkzeug ausgepackt und schon bin ich am Reparieren.

Von der anderen Seite nähert sich ein Mann und wir kommen ins Gespräch. Nach ein paar Minuten öffnet er seine Pforte und bietet mir einen sicheren Platz, um das Fahrrad zu reparieren. Er stellt sich freundlich vor.

Vladimir bietet mir etwas zu trinken an. Seine Frau kommt hinzu. Er öffnet seine Gartenpforte, nimmt entschlossen enen Teil meines Gepäcks und läd es in seinem Garten ab. Ich sammle alle Werkzeuge und die Pumpe ein und trage das Fahrrad hinterher.

Kaum habe ich das Fahrrad abgesetzt und widme mich der Reparatur, laden mich beide zu Tisch: Wurst, Käse, Brot und hervorragend schmeckenden, selbst gemachten Rotwein. Etwas später reicht mir seine Frau einen Teller mit acht gekochten Eihäften, lecker zubereitet und garniert. Die Reparatur muss warten.

Seine Frau hat sich inzwischen zu uns gesellt, als Vladimir seine Einladung zur Übernachtung erneut ausspricht. Und ab diesem Augenblick ändert sich mein ganzer Plan für heute …

Ich entscheide, den heutigen Tag gemeinsam mit Lorraine und Vladimir in Témiscouata zu verbringen. Wie ich im Laufe unserer Gespräche erfahre, heißt Lorraine mit vollem Namen Lorrainedamours. Der Name könnte einem Märchenbuch entnommen sein. Aber das ist sicherlich eine andere, wundervolle Geschichte.

Vladimir und Lorraine sind wunderbare Gastgeber. Unsere stundenlangen Gespräche drehen sich ums Altern. Wir sind alle fast gleichen Jahrgangs. Um persönliche Freiheit und was wir daraus machen. Um die Herstellung von Wein. Und um das Leben im Paradies Témiscouta und angrenzendem See.

Dabei ist Vladimir ganz besonders darauf bedacht, dass seine Frau immer am Gespräch beteiligt ist. Da Lorraine nicht so gut Englisch spricht, übernimmt Vladimir geduldig die Rolle des Dolmetschers. Hört ihr zu und übersetzt mir alles, was seine Frau zu unserem Dreiergespräch beiträgt.

Voller Herzenswärme erzählen sie aus ihrem Leben. Vladimirs Lebensreise von Jugoslavien über Italien, Frankreich und schließlich nach Kanada. Zwischen den einzelnen Stationen das Leben in all seinen Facetten. Ein Leben, das sie vor Jahren zum Lake Témiscouta geführt hat. Dem Zuhause von Lorrainedamours.

Und hier haben sie sich ihr kleines Paradies geschaffen. Ihr Zier- und Gemüsegarten grenzt zaunlos an den naturbelassenen Grüngürtel entlang des Sees. Ein Rotflügelstärling hat sich das zunutze gemacht. Lärmend eilt er herbei. Lorraine wirft ihm eine Brotkrume zu. Mit ihr verschwindet er im baumbestandenen Schilf- und Grasgürtel. Nur um nach einer Stunde erneut aufzutauchen und zu betteln. So geht das die ganze Zeit während unseres Aufenthalts auf der Terasse.

Nachdem ich mir unter drei Schlafzimmern das Schönste ausgesucht hatte, kümmerte ich mich erst einmal um die Reparatur des Fahrrades. Ein neuer Schlauch ist nötig. Der alte geflickt und als Reserve verstaut.

Ich hatte erwähnt, dass ich dem Westufer des Sees von Témiscouata aus bis zu seinem südlichen Ende und zurück geradelt bin. Beide laden mich ein, die Westküste des Sees in nördliche Richtung mit dem Auto abzufahren. Ich freue mich, da dieser Abschnitt einige Hügel aufweist, die es mit dem Rad zu erklimmen gilt.

Am Fort Ingall machen wir Halt und besuchen den gleich daneben liegenden Friedhof, auf dem Lorrains Mutter beerdigt wurde. Gemeinsam gehen wir zum Grab. Ein berührender, ganz besonderer Augenblick für uns. Und die enge Verbindung Lorrains zu ihrer Mutter wird spürbar.

Auch in diesem Abschnitt des Sees ist die Bebauung zwar locker und erschwert gleichzeitig den Zugang zum Ufer. Also gehe ich eine Zufahrt hinunter zum See, bei der nicht erkennbar ist, ob sie öffentlich oder privat ist. Kaum dass ich das Ufer erreicht und dort wenige Mezer entlang gelaufen bin, folgt mir ein Anwohner und spricht mich an. Nach kurzem Gespräch willigt er ein und lässt mich ohne Weiters weitergehen. Auch hier, entlang des Ufers, dasselbe Bild. Fast jedes Grundstück hat einen eigenen kleinen Bootssteg, der wie ein Stachel ins klare Wasser ragt.

Auf dem Rückweg fährt Vladimir mit mir noch beim Schlachter vorbei. Ich darf mir aussuchen, was ich möchte und entscheide mich für ein Steak. Zuhause werden Steak und Fleischspieße auf dem Grill zubereitet. Lorraine sorgt für leckere Beilagen. Und dazu gibt es selbst hergestellten Zinfandel mit herrlich ausgewogenem, erfrischendem Geschmack.

Wieder speisen wir auf der Terasse hinter dem Haus. Wieder kommt unser gefiederter Freund vorbei. Und wie schon den ganzen Tag setzen wir unsere Unterhaltung fort. Irgendwann nehmen wir unsere Stühle und gehen ein Stückchen weit in den Garten wo bereits ein kleines Feuer in einem gusseisernen offenen Ofen brennt. Der Rauch vertreibt die Mücken und wir können ungehindert plaudern.

Bei Anbruch der Dunkelheit endet für uns der Tag. Ein Tag, ein Juwel in der Schatzkiste meiner Erinnerungen. Und so werden Vladimir und Lorrainedamours zu einem warmherzigen, liebevollen und bewundernswert Teil meiner Geschichte.

Gute Nacht!

O

Von Riviere du Loup nach Dègelis am Témiscouata Lake

Ich bin früh wach und freue mich auf den Tag. So packe ich meine Sachen und verstaue alles auf dem Rad. Mittlerweile geht das Packen leichter und ich weiß, was wo verstaut ist.

Maryse und Homer bereiten mir ein letztes Mal einen warmherzigen Abschied. Und kurz darauf bin ich schon auf der Straße. Es geht westwärts und nach wenigen Kilometern habe ich die Spitze der kleinen Landzunge mit dem Fähranleger nach Saint Simeon erreicht.

Die Fähre hat bereits abgelegt und der Anleger wirkt leer und verlassen. Einziger Lichtblick an diesem frühen Morgen ist ein bunter, übergroßer Kopf, der auf die ursprünglichen Bewohner dieser Landschaft hinweist.

So mache ich mich ohne weiteren Stopp auf den Weg zum Musee du Bas-Saint-Laurent. Hier beginnt meine heutige Etappe auf der Route Verte 8. zum Lake Témiscouata. Der Tag verspricht, gut zu werden. Es ist noch kühl. Die Sonne scheint bereits am Morgen zur Höchstform aufzulaufen.

Ein paar Straßenkehren weiter, verlasse ich die asphaltierte Straße und biege auf einen mit feinem Schotter und Rollsplitt befestigten Weg ab, den ich bis zum Ziel nicht wieder verlassen werde. Der Weg ist sehr gut ausgestattet, gut beschildert und führt mit nur wenigen, kaum merkbaren Steigungen durch die grandiose, leicht hügelige Landschaft.

An Straßenkreuzungen verhindern Absperrungen, dass Autos diesen Weg benutzen können. Überhaupt sind motorisierte Fahrzeuge auf diesem Weg nicht zugelassen. Und so genieße ich den heutigen Tag ganz besonders.

Autolärm von der mitunter nahe gelegenen, parallel zu meiner Route verlaufenden Interstate, dringt allenfalls gedämpft herüber. Nur selten kommen mir Radfahrer entgegen. Und noch seltener werde ich an diesem Tag überholt.

Lediglich das ununterbrochene Mahlen und Knirschen des Schotters unter meinen Reifen begleitet mich durch den ganzen Tag. Es ist ein mühsames Fahren, da der Rollwiderstand im mitunter weichen Rollsplitt erheblich ist.

Der Wald wird an vielen Stellen immer lichter. Dabei bestimmen vielerorts entlang des Weges Nadelwälder und Moore die Flora. Fichten, Kiefern und Tannen bilden teìĺs gemischte Bestände. Die Wuchshöhe beträgt vielerorts keine 15 Meter.

Zwischen den Wäldern liegen kleinere und größere, in grellem Grün leuchtende Sumpfgebiete. Von Bächen und kleinen Flussläufen durchzogen und eingebettet in den dunklen Nadelwald.

An vielen Stellen scheinen die Wasser keinen Abfluss zu haben. Hier setzt vom Ufer her offensichtlich die Verlandung ein.

Und mitunter sehe ich kleine abgestorbene Wälder. Wälder. In denen die Bäume mit Sicheheit nicht ihr Lebensalter erreicht haben.

So wechseln lichte und dichte, hohe und niedrige Waldbestände immer wieder einander ab.

Und auch der Wegesrand hat einiges zu bieten. Mehrere Male halte ich an, um die leckeren Walderdbeeren zu pflücken. Ein mühsames und gleichzeitig leckeres Unterfangen.

Es blüht entlang des Weges: Schmalblättriges Weidenröschen, Orangerotes und Gelbes Habichtskraut, Wiesenmargerite, Vogelwicke, Taubenkropf-Leimkraut, Malven, Schmalblättrige Lorbeerrose, Gemeiner Hornklee, Zerbrechlicher Blasenfarn, Philadelphia-Feinstrahl, Weißes Labkraut, Rosen-Malven, um nur die auffallendsten Blüher zu benennen.

Das rotfrüchtige Christophskraut trägt bereits Früchte. Rote Johannisbeeren reifen am Wegesrand. Und auch der kanadische Holunder steht wenige Wochen vor der Fruchtreife. Die Walderdbeeren sind ein Genuss – der Tisch ist reich gedeckt. Man muss sich nur bücken.

Und an vielen Stellen säumen dichte Bestände des Weißen Labkrauts den Weg.

Reifenpannen häufen sich. In Montreal muss ich einen neuen Mantel für das Hinterrad kaufen. Ich hoffe, das der Mantel bis dahin durchhält.

Ein gebrochener Biberdamm hat das aufgestaute Wasser ablaufen lassen. Nun liegt die Biberburg auf dem Trockenen. Und auch auf dem heutigen Weg finde ich Trittsiegel der Elche. Nur gesehen hab ich bisher keine.

Nur ganz selten reicht das Farmland bis an den Radwanderweg heran. Meistens dominiert der Wald, das Moor, der Sumpf.

Von den alten Zeiten, als Lokomotiven lange aus Güterwaggons gebildete Schlangen durch die Wälder zogen, ist kaum etwas geblieben. Ein paar Namen und diesen ehemaligen Bahnhof konnte ich entdecken. Das war’s. Wie sich die Zeiten ändern …

In Cabano kann ich das erste Mal einen Blick auf den Témiscouata Lake werfen. Und für die nächsten Spätnachmittagsstunden radle ich gemächlich am Westufer des Sees entlang und genieße die Aussichten auf den See.

Entlang des Ufers Reihen sich Haus an Haus, so dass ich kaum die Möglichkeit habe, dort hinunter zu gelangen, ohne Privatgrund zu betreten. Und so bleibe ich meistens auf dem Bahndamm, der im Abstand von 20 m entlang des Westufers verläuft und genieße die Stunden.

Das Ostufer ist weit weniger zersiedelt. Hier liegt auch der Parc National du Lac Témiscouata.

Mein Schatten wird langsam länger. Zeit, mich nach einen Quartier umzuschauen.

Und ich habe Glück. Kurz vor dem südlichen Ende des Sees spreche ich einen jungen Mann an und stelle mich vor. Er heißt Jerome Beaulieu. Nach kurzem Überlegen willigt er ein und bietet mir ein kleines, verstecktes Eckchen auf seinem Grundstück an, wo ich mein Zelt aufschlagen darf. Noch während ich am Aufbauen bin , kommt Jerome herbeigeeilt und bittet mich, schnell zu kommen. Ich folge ihm. Unsere Blicke nach oben in die Baumkronen gerichtet. Und dann entdecke ich, was Geraume so elektrisiert.

Einen Weißkopffischadler. Fasziniert schaue ich hinauf ins Geäst. Mich erstaunt, dass dieses Tier in vielleicht 20 Metern Entfernung ganz ruhig auf dem Ast hockt, seinen Blick auf den See richtet und offensichtlich nach Beute Ausschau hält. Wohl 20 Minuten hockt der Vogel hoch oben im Baum, bevor er seine Schwingen ausbreitet und sich vom Ast in einer leichten Abwärtsbewegung in seine weitgeöffneten Schwingen fallen lässt. Lautlos gleitet er über unsere Köpfe hinweg, hinaus auf den See. Unsere Blicke folgen ihn. Und weit draußen schlägt er zu. Krallt sich seine Beute, einen unachtsamen Fisch und fliegt mit ihm dem Ostufer entgegen, wo er vermutlich ein Nest hat. Jerome erzählt, dass der Vogel seit ein paar Tagen früh am Morgen und am Abend zu seinem Grundstück kommt und in diesem hohen Nadelbaum rastet.

Den Rest das Abends verbringen wir gemeinsam am Lagerfeuer bei angenehmer Unterhaltung. Jerome wohnt und arbeitet in der Stadt. Aber nur hier am See fühlt er sich richtig zuhause. Ich kann ihn gut verstehen. Um 22.00 Uhr ist der Tag zu Ende. Müde und glücklich gehe ich in mein Zelt und schlafe gleich darauf ein.

Ein Tag in Rivière de Loup

Um 7.00 Uhr bin ich wach. Die Nacht war ruhig. Doch habe ich leicht gefroren. Bodenkälte hatte sich durch die dicke, aufblasbare Luftmatratze bemerkbar gemacht. Später am Küchentisch thematisiere ich das Problem. Homer und Maryse wollen für Abhilfe sorgen, bevor sie mit der Matratze auf Reisen gehen.

Es wird ein richtiger Familientag. Homer und Maryse streifen mit mir durch ihren großen Garten, einer sehr gelungenen Mischung aus Zier- und Nutzgarten. Es blüht an vielen Stellen. An anderen gedeiht noch nicht ganz reifes Gemüse.

Schwarze Johannisbeeren, Himbeeren, Stachelbeeren, Rhabarber, Apfel- und Pfirsichbäume. Alles grünt, ist munter am Wachsen und verspricht reiche Ernte. An vielen Stellen zwischen den Gemüsen wachsen Küchenkräuter. Und Maryse bereitet aus all dem die leckeren Mahlzeiten.

Der Ziergarten ist gleichfalls eine große Freude. Etliche Gehölze wechseln mit Blumenrabatten und kleinen Rasenflächen. Und neben den bereits gestern erwähnten kleinen Ruheinseln gibt es weitere kleine Plätze zum Rasten.

Etwas später fahren wir gemeinsam nach Cacouna zum Bäcker, wo es eine größere Auswahl an hellen Brotsorten, Croissants und weitere wohlschmeckende Leckereien gibt.

Gefrühstückt wird gemeinsam im Garten. Die Sonne lacht vom Himmel. Es hat aufgehört, zu regnen, was mich irritiert. Sagte doch der Wetterdienst Regen für den ganzen Tag voraus.

Ich nutze die folgende Zeit, meinen Blog auf dem Laufenden zu halten. Später am Nachmittag kommt Besuch ins Haus. Maryse hat eine leckere Blaubeer-Tart bereitet. Was für ein Genuss. Anschließend kommen Spielsteine auf den Tisch. Es wird ein schöner Nachmittag, der nahtlos in den Abend übergeht.

Zum Sonnenuntergang gehen wir im Parc de la Pointe spazieren. Bei diesen Lichtverhältnissen ein ganz besonderer Genuss..

Eine leckere, von Maryse bereitete Lasagne bildet den krönenden Abschluss dieses Tages.

Unruhe kommt in mir auf und ich verspüre den Wunsch, weiterzufahren. Die Wettervorhersage sagt gutes Wetter voraus.

Mein Dank für zwei wundervolle Tage gilt Homer und seiner warmherzigen Frau. Ihr gegenseitiger emphatischer Umgang miteinander hat mich tief berührt.

Homer, der mir etwas zu trinken anbot. Maryse, die alle Speisen vorbereitete. Beide fällten gemeinsam die Entscheidung, mir für 48 Stunden mehr als ein Dach über dem Kopf zu gewähren. Sie gaben mir jederzeit das Gefühl, ein guter Freund des Hauses zu sein. Sie waren geduldig und warmherzig. Und Maryse fiel mir immer wieder durch ihr herzliches Lachen und das Funkeln in ihren Augen auf.

Ihre Freundin Louise komplettiert die Tage. Ihr danke ich besonders für die vielen interessanten Fragen, die sie mir stellte. Das ließ unseren Gesprächsfaden zu keinem Zeitpunkt abreißen und führte immer wieder zu neuen, interessanten Themen. So werden diese Tage zu einem unvergesslichen Teil meiner noch so jungen Reise.