Jo's DreamA bike. A tent. A year.

Archive - 2024

Von Logan nach Layton, Utah

11. September 2024

Ich bin früh auf. Heute hat Biggi Geburtstag. Und so suche ich einen Platz, wo ich in Ruhe mit ihr telefonieren kann.

Auf mein Rufen im Haus kommt keine Antwort. Unsicher, ob Mitchell oder Kate überhaupt im Hause sind, verlasse ich meine Gastgeber, ohne mich richtig verabschiedet zu haben. Eine kleine, niedergeschriebene Notiz muss heute morgen reichen.

Auf alle Fälle hatte ich ein hervorragendes Quartier, ein ganz leckeres Abendessen, eine die Lebensgeister erfrischende Dusche und spannende Unterhaltung. Also ein Rundum-Sorglos-Paket. Und dafür danke ich meinen Gastgebern von ganzem Herzen.

Für 10.00 Uhr hatte ich mich mit Biggi telefonisch verabredet. Zur Feier des Tages steht ein kleines, besonders leckeres Frühstück vor mir auf dem Tisch. Über eine Stunde tauschen wir unsere Gedanken aus. Ich genieße diese Zeit in vollen Zügen. Und obwohl wir geografisch so weit auseinander sind, habe ich den Eindruck, dass wir uns näher sind denn je.

Mit großer Freude im Herzen mache ich mich gegen 11.30 Uhr auf den Weg. Ich habe verschiedene Gastgeber in Ogden, Utah angeschrieben. Bisher hat keiner geantwortet. So richte ich mich schon darauf ein, am Abend nach einem Quartier suchen zu müssen. Was sich aber nicht bewahrheiten soll, denn später meldet sich doch noch jemand.

Aber erst einmal fahre ich in südliche Richtung raus aus Logan. Und wieder geht es über einen Pass. Ich hatte zuvor im Ort nach dem Zustand der Straße gefragt und man hatte mir bestätigt, dass diese Straße breite Schultern hat, die gern von Radfahrern benutzt werden. Erleichterung macht sich breit und ich trete kräftig in die Pedalen. Die ersten Meilen geht es sogar noch ein wenig bergab. Aber schon bald ändert sich das.

Gleichmäßig geht es für mehrere Meilen bergauf. Ich schalte runter und bewältige den Bergangstieg In den Gängen 1 bis 3. Nach etwa anderthalb Stunden habe ich die Passhöhe erreicht. Das Tal weitet sich wieder und es geht hinab nach Brigham.

So ganz so einfach, wie sich das anhört, ist es jedoch nicht. An diesem Morgen, an diesem Anstieg, macht mir der Wind zu schaffen. Meistens kommt er von vorn. Böig, bockig, mitunter gar zornig zerrt er von allen Seiten an mir. Es ist, als gönne er mir den Pass nicht.

Zweimal ist die Windböe so stark, dass sie mich trotz Bergabfahrt zum Stehen bringt. Andere Male presst sie mich bedrohlich nah an die durchgehende weiße Linie, die mich von der Fahrbahn trennt. Und dann sind da noch Massen an LKW’s unterwegs. Mal erzeugen sie einen Sog, der mich regelrecht mitreißt. Dann wieder hat sich die gesamte, vor dem LKW aufgestaute Luft gegen mich verschworen.

Alles in allem ist es mühsam. Doch in den unteren Schaltgängen meistere ich den Passübergang sehr gut. Vor Tagen hatte mir Bryce erzählt, dass es zwischen Brigham, Utah und Ogden eine Straße gibt, an der entlang lauter Obststände aufgebaut sind.

Diese Straße verläuft parallel zum Highway, den ich bisher benutzt habe. Zwar gibt es in der Tat viele Obststände, an denen Pfirsiche Nektarinen, Birnen, Kürbisse, Gemüse und Kartoffeln angeboten werden. Und die Obstände sind nur wenige Meter von der Fahrbahn entfernt aufgebaut.

Dafür hat diese Straße aber keine Schultern und ich muss auf der Fahrbahn fahren. Auf die Dauer ist das sehr anstrengend. Daher entscheide ich mich, bei nächster Gelegenheit wieder auf den Highway zu wechseln.

Und dann passiert mir das Mißgeschick: ich komme von der Straße ab. Nur wenige Meter. Aber das reicht für einen Platten im Vorderrad. Nachdem ich meinen Frust in den Wind gebölkt habe, mache ich mich an die Reparatur. Jedoch gelingt es mir nicht, das Loch zu finden.

Und während ich noch auf der Suche nach dem Schaden bin, hält ein Fahrzeug neben mir und der Fahrer spricht mich an. Ich schildere ihm mein Mißgeschick, worauf er mir anbietet, mich von der Straße bis nach Ogden, Utah mitzunehmen. So komme ich nach Ogden.

Erst überlegt er, mich bei einem Walmart abzusetzen. Dann entscheidet er sich anders und nimmt mich mit zu sich nach Haus. Er ist KFZ-Mechaniker und hat eine voll ausgestattete Werkstatt. Auf seinem Hof mache ich mich an die Reparatur. Nach dem ersten Flicken kommt der zweite.

Dann der Dritte, Vierte und Fünfte – im Vorderrad. Beim Check des Hinterrades sieht es nicht besser aus. Am Ende sind es insgesamt sieben Flicken. Und während ich fleißig flicke, pult der Mann die Dornen aus dem Mantel.

Anschließend zeigt er mir im Garten, welche Pflanze dafür verantwortlich ist: der Burzeldorn, auch Erdsternchen oder Erdstachelnuss genannt, eine in dieser Gegend weit verbreitete Pflanze.

Über der Reparatur ist es spät geworden. Um 18.00 Uhr fotografiere ich die Sonne über mir. Im Großraum Los Angeles gibt es einen großen Waldbrand, dessen Rauch sich über Ogden legt.

Immer dunkler wurde in den letzten Stunden der Himmel.

Jetzt erst fällt mir auf, dass ich meine eigentlichen Gastgeber Emily und Christian noch gar nicht benachrichtigt habe. Im darauffolgenden Telefongespräch bietet mir Emily an, mich abzuholen. Das ist die einzige Möglichkeit, mein heutiges Ziel Layton, südlich von Ogden, zu erreichen.

Ich willige ein und eine halbe Stunde später holt mich Christian mit seinem Pickup-Truck ab. Meinem Helfer danke ich von ganzem Herzen. Ich hätte mich gerne noch ein bisschen mit ihm unterhalten. Und vielleicht hätte ich ihn um ein Quartier bitten können. Aber ich hatte Emily bereits vor Stunden zugesagt. So ist es ein kurzer Abschied, der einen tiefen, bleibenden Eindruck in mir hinterlässt.

Von Ogden nach Layton sind es noch 20 Meilen. Das hätte ich bei diesen Lichtverhältnissen niemals geschafft. Mit dem Auto ist es ein Katzensprung. Es ist schon nach 20.00 Uhr, als wir bei Emily eintreffen. Emily zeigt mir das Zimmer und erklärt kurz die wichtigsten Dinge. Ich nehme ein Duschbad. Anschließend kümmere ich mich um die Wäsche, die noch gewaschen werden muss.

Gegen 22.00 Uhr ist der Tag zu Ende. Und ich kann sagen: Es war ein toller Tag. Happy Birthday!

Von Dingle, Idaho nach Logan, Utah

10. September 2024

Die Nacht war ruhig, kühl und es wehte ein leichter Wind über den Sportplatz. Das ist gut, ist doch mein Zelt bereits trocken als ich aufwache. So kann ich bereits früh aufbrechen.

Es geht in südliche Richtung, immer am Fuß einer Bergkette entlang Richtung Bear Lake. Während ich noch im Bergschatten fahre, liegt die weite Talebene rechts vor mir bereits im strahlenden Sonnenlicht. In der ferne trompeten Sandhill Kraniche. Und in der näheren Umgebung höre ich manche Vogelstimme, die ich leider nicht zuordnen kann.

Für die nächsten sieben Meilen bis zum See fahre ich auf einer Schotterpiste. Ich ignoriere das schlechte Reifenmaterial auf dem Hinterrad. Irgendwie muss ich doch vorankommen.

Auf der anderen Seite des weiten , ebenen Tales liegt eine Hügelkette, die im Morgenlicht wunderbar leuchtet.

Schließlich erreiche ich den Bear Lake. Bryce hat mir nicht zuviel versprochen, als er begeistert von diesem See sprach. Es ist das blaue Wasser, das ihm seine Magie verleiht. Auf einem natürlichen Damm fahre ich am nördlichen Seeufer entlang in westliche Richtung.

Zur Seeseite hin befindet sich ein mehrere Meilen langer Sandstrand. Mit guter Ausstattung versehen dient der langgezogene Sandstrand des Nordufers als Recreation Area. Heute Morgen ist hier noch keine Menschenseele zu sehen. Aber an sonnigen Wochenenden tummeln sich an diesem Strand Tausende von Menschen.

Zum frühen morgen sind auf den See keine Boote zu sehen. Weiter im Süden am Westufer befindet sich jedoch eine relativ große Marina.

Auf der Nordseite des natürlichen Dammes dehnt sich ein breiter Schilfgürtel aus, der mehrere Meilen nach Norden reicht und der Vogelwelt ein großartiges Refugium bietet.

Am westlichen Ende des Dammes wurde ein kleines Versorgungszentrum errichtet, das den vielen Besuchern die Möglichkeit bietet, sich selbst zu versorgen.

Für die nächsten zehn Meilen geht es in südlicher Richtung am Ufer des Bear Lake entlang nach Garden City.

Hier verlasse ich das Ufer des Bear Lake und mache mich auf den Weg nach Logan. Vor mir liegt der Loganpass. Für circa fünf Meilen geht es stetig aufwärts. Die Steigung beträgt kontinuierliche 8 %.

Auf der Passhöhe mit fantastischer Aussicht auf den Bear Lake mache ich eine kurze Pause auf einem Rastplatz. Ein kurzer Plausch mit anderen Besuchern inbegriffen. Es ist immer wieder faszinierend zu erkennen, wie viele Autofahrer an meinem Treiben teilhaben. Sie sehen, wie ich mich langsam den Berg hocharbeite. Und manch einer zollt mir größten Respekt für die Leistung.

Ich habe für heute in Logan ein Quartier gefunden. Telefonisch melde ich mich vorab und sage, dass ich auf dem Weg bin und am Abend den Ort erreichen werde.

Mitchell, mein Gastgeber, warnt mich, als er erfährt, welche Route ich nehme. Er ist diese Route einmal gefahren und würde das nie mehr wiederholen. Zu viel Verkehr und keine Schultern am Fahrbahnrand. Eine wirkliche Alternative zu dieser Route gibt es jedoch nicht.

Und so mache ich mich auf den Weg, steige Meter um Meter auf und wundere mich über die breite Schulter, auf der ich mit einer Geschwindigkeit von 3-4 Meilen/h komfortabel vorankomme.

Hinter der Passhöhe ändert sich allerdings die Situation. Der Logan River teilt sich den Canyon mit der Straße. Und weil das wenig Platz lässt, hat man über viele Kilometer auf die Straßenschultern verzichtet.

Zum Glück erwische ich einen Tag mit wenig Verkehr. Es sind die LKW’s, die auf diesem Streckenabschnitt Schwierigkeiten bereiten, da sie mit unverminderter Geschwindigkeit an einem vorbeirauschen.

Das Dröhnen der bergauf fahrenden Motoren, das Lärmen der Motorbremsen der LkW’s, die mir entgegenkommen, der Sog, wie auch der Winddruck von vorne: all das fordert meine ganze Konzentration. Und in diesen Augenblicken hilft mir meine jahrzehntelange Erfahrung als Fahrradfahrer. Ruhig und aufmerksam fahre ich die weiße, durchgezogene Linie entlang. Nach vorne immer die Verkehrssituation im Auge, nach hinten immer lauschend, welches Motorengeräusch sich nähert.

So durchfahre ich den Logan Canyon und freue mich, als die Felsen langsam zurücktreten und sich das Tal weitet.

Ich erreiche Logan bei Sonnenuntergang. Das Licht ist so wunderbar, dass ich 3 Meilen weiter fahre, um einen besseren Blick auf die Bergketten zu haben.

Das südliche Tor zum Logan Pass. Unscheinbar liegt es da. Doch seine Schwierigkeiten verbergen sich in den Bergen hinter der nächsten Straßenkehre.

Kurz vor Einbrechen der Dunkelheit erreiche ich meine heutigen Gastgeber Mitchell und Kate. Herzallerliebst, freundlich und sehr aufgeschlossen nehmen sie mich in Empfang. Wenige Minuten später befinden wir uns schon im Supermarkt, wo wir noch einige Lebensmittel einkaufen.

Wieder zuhause bereiten beide das Abendessen. Mein bescheidener Beitrag beschränkt sich auf das Befüllen eines Topfes mit kaltem Wasser, den ich anschließend zum Erwärmen auf den Gasherd stelle. Dann darf ich mich zum Ausruhen hinsetzen.

Beide sind sportlich aktiv. Mitchell ist leidenschaftlicher Biker und Kate liebt das Freeclimbing. So führen wir während des Abendessens eine angenehme und anregende Unterhaltung. Gegen 22.00 Uhr verabschieden sich beide zur Nacht und verlassen das Haus wohl für eine Spaziergang. Müde ziehe ich mich aufs Zimmer zurück, wo ich nach wenigen Minuten erschöpft und dankbar für die freundliche Aufnahme einschlafe.

Von Wayan nach Dingle, Idaho

9. September 2024

Heute geht es durch Idahos Kornkammer. Überall sehe ich reifes Getreide, das noch auf den Halmen steht. Es ist Erntezeit und auf vielen Feldern verrichten Mähdrescher ihr Werk.

Gegen Mittag erreiche ich Soda Springs. Ganz in der Nähe befindet sich ein Phosphatwerk, betrieben von Monsanto / Bayer. Die Abraumhalden dieses Bergbaus haben gewaltige Ausmaße.

Hinweisen möchte ich noch auf den Oregon Trail, der für einige Meilen neben dem Highway verläuft, auf dessen breiter Schulter ich heute unterwegs bin. Der Oregon Trail war eine 3.490 km lange, in Ost-West-Richtung verlaufende, für große Wagenräder genutzte Route. Er war ein Auswandererpfad in den Vereinigten Staaten, der den Missouri River mit Tälern im Oregon-Territorium verband. Es ist erstaunlich, wie gut die Spuren der zehntausende von Wagenrädern heute noch im Gelände erkennbar sind.

Bryce hatte mir einige Sehenswürdigkeiten von Soda Springs genannt, die ich heute Morgen aufsuche. Das sind u.a. zwei Quellen, denen kohlensäurehaltiges, carboniertes und vor allem trinkbares Wasser entspringt. Der Geschmack ist gewöhnungsbedürftig. Ich fülle mir eine Flasche dieses leckeren, herben Wassers.

Vom Hooper Spring geht es nach Soda Springs in den Ort hinein. Dort gibt es eine weitere Quelle. Was mich aber besonders interessiert, ist nicht diese zweite Quelle, sondern der Geysir, der fast ein bisschen verloren scheint, da gerade Straßenbaumaßnahmen in der Nähe ausgeführt werden.

Nach einem kleinen Umweg erreiche ich den Geysir, der jede Stunde für ein paar Minuten aktiv ist. Eigentlich wäre er viel aktiver, aber Wissenschaftler argumentierten, das die Aktivität dieses Geysirs einen negativen Einfluss auf die Aktivität des Old Faithful im Yellowstone Park habe, der immerhin über 100 Meilen nördlich von Soda Springs liegt.

Das zwang zum Einbau eines Ventils, welches nun einmal in der Stunde für ein paar Minuten geöffnet wird und diesen wunderschönen Geysir sprudeln lässt.

Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat sich um den Geysir herum eine mächtige, leuchtende Sinterterasse gebildet, von der ich sehr beeindruckt bin.

Dann suche ich das Courthouse auf, wo ich Bryce an seinem Arbeitsplatz antreffe. Er begrüßt mich herzlich und nimmt sich Zeit, mir die Kollektion seines Großvaters zu zeigen und über ihre Entstehung zu berichten. Anschließend darf ich mir diese Sammlung in Ruhe anschauen und er erlaubt mir, einige Fotos zu machen.

Über Jahrzehnte hat sein Großvater diese Artefakte gesammelt. Im Sommer war er draußen im Gelände unterwegs. Im strengen, kalten Winter stellte er dann nach eigenen Kriterien die Sammlung in kleinen verglasten Rahmen zusammen.

Am Ende seines Lebens verfügte er, dass diese Sammlung vor Ort verbleibt …

John Carlyle Smith, who put together this beautiful collection throughout his life.

Ein Geschenk für die nächsten Generationen …

Nach über einer Stunde verabschiede ich mich von Bryce, schwinge mich aufs Rad und mache mich auf den Weg zum Bear Lake. Ich folge damit seiner Empfehlung und bin gespannt, was mich erwartet.

Gelegentlich kommt mir Schwerlastverkehr entgegen. Das ist erträglich. Schwieriger ist es, wenn mich solche Fahrzeuge überholen. Besonders, wenn kein Begleitfahrzeug vorauseilt, dass mich mit seinem rückwärtigen Schriftzug „oversized vehicle“ warnt. Denn dann bin ich vorbereitet und kann notfalls die Straße verlassen.

Überall wird geerntet. Getreide und Wiesen bringen einen üppigen Ertag.

Am späten Nachmittag mache ich ein letztes Mal Halt an einem Truckstopp. Ein älterer Herr spricht mich an und kommt schwer ins Staunen, als ich ihm vom Verlauf meiner Reise erzähle. Als ich ihm auf seine Fragen hin mein Alter nenne, ist er komplett sprachlos. Er hat dasselbe Alter …

Es ist spät am Nachmittag. Die Sonne senkt sich bereits herab und eilt dem Horizont entgegen. Ich liebe diese Tageszeit, taucht sie doch die Landschaft in traumhaftes Licht.

Es sind mitunter nur Minuten. Aber diese Minuten setzen dem Tag die leuchtende Krone auf und lassen mich immer wieder Staunen.

Schließlich erreiche ich den kleinen Ort Dingle, nördlich des Bear Lake. Ich entdecke einen Sportplatz und suche einen Verantwortlichen, um mir eine Erlaubnis für die Übernachtung zu holen. In einer kleinen Gruppe von hier lebenden Einwohnern finde ich Ansprechpartner, die mir diese Erlaubnis erteilen.

Als Dankeschön gebe ich ihnen meine Visitenkarte und erzähle ihnen von meinem Projekt: a bike, a tent, a year. Aufmerksam hören sie zu und sind begeistert. Auch ich bin begeistert, habe ich doch einen guten Platz zum Übernachten gefunden.

Dunkel senkt sich über das Land und glücklich und dankbar schließe ich meine Lieder. Das war ein wundervoller Tag.

Von Jackson, Wyoming nach Wayan, Idaho

8. September 2024

Heute morgen lasse ich es ganz langsam angehen. Die Nacht war ruhig. Gegen 7.00 Uhr sind es noch 5° C. Schon eine Stunde später ist die Temperatur um einige Grade gestiegen. Bis auf das Zelt packe ich alle Sachen zusammen. Da ich das Zelt im Schatten eines Apfelbaumes aufgebaut habe, dauert es mit dem Trocknen etwas länger.

Ich habe mit Geneva vereinbart, dass ich gegen 9.00 Uhr zum Frühstücken ins Haus komme. Dort herrscht bereits reger Betrieb. Wie schon in den vergangenen Tagen brauche ich auch heute morgen nicht mitzuhelfen. Ich darf mich ganz als Gast fühlen.

Im Gespräch mit Geneva komme ich noch einmal auf die häufig gebrauchte Redewendung „Help yourself“ zu sprechen und meine Schwierigkeiten, diese Worte richtig zu deuten.

Nicht jeder Gastgeber mag es, wenn man in seiner Küche herumwirtschaftet. Nicht jeder Gastgeber möchte, dass ich als Gast das Bett abziehe. Und wie die Dusche behandelt werden sollte (ich möchte immer alles tip top hinterlassen), darüber gehen die Meinungen auch weit auseinander. Es gibt keine universelle Anwendbarkeit.

Also ist es jedes Mal eine neue Aufgabe herauszufinden, was mir der Gastgeber mit diesen Worten sagen will. Jeder hat sein eigenes System. Mal passt mein Verhalten in dieses System wunderbar hinein. Ein andermal liege ich daneben. Meine Zurückhaltung hilft mir, solche Situationen besser einzuschätzen.

Zum Abschied überreicht mir Geneva noch ein Lunch-Paket. Schnell ist das mittlerweile trockene Zelt eingepackt und verstaut. Noch ein Abschiedsfoto und eine warmherzige Umarmung. Und dann bin ich auch schon wieder auf der Straße.

Dank Genevas genauer Ortsbeschreibung finde ich mich in Jackson super zurecht. Ich komme an den empfohlenen Märkten vorbei, wo ich noch ein wenig einkaufe. Und um zwölf Uhr verlasse ich dann endgültig die Stadt. Auf einem ausgebauten Fahrradweg, der sich neben dem Highway durch die Landschaft windet, komme ich gut voran.

Der Fahrradweg windet sich durch das Tal des Snake-Rivers. Da ich in Fließrichtung des Flusses fahre, geht es die nächsten 40 Kilometer bergab. Ich bin so gut ausgeruht, das ich den Abschied von Jackson in vollen Zügen genießen kann. Ich habe nicht einmal große Lust zum Fotografieren. Ich genieße einfach nur die Landschaft für mich.

Und immer wieder kommen mir Gedanken zu meiner letzten Gastgeberin. Ihre Fürsorge und Gastfreundschaft waren für mich beispiellos. Und der Weg, den ich gehe, die Art und Weise, zeigen einmal mehr, wie wichtig es ist, dass ich als Reisender, als Fremder, als Unbekannter auf meine Gastgeber zugehe und ihnen zeige, wer ich bin und was ich tue. Ich kann nicht erwarten, dass die Gastgeber von sich aus auf mich zukommen wohlwissend, was ich jetzt gerade brauche.

So fliegen die Stunden dahin. Stumm zieht die Landschaft an mir vorbei.

Am späten Nachmittag treiben mich Regenwolken voran. Kommen näher. Aber erreichen mich nicht. Ich komme durch kleine, verlassene Ortschaften, Alpine, Etna, und lande bei Sonnenuntergang in dem kleinsten aller Orte an diesem Tag, in Wayan.

Etwa 200 Meter von der Straße entfernt fahre ich in die Einfahrt einer Farm. Der Hausbesitzer steht auf dem Hof und wir kommen ins Gespräch. Nachdem ich mich vorgestellt habe, schlägt er mir einen Platz vor, wo ich mein Zelt aufschlagen kann. Ich bin so froh, denn die Sonne verschwindet schon hinter dem Horizont und bald wird es Dunkel sein.

Mein Gastgeber heißt Bryce. Wie ich erfahre, ist er in der Verwaltung der Stadt Soda Springs tätig. Ich darf bei ihm die Dusche benutzen, was jedes Mal ein Highlight für mich ist. Bryce stellt mich zuerst seiner Ehefrau Shawney vor, die noch an den Folgen einer Knieoperation laboriert. Den Abend verbringen wir gemeinsam in ihrem Wohnzimmer.

Ich erzähle von meinen Reisen. Aber auch davon, wie viel Hilfe es mir bedeutet, wenn meine Hosts sich mit mir hinsetzen und für die nächsten Tage den weiteren Verlauf meiner Reise mit mir gestalten.

Und in dieser Hinsicht ist Bryce unschlagbar. Er füttert mich fortwährend mit Informationen, macht Vorschläge über die nächsten zwei Tage hinaus und liefert mir eine Fülle neuer Ideen, die bis zum Copper Canyon in Mexiko reichen. Was für eine Bereicherung! Was für ein Geschenk für mich, das Bryce mir da bereitet. Und das Schöne daran ist, dass er all diese Orte selbst bereist hat.

Im Wohnzimmer entdecke ich in einem Bilderrahmen eine kleine Kollektion von Pfeilspitzen aus Obsidian indianischer Herkunft, die mich begeistern. So schöne Objekte hatte ich bisher nie gesehen. Alle Pfeilspitzen in einem tadellosen Zustand und in liebevoller Anordnung wunderbar in Szene gesetzt.

Bryce erzählt mir, dass sein Großvater von Kindertagen an eine Leidenschaft für diese Artefakte entwickelt hat, die bis zu seinem Ableben anhielt. Und dann erzählt er mir, das sich in dem Nachlass seines Großvaters über 6.000 komplette, unbeschädigte Pfeispitzen, Messerklingen, Speerspitzen Bohrer, Ahlen und andere Gerätschaften aus Stein befinden.

Obwohl diese Sammlung dass Interesse der Smithsonian Institution und weiterer namhafter Forschungseinrichtungen erweckte, war es der Wunsch des Großvaters, diese Sammlung lokal zu erhalten. Sie befindet sich heute im Courthouse in Soda Springs und ist öffentlich zugänglich. Somit steht mein Entschluss für den folgenden Tag fest: ich werde das Courthouse in Soda Springs aufsuchen. Mit diesem Geschenk hatte ich nicht gerechnet.

Nun habe ich die ganze Zeit von Bryce berichtet. Aber an den Planungen war auch seine Ehefrau Shawney beteiligt. Und so bedanke ich mich bei Beiden für diese wunderbare Gastfreundschaft und den tollen Abend.

Mein Dank geht aber auch an Euch. Für Euch schreibe ich diesen Blog. Ich freue mich über Eure Begleitung. Wie viele Menschen lesen mittlerweile diesen Blog, von denen ich gar nichts weiß. Lasst mir doch einen Kommentar da. Es ist mein Wunsch, dass Ihr Freude daran habt. Und immer erfreuen mich Eure Kaffees. Vielen Dank! Ich radle derweil weiter.