Jo's DreamA bike. A tent. A year.

Archive - 2024

Von Tehachapi nach San José, California

Mein erster Blick auf den Pazifik – mit Tränen in den Augen …

17. + 18. Oktober 2024

Ich habe schlecht geschlafen. Das Bett was super angenehm. Es war ruhig und angenehm kühl im Haus. Aber der Rücken läßt mich nicht ruhen.

So entscheide ich mich, eine Pause einzulegen und mit Bus und Bahn nach San José, kurz vor San Francisco, zu fahren. Es geht also nach Norden, denn ich möchte noch einmal über die Golden Gate Bridge, bevor ich direkt am Pazifik entlang wieder in den Süden nach Mexiko fahre für meinen Visa Run.

Nach einem leckeren, kräftigenden Frühstück bedanke ich mich nochmals bei Abel und Kim für die Gastfreundschaft, Unterstützung und Rücksichtnahme auf meine Gesundheit. Dann fährt mich Abel hinunter nach Tehachapi zur Bushaltestelle.

Da ich das erste Mal den Bus nutze, zeigt mir der Busfahrer wohlwollend, wie ich das Fahrrad in den Fahrradträger, der vorne angebracht ist, einstelle und sichere. Das Gepäck ist schnell im Fahrgastraum auf einer speziellen Fläche verstaut.

Ich sitze im klimatisierten Bus. Draußen brennt die Sonne und vertreibt schnell die morgendliche Kühle. Zum ersten Mal zieht die Landschaft an mir vorüber wie in einem Film. Als ich in Bakersfield aussteige, ist die Außentemperatur schon wieder etliche Grade emporgeklettert.

Die Fahrt hatte 2 Dollar gekostet für 35 Meilen. Es fällt mir schwer, das Fahrrad aus dem Fahrradträger am Bus herauszuheben. Dann verzurre ich mein Gepäck und schiebe das Rad zum Amtrak-Bahnhof. Das Ticket bis San José kostet 42 Dollar inklusive Rad.

Nach 2 Stunden Wartezeit fährt der Zug ein. Mein Fahrrad wird samt Gepäck in den Gepäckwagen geschoben und ich nehme nur das Notwendigste und Wichtigste an mich. Von der Last befreit, begebe ich mich auf den Sitzplatz.

Der Zug ist nur mäßig gefüllt. Und die nächsten Stunden döse ich vor mich hin, immer wieder bemüht, eine Körperhaltung zu finden, die den Schmerz im Rücken lindert.

Um 16.45 Uhr erreiche ich Stockton, California. Dort steige ich in einen Bus um und erreiche um 18.50 Uhr San José.

Es ist bereits dunkel und ich habe noch kein Quartier. So fahre ich in dieser Stadt in die Nacht hinein. San José hat gut 1 Millionen Einwohner. Alle Versuche, vorab eine Unterkunft zu finden, waren fehlgeschlagen und ich überlege, die Nacht vielleicht bei McDonald’s zu verbringen. Die haben bis 2.00 Uhr geöffnet und schließen, um morgens um 4.15 Uhr wieder zu öffnen.

Als ich dort eintreffe, steht ein Sicherheitsbeamter im Eingang, den ich anspreche. Er bedeutet mir, dass ich mich lediglich dreißig Minuten zum Einnehmen meiner Mahlzeit im Restaurant aufhalten darf. Also wird das nichts.

Während meines Aufenthalts bei McDonald’s flattert plötzlich über die Warmshowers App eine Nachricht von Vikki und Mark herein: „If you still need somewhere to go, you are welcome here.“ Erleichtert atme ich auf.

Zwar muss ich noch 7 Meilen durch diese große Stadt fahren. Aber gegen 21.15 Uhr erreiche ich das angegebene Ziel. Vikki und Mark erwarten mich bereits.

Es fällt mir schwer, vom Fahrrad zu steigen und die wenigen Meter ins Haus zu laufen. Und Vikki erkennt sofort, dass es mir nicht gut geht. Sie arbeitet im Pflegedienst in der Stanford-Klinik. Und so bieten mir Beide die Möglichkeit, den folgenden Tag bei ihnen im Haus zu verbringen und mich zu erholen. Ich kann gar nicht beschreiben, wie viel Erleichterung das in mir auslöst.

Nach einem Duschbad und einem gemeinsamen Abendessen, kann ich mich zurückziehen. Ich nehme noch ein paar Schmerztabletten. Dann ist der Tag für mich zu Ende. Da ich die vergangenen Nächte wenig geschlafen habe, hat sich bei mir ein ordentliches Schlafdefizit angesammelt. Und zum ersten Mal seit Tagen kann ich ein- und durchschlafen, ohne bei jeder Drehung wach zu werden.

Den folgenden Tag verbringe ich in San José. Ich verlasse das Haus tagsüber nicht, sondern ruhe immer wieder und mobilisiere mich zwischendurch vorsichtig. Im Laufe des Tages verbessert sich meine Situation deutlich. Und am Abend laden mich Vikki und Mark zum Bummel und Dinner auf einem Flohmarkt ein.

Meine Körperhaltung ist nicht mehr so schief und langsam entspannt sich die Muskulatur im Rücken. Auch das Gehen fällt mir jetzt wieder leichter. Ich werde schauen, wie es sich morgen früh anfühlt.

Wie immer, so sind auch heute die Gespräche miteinander das Salz in der Suppe. Es macht mir immer wieder Spaß, mich an den Konversationen zu beteiligen. Und jedes Mal wird auch ein wenig über die lokale Politik gesprochen. Dabei steht die bevorstehende Wahl am 5. November im Vordergrund.

Und auch hier stelle ich fest, dass ich in einem sehr liberalen Haus untergekommen bin. Wir teilen die Hoffnung, das Kamala Harris ins Weiße Haus einziehen wird.

Es ist immer wieder interessant festzustellen, dass es im Grunde keinen Unterschied macht, wer mich einlädt. Die Gastfreundschaft ist in allen Fällen stark. Lediglich die politischen Ansichten differieren. Und das sagt mir, dass die Menschen grundsätzlich gute Absichten hegen, wenn es um das direkte, familiäre Miteinander geht.

Mir ist es bis heute nie passiert, dass mich jemand wegen meiner politischen Haltung kritisiert oder gar des Hauses verwiesen hat. Die Gespräche waren immer von gegenseitigem Zuhören und Respekt geprägt.

Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich mit dem Fahrrad unterwegs bin und zumindest in der Warmshowers App, die ja eine große Radfahrergemeinde repräsentiert, überwiegend liberal denkende Menschen antreffe.

Vielleicht liegt es auch an mir selbst und der Art und Weise, wie ich all den Menschen hier begegne. Auf alle Fälle komme ich sehr gut durch dieses großartige Land mit seiner bunten Vielfalt an Nationalitäten …

Ich weiß, dass ihr mich begleitet. Ihr freut euch mit mir und leidet mit mir. Bis vor 5 Monaten habe ich Freude und Leid im Stillen erlebt. Es jetzt öffentlich zu tun, ist eine Herausforderung und gelingt mir nur im Vertrauen. Eure liebevolle Begleitung bedeutet mir viel.

Eine mir sehr nahestehende Person hat gesagt:

Zeit wird vergehen und Du nimmst alles mit: die Ups und die Downs. Und all das formt am Ende Deine Geschichte.

Von Boron nach Tehachapi, California

16. Oktober 2024

Um 6.15 Uhr wache ich auf. Mein Rücken quält mich. Es fällt mir schwer, mich zu bewegen. Trotzdem fange ich an, zu packen.

Die Sonne steht noch hinter dem Horizont und es ist empfindlich kühl. Ich schätze die Temperaturen heute Morgen auf 10°C und schütze meinen schmerzenden Rücken gegen die Kälte mit einer Fleecejacke.

Einzeln schleppe ich die Packtaschen, die Lenkertasche, das Rackpack und die Taschen mit den Lebensmitteln zurückt auf die asphaltierte Straße, auf der ich gestern Abend westwärts ins Nirgendwo geradelt und am abgesperrten Minengelände der Rio Tinto Minerals gelandet war.

Zuletzt trage ich das Fahrrad zurück auf die Fahrbahn. Es ist schon komisch, das Fahrrad durch die Wüste zu tragen. Doch aus Angst vor den Dornen, die hier massenhaft gedeihen, ist es sinnvoll. Mit der Geißel im Rücken dauert es eine Weile, bis ich alle Gepäckstücke auf dem Fahrrad verzurrt habe.

Ohne zu wissen, wie ich hier rauskommen soll fahre ich los. Nach einigen 100 Metern mündet die stillgelegte Asphaltstraße in eine befahrene Straße. Und nach weiteren 200 Metern zweigt ein Zubringer zum Highway ab, auf dem das Fahrradfahren verboten ist.

Direkt an der Abzweigung zur Auffahrt steht ein Verkehrsschild mit der Aufschrift: „Pedestrians, Bicyclists and motor’driven Bicycles are prohibited!“ Ich habe dieses Schild so verinnerlicht, das mir im ersten Moment der kleine Unterschied nicht auffällt. Erst beim zweiten Hinschauen erkenne ich, dass das Wort bicycles unkenntlich gemacht wurde.

Es interessiert mich nicht, wer das gemacht hat. Ich bin einfach nur froh, dass sich mir so schnell eine Lösung bietet. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Und ich danke demjenigen, der das Wort bicycle durchgestrichen hat, für seine Weitsicht.

Zwar fluche ich über die Navisysteme, die ich verwende. Aber dann gestehe ich mir ein, dass das Navi überhaupt keine Schuld hat. Es hatte den Weg richtig angezeigt. Die Minengesellschaft Rio Tinto sollte überlegen, in solchen Fällen eine Beschilderung anzubringen, die die Wegführung um das Minengelände erleichtert.

Obwohl mein Rücken gewaltig reißt, setze ich meine Reise erleichtert fort.

Ich habe mir bei der Hundeattacke einen ordentlichen Hexenschuss zugezogen, der mich in meiner Bewegungsfreiheit erheblich einschränkt. So erreiche ich erst gegen 10.00 Uhr Mojave.

Da ich bei McDonalds keine Möglichkeit habe, mein Smartphone aufzuladen, ziehe ich weiter zu Starbucks. Hier erhalte ich die Möglichkeit. Um die Zeit zu überbrücken und wenigstens etwas zu Verzehren, bestelle ich einen Energydrink. Geschmacklich das Scheußlichste, was ich bisher in den USA zu Trinken bekommen habe.

Die Geschmacksnote ist für mich nicht definierbar. Aber wenigstens steht etwas auf dem Tisch, solange ich warte. Während dieser Zeit nutze ich die Gelegenheit, in Tehachapi einen Gastgeber zu suchen und habe Riesenglück. Bereits wenige Minuten, nachdem ich meine Nachricht rausgeschickt habe, erhalte ich Antwort. Abel meldet sich und bietet mir ein Quartier. Ich bin so glücklich über seine Nachricht.

Wegen meiner Rückenschmerzen frage ich in Mojave nach einer Möglichkeit, den öffentlichen Nahverkehr nutzen zu können. Und tatsächlich scheint das zu funktionieren. Also fahre ich zur Bushaltestelle. Dort komme ich mit einem wartenden Fahrgast ins Gespräch und erfahre, dass ich nur mit Bargeld bezahlen kann. Da ich kein Bargeld bei mir führe, fällt die Option Bus aus. Und so mache ich mich mit dem Fahrrad auf den Weg nach Tehachapi.

Dann überquere ich die Bahnlinie und biege auf die Oak Creek Road ab. Sie führt mich durch einen der größten Windparks weltweit.

Annähernd 4.000 Windräder sind hier versammelt und erzeugen den Strom für Los Angeles. Während ich bergauf fahre, nimmt der Wind immer mehr zu. Und nachdem ich den Pass überschritten habe, weht er so stark, dass ich während der Bergabfahrt zeitweise in die Pedalen treten muss.

Ich bin beeindruckt von der gleichmäßigen Kraft des Windes, der hier über die Bergkuppe strömt.

Schließlich erreiche ich Tehachapi, wo mich mein Gastgeber Abel mit dem Auto abholt. Ich bin so froh und dankbar über diese gute Tat. Abel wohnt ca. 6 Kilometer den Berg hinauf. Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt noch geschafft hätte.

Am Haus in den Bergen erwarten mich bereits seine Frau Kim und der Doberman Peso. Trotz der Hundeattacke gelingt es mir, bei ihm meine Ängste abzubauen.

Während meines Aufenthaltes kann ich erleben, wie gut Abel und seine Frau Kim mit dem Dobermann umgehen. Er ist ein ganz liebenswerter Kerl und hört aufs Wort.

Ich bin ausgelaugt, müde, matt und habe starke Rückenschmerzen. Und so ziehe ich mich schon bald ins Gästezimmer zurück und lege mich zu Bett. Dankbar für die mir entgegengebrachte Freundlichkeit, Herzlichkeit und Hilfe. Jetzt brauche ich nur noch Ruhe.

Vom Barstow-Dagget Airport nach Boron, California

Sonnenaufgang auf dem Airport

15. Oktober 2024

Ich habe auf dem Gelände des Airports Barstow-Dagget übernachtet. Gleich hinter dem kleinen Gebäude, das als „Pilot Briefing Room“ verwendet wird, habe ich eine freie, brauchbare Fläche gefunden.

Um 6.30 bin ich wach. Und während ich mein Zelt abbaue, kommt ein Sicherheitsbeamter mit dem Fahrzeug vorbei und fragt: „What’s up?“ Ich erkläre, dass ich die an dem Office angegebene Telefonnummer angerufen und von dort die Freigabe habe, außerhalb des umzäunten Geländes mein Zelt aufzuschlagen.

Außerdem habe mir der Mann den Sicherheitscode zu dem Briefing Room gegeben, damit ich den Restroom benutzen kann. „OK! Wenn der Mann das gesagt hat, dann ist das okay.“

Ich will gerade mein Zelt zusammenpacken, da kommt erneut ein Sicherheitsbeamter im Pickup vorbei, parkt neben mir und steigt aus. Er spricht mich an. Ich erkläre ihm, dass ich mir die Erlaubnis geholt habe, mein Zelt aufzuschlagen. Das interessiert ihn alles nicht. Ich habe hier nicht zu campen. Das sei alles staatliches Eigentum und ich habe sofort zu gehen.

Ich wiederhole, dass ich die Telefonnummer am Büro angerufen und eine Freigabe habe, außerhalb des umzäunten Geländes mein Zelt aufzuschlagen. Der Mann hört mir nicht zu und wiederholt, dass ich auf staatlichem Gelände nicht campen darf.

Diesen Satz wiederholt er wohl 8 oder 9 Mal. All meine Bemühung ihm zu erklären, wie es dazu gekommen ist, dass ich hier jetzt campe, schlagen fehl. Der Mann wiederholt immer nur den einen Satz, dass ich hier nicht campen darf.

Schließlich bitte ich ihn, mir zehn Minuten zu geben, dann sei ich verschwunden. Er sagt okay und wiederholt sein Verbot ein 10. Mal. Dann steigt er in sein Auto und fährt davon. Zehn Minuten später bin auch ich auf dem Fahrrad unterwegs.

Da ich Zugang zu dem Restroom hatte, konnte ich mich frisch machen und außerdem mein Handy laden. Während ich mein Handy im Briefing Room vom Netz nehme, sind schon einige Mitarbeiter da. Freundlich bedanke ich mich für die Möglichkeit, das Gebäude nutzen zu dürfen und erhalte eine freundliche Erwiederung. Dann bin ich auch schon weg.

Letzter Hinweis für das Flugpersonal. Dann bin ich wieder auf einer öffentlichen Straße.

Zurück auf der Straße muss ich mich erst ein wenig orientieren. Nach kaum 6 Meilen endet die Route 66 an einem militärischen Kontrollpunkt. Dieser Streckenabschnitt führt direkt durch ein militärisches Logistik Zentrum. Aber man erklärt mir sofort, dass ich auf dieser Strecke die Interstate 40 bis zur nächsten Ausfahrt benutzen darf.

Um 9.30 Uhr erreiche ich schließlich Barstow, wo ich erst einmal einen Kaffee, bei McDonalds trinke und Frühstücke. Irgendwie ist heute alles anders. Das Frühstück ist extrem teuer und beinhaltet überhaupt keinen Kaffee. So wende ich mich ans Personal und weise darauf hin … und habe Glück.

Wenigstens ist der Kaffee ist kostenlos. Von hier aus gehts zu Wallmart, um meine Lebensmittelreserven, die mittlerweile komplett aufgebraucht sind und auch neues Wasser einzukaufen.

Ja, das Thema Wasser ist tatsächlich ein Problem. Hatte ich in der Vergangenheit oftmals mein Trinkwasser am Wasserhahn aufgefüllt, unterlasse ich das seit Tagen, weil ich an jedem zweiten Wasserhahn das Schild „Non potable“ entdecke. So beiße ich im Augenblick auch in diesen sauren, teuren Apfel.

Heute war kein guter Tag. In Barstow mache ich erst einmal Halt, frühstücke und kaufe Lebensmittel bei Walmart ein. Dann verlasse ich die Stadt auf der empfohlenen Fahrradroute.

Ich bin noch nicht ganz raus aus der Stadt, da ertönt lautes Hundegebell. Erst Einer, dann ein Zweiter und gleich darauf ein Dritter. Jetzt beginnt die Hatz. Ich trete mit aller Kraft in die Pedalen. Die Hunde kommen näher.

Zwei der Hunde erinnern stark an das, was wir als Kampfhunde bezeichnen. Ihr Körpergewicht schätze ich auf 30 Kilogramm. Während sich einer der beiden in meine Fahrradtasche verbeißt, versucht der andere, mir auf der rechten Seite ins Bein zu beißen. Ich bin kein Hundekenner. Und ich zweifle keine Sekunde daran, dass das Tier mich beißen wird, ob ich in die Pedalen trete oder nicht.

In meiner Angst und Not schaffe ich es, diesem Hund einen kräftigen Tritt direkt auf die Schnauze zu verpassen. Ich muss wohl richtig zugetreten und getroffen haben, denn der Hund dreht ab und entfernt sich seitlich ein paar Meter von mir.

Einen kurzen Augenblick später lässt auch der zweite Hund meine Packtasche los. Er versucht zwar, mir ins Bein zu beißen. Aber entweder ist meine Geschwindigkeit schon zu hoch oder die Kondition der Hunde zu schwach. Und so lassen beide schließlich von mir ab.

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich habe fast keine Puste mehr und es braucht wohl zehn Minuten, bis sich meine Atemfrequenz und mein Puls wieder normalisiert haben. Trotzdem trete ich weiter in die Pedalen. Und erst ca. 90 Minuten später halte ich an und ruhe mich ein wenig aus.

It’s Halloween-Time

Der kleine Ort Boron, in der Nähe einer Borax Mine gelegen.

Bevor diese gewaltigen LKW zum Einsatz kamen, übernahmen 20 Esel die Aufgabe, das boraxhaltige Gestein aus der Mine zu transportieren.

Frontage Road – noch ist sie eine Asphaltstraße …

… die schon bald in eine Schotterpiste übergeht.

In dieser Zeit führt mich mein Navi auf eine sogenannte Frontage Road, eine unbefestigte Schotterpiste durch die wüstenartige Landschaft. Zuerst 7 – 8 Meter breit und einigermaßen befahrbar wird die Straße zu einer einspurigen Piste durch die Wüste. Das verringert meine Geschwindigkeit erheblich. Und ich werde mein Ziel Mojabe heute wohl nicht mehr erreichen.

Vielleicht schaffe ich es noch bis zur Edwards Air Force Base, denke ich. Aber auch das will nicht mehr gelingen, denn plötzlich ist meine Piste zu Ende. Ohne jegliche Ankündigung versperrt ein verschlossenes Tor mir die Weiterfahrt. Mitten auf der Straße. Es gibt auch kein Hinweisschild, dass mir sagt wo ich lang soll.

Lediglich ein kleines Schild der Rio Tinto Minengesellschaft verweist darauf, dass das Gelände kameraüberwacht und das Betreten verboten ist. Ein aufwendiger Stacheldrahtzaun beidseitig des Tores verliert sich am Horizont.

Südlich in 2-3 Meilen Entfernung verläuft der Freeway, auf dem das Radfahren verboten ist. Nach Norden verliert sich die Sandpiste ebenfalls am Horizont. Ich entscheide mich zum Freeway zu fahren. Aber ein Fahren ist nicht möglich, da die Piste eher einer Sandkiste gleicht.

So schiebe ich keuchend das Fahrrad an dem Stacheldrahtzaun entlang, bis ich schließlich nach Sonnenuntergang ein kleines Stück Asphaltstraße erreiche, welches aber wiederum durch einen Stacheldrahtzaun vom Freeway getrennt ist.

Ich folge diesem Asphaltstück nach Westen, wo es gleichsam in eine Sandpiste übergeht, die ebenfalls nach einigen 100 Metern an einer Absperrung endet. Ich mache kehrt und fahre zurück zum Ausgangspunkt.

Sunset und noch immer kein Lagerplatz

Die Dunkelheit bricht herein. Nach vielleicht einer halben Meile finde ich einen kleine buschfreie Sandinsel, die sich augenscheinlich gut eignet, um mein Zelt aufzuschlagen. Der Weg zu dieser Sandinsel ist allerdings mit dornigem Gestrüpp übersäht. So lade ich mein Gepäck auf der Asphaltstraße ab und schleppe alles einzeln zur Sandinsel hinüber.

Die letzten Spuren des Tages versinken hinter dem Horizont. Trotzdem habe ich noch genügend Licht, denn schräg über mir steht ein silbrig leuchtender Mond am Himmel. Routiniert baue ich mein Zelt auf. Doch die Heringe fassen in diesem lockeren Boden nicht. So benutze ich meine Fahrradtaschen und mein Fahrrad, um meinem Zelt Form und Stabilität zu verleihen.

Es ist 18.45 Uhr als ich endlich in meinem Zelt auf meiner Matte liege. Ich bin müde und ausgelaugt. Der Schock der Hundeattacke steckt mir mächtig in den Knochen. Das Abendmahl nehme ich im Liegen ein. Und schon bald darauf versinke ich in einen tiefen Schlaf. Gegen Mitternacht werde ich einmal wach, nur um wenigen Minuten später wieder ein- und durchzuschlafen bis um 6.30 Uhr der nächste Tag beginnt.

Von Essex zum Barstow-Dagget Airport, California

14. Oktober 2024

Ich wache erst nach Sonnenaufgang auf. Die Nacht verlief sehr ruhig und ich konnte mich gut erholen. An der Tankstelle herrscht bereits reger Betrieb. Und so bin ich froh, als ich nach einer halben Stunde wieder auf meinem Rad sitze und in den Tag starte.

Bis Ludlow ändert sich das Antlitz der Mojave Wüste nicht. Niedriges, teils stacheliges, dorniges, staubgrünes Buschwerk auf trockenem, gelbfarbenem, steinigem Grund bestimmt das Landschaftsbild.

Am Horizont die Silhouette eines Bergzuges, der langsam an mir vorbeizieht. Kein Vogelgezwitscher mehr. Auch sonst kann ich keine Tiere entdecken. Diese Stille wird gelegentlich von dem Motorengeräusch vorbeifahrender Autos unterbrochen. Ansonsten dringt nur der Fahrtwind an mein Ohr.

Meine Haut ist trocken. Eigentlich müsste sie klatschnass sein. Aber der heiße Wüstenwind trägt meinen Schweiß sofort mit sich fort. Lediglich Salz lagert sich im Gewebe meiner Kleidung ab und bildet unansehnliche, weiße Ränder, die niemanden stören.

Was mir schwerfällt in dieser Landschaft, ist das Abschätzen der Entfernungen. Wiederholte Male habe ich mich ordentlich verschätzt. Glaubte ich in einem Fall, der anvisierte Punkt sei noch 2-3 Meilen entfernt, musste ich feststellen, dass er tatsächlich 15 Meilen entfernt war.

So nehme ich die Entfernungen wahr, ohne daraus für mich abzuleiten, wie lange es noch dauern mag, bis ich das anvisierte Ziel erreicht habe.

Gelegentlich zieht ein Güterzug scheinbar gemächlich an mir vorbei. Ich habe mir noch einmal die Mühe gemacht und durchgezählt, was da an mir vorbeizieht:

Vorne vorweg 6 Lokomotiven, die 163 Güterwagen hinter sich herziehen. Und am Ende verleihen zwei weitere riesige Lokomotiven genügend Schub, damit der ganze Stahlwurm auch über den Berg kommt.

Dabei fällt auf, dass bei Waggons, die Standard-Container transportieren können, zwei 40 Fuß-Container übereinander gestapelt werden. Güterverkehr auf Schienen hat in den USA offensichtlich eine große Bedeutung.

Am oberen Ende der Abfahrtsrampe zur Anschlussstelle 50 der Interstate 40 liegt das Ludlow Café, ein A-förmiges, modern anmutendes Gebäude mit einigen kleinen Loren vor der Tür, die früher in Minen eingesetzt wurden.

Hier scheint es gut zu florieren. Aber irgendwie ist mir dieser Ort zu übervölkert. Und so setze ich meinen Weg fort, ohne dort einen Kaffee getrunken oder einen kleinen Snack eingenommen zu haben.

Einige Zeit später erreiche ich das Bagdad Café an der Route 66. Hier wurde 1987 der Film Bagdad Café (Out of Rosenheim) gedreht.

Nach einer Filmbeschreibung war es 1987 ein heruntergekommenes Motel am National Trails Highway in Newberry Springs, in dem sich Jasmin Münchgstettner (gespielt von Marianne Sägebrecht) nach einem handfesten Streit mit ihrem Ehemann einquartiert …

In den letzten Jahrzehnten haben Besucher alles hinterlassen, was man sich vorstellen kann. Dollarnoten, Euros, Länderflaggen, Banner von Fußballmannschaften, Polizeiabzeichen usw.

All das und vieles mehr kann man bei einem Rundgang durch das Café bestaunen.

Ich hatte das Glück, Andrea Preutt anzutreffen, die dieses Café, das ursprünglich Sidewinder Café hieß, seit Jahrzehnten betreibt. Eine reizende, unglaublich freundliche und geduldige Dame, die jetzt anfängt, deutlich vergesslich zu werden.

An ihrer Seite ein Mann, dessen Outfit mehr an die Hippie Zeit erinnert und der sich liebevoll für die Fortführung des Bagdad Cafe’s einsetzt: Freundlich, aufmerksam und geschäftlich sehr bemüht.

Die große Zeit ist wohl vorüber. Und die Zahl der Gäste verringert sich seit Jahren. Trotzdem harren die beiden an diesem Ort aus und leben weiter ihren Traum …

Neben dem Bagdad Café auf der geschotterten Freifläche stehen zwei dekorierte Wohnwagen, die irgendwie an verloren gegangene Zeiten erinnern oder eine heile Welt vorgaukeln, die es hier nicht mehr gibt.

Goldfarben leuchtet das trockene Gras im Tal …

… und am Horizont verschwinden die Berge im Abenddunst. Es ist ein friedvoller Abend.

Das Einzige, was jetzt noch fehlt, ist ein geeignetes Quartier. Auf der Suche gelange ich schließlich auf das Gelände des Barstow-Dagget Airports.

Ein großes, offenes Tor. Die durchführende Straße in einem ungepflegten Zustand. Linkerhand eine eingezäunte, dem Verfall überlassene Wohnanlage. Alles überragt von einem dahinvegetierenden Wasserturm.

Ein paar Kurven weiter ein langgezogenes Gebäude, dessen Funktion sich mir nicht erschließt. An der Südseite schließt sich ein kleines Bürogebäude an. Daneben ein Gebäude für das Piloten-Briefing.

An der Tür des Bürogebäudes ist eine Telefonnummer vermerkt, die ich nun anrufe. Am anderen Ende der Leitung meldet sich eine männliche Stimme. Ich erkläre meine Situation und man gestattet mir, mein Zelt außerhalb des umzäunten Geländes aufbauen zu dürfen. Außerdem gibt man mir den Code mit dem ich Zugang zu dem Briefing Raum erhalte, um die dortige sanitäre Anlage nutzen zu können.

Schnell ist mein Zelt hinter dem Gebäude aufgebaut. Die Nutzung der sanitären Anlage stellt für mich eine enorme Erleichterung dar. Außerdem habe ich jetzt die Möglichkeit, meine Batterien im Smartphone, Wahoo-Navi und die Powerbank aufzuladen.

Nach dem Abendessen ziehe ich mich in mein Zelt zurück und lege mich zur Ruh. An einem sicheren und wohlbeschützten Ort.