Die, die mich länger kennen, wissen, wie ungewöhnlich dieser Blog für mich ist. Früher, wenn ich auf Reisen war, bin ich einfach untergetaucht. Nach Wochen oder Monaten bin ich wieder aufgetaucht. Wenn niemand etwas von mir hörte, hieß das: Mir geht es gut!
Doch Zeiten haben sich geändert. Und ich habe mich geändert. Ich wollte mich mitteilen.
Eigentlich wollte ich nur eine Plattform haben, um meine Bilder mit Freunden und Familie zu teilen. Und ich wollte die Möglichkeit haben, die Bilder zu beschreiben. Das ich mal mit einem Blog lande, hätte ich nie gedacht.
Noch weniger hätte ich damit gerechnet, dass mir das Ganze so viel Freude bereitet. Das Gefühl, euch so lebhaft teilnehmen zu lassen, ist sehr schön. Doch zu erleben, wie ihr tatsächlich dabei seid und mich begleitet, das haut mich um und berührt mich ganz besonders.
Zahlreiche Coffees und Kommentare zeugen davon. Darum möchte ich mit euch heute ein kleines Jubiläum feiern. Eigentlich wollte ich bis zum Halbjahresdatum warten. Aber das hier verdient eine extra Würdigung.
150 Blogbeiträge
In jedem Beitrag steckt Herzblut, mein Wunsch zu teilen und Aufmerksamkeit. So möchte ich euch ein bisschen hinter die Kulissen schauen lassen:
Ihr könnt davon ausgehen, dass jeder Beitrag mindestens 2 Stunden meiner Zeit bekommt.
Zeit, in denen ich Bilder sortiere und aus einer Vielzahl (manchmal Hunderten) auswähle, das erlebte Revue passieren lasse und dann in eine App einspreche, die es in geschriebene Worte umwandelt. Dann korrigiere ich sie und sende alles in der richtigen Reihenfolge an meine Frau.
Biggi braucht eine weitere Stunde, um alles in Häppchen mit den dazu gehörenden Bildern zusammenzubauen und zu überarbeiten. Sie macht das gerne, weil sie sich so noch mehr mit meiner Reise verbunden fühlt. Mir nimmt sie damit eine Last ab und macht mir eine große Freude.
400 Kommentare
Tatsächlich sind es jetzt genau 400 Kommentare! Mit welchem Interesse ihr meine Reise verfolgt erfahre ich hauptsächlich dadurch, dass ihr mir ein Kommentar hinterlasst. Und über jeden einzigen freue ich mich tüchtig. Vielen Dank!
Bitte hört nicht auf, mir zu zeigen, dass ihr da seid. Mich spornt das unglaublich an und gibt mir die Kraft, weiterzuradeln.
XXX Coffees
Unzählige Kaffees gehen bei mir ein, das hätte ich nie erwartet. Da diese Reise weit mehr Geld in Anspruch nimmt, als ich mir hätte vorstellen können, ist das eine große Hilfe. Hätte ich gewusst, was da finanziell auf mich zukommt, wäre ich vielleicht nie losgefahren.
Doch ihr helft mir dabei, meinen Traum zu verwirklichen. Auch in diesem praktischen Sinne. Aber es ist mehr: Mit jedem Coffee schenkt ihr mir Zuwendung, Aufmerksamkeit, Freundschaft, Liebe, ein Lächeln … und das kommt bei mir an. Ich kann nur immer wieder danke sagen aus vollem Herzen.
Wie es weitergeht …
Ich bin aktuell im Großraum Los Angeles und werde in den nächsten Tagen nach San Diego fahren. Ich werde kurz das Land verlassen, um dann mit einem neuen Visum wieder einzureisen. Und wenn das Glück mir hold ist, bekomme ich weitere 6 Monate. My dream shall go on! Auf das mein Traum weiterlebt!
Ich stehe bei Tagesanbruch auf. Im Dämmerlicht des heraufziehenden Morgens packe ich. Kurz nach 7.00 Uhr breche ich auf. In den beiden anderen Zelten herrscht Stille. Ohne mich zu verabschieden, schleiche ich mich von dannen.
Hinter dem Dünenwall eilt der schäumende Pazifik immer und immer wieder den flachen Strand hinauf. Sisyphus lässt grüßen. Die ersten Sonnenstrahlen treffen auf den Dünenwall und streichen angenehm über mein Gesicht. Ich bin gespannt, was mir der heutige Tag bringen wird.
Auf gut ausgebautem Fahrradweg geht es zwischen Freeway und Pazifik gen Süden. Auf dem Fahrrad ist es doch recht frisch. Und so trete ich ordentlich in die Pedalen, um mich von innen heraus zu wärmen.
Und während ich auf diese Weise langsam in Fahrt komme, sehe ich unten am Strand bereits die Surfer aktiv in ihrem Element. Sie wissen, wann und wo es die besten Wellen gibt.
Einer dieser Spots ist Rincon Point, auch „Königin der Küste“ genannt. Die Lokalität liegt an der Grenze zwischen den Bezirken Ventura und Santa Barbara im Süden Kaliforniens und gilt als eines der beliebtesten Surfziele Amerikas.
Und so ist es kein Wunder, dass schon am frühen Morgen reger Betrieb herrscht. Und erstaunlicherweise tummeln sich auch etliche Zuschauer oben an der Klippenkante. Alle warten auf „die Welle“.
Rincon Point ist für seine Anmut, Eleganz und hypnotisierenden Wellen bekannt und bietet ein unvergleichliches Surferlebnis. Es ist das winterliche Gegenstück zum Malibu Surfrider Beach.
Das Zusammentreffen besonderer geologischer Bedingungen hat Rincon seinen unverwechselbaren Charakter verliehen.
Die natürliche Landspitze von Rincon wurde durch das Wasser des Rincon Creek auf seinem Weg von den Santa Ynez Mountains zum Meer geschliffen und über Jahrtausende zu einem bemerkenswerten Delta geformt.
Die aus dem Norden heranrollende Dünung umspült die Landpitze und findet ihren Weg in eine Bucht. Da die Strände von Rincon nach Süden ausgerichtet sind, fegen Westwinde seitlich über die Wellen. Eine Bewegung die verhindert, dass sie flach werden, und ihnen hilft, ihre Form zu bewahren.
Der felsige Meeresboden von Rincon trägt zur Entstehung der begehrten zylindrischen Wellen bei, die Surfer seit Generationen verzaubert, und trägt so zur Mystik der „Königin der Küste“ bei.
Nachdem ich mich satt gesehen habe, fahre ich weiter. Der Radweg führt den Highway 1 entlang, an dem die erweitere Standspur zu einer Recreation Area erweitert wurde.
Und so nimmt es nicht wunder, dass ich an manchen Stellen über viele Kilometer an Recreation Vehicles, Wohnwagen und sonstigen mobilen Behausungen vorbei fahre. Das ist zwar für die Camper schön. Ich aber habe das Gefühl, in der zweiten Reihe zu sitzen.
Zum Glück sorgt der Fahrradweg für Sicherheit.
Die Ausgestaltung des Wegenetzes muss ich wirklich loben. Die Markierungen sind zu 90 % klar und deutlich und die Wegführung auf den Straßen und an Kreuzungen ist in der Regel gut.
In Ventura fallen mir wieder die direkt am Ufer gebauten Häuser auf.
Das bleibt für mich ein Rätsel. Das kann doch niemals funktionieren. Aber vielleicht täusche ich mich auch, und die Stürme an dieser Küste sehen anders aus, als an unseren Nordseeinseln und der Deutschen Bucht.
Neben Straße und Radweg gibt es noch die Bahn, die sich den schmalen Streifen entlang der Küste mit diesen teilt. Meistens bleibt die Bahn unsichtbar. Die Gleise fallen nur an wenigen Stellen in der Landschaft auf.
Mancher Surfer wartet unentschlossen am Strand. Es gibt so viele Möglichkeiten. Welche ist die Aussichtsreichste?
Pelikane ziehen in Reih und Glied über die Wellenkämme gen Süden.
Schließlich erreiche ich Ventura. An der Promenade entdecke ich ein Hochbeet, das mittlerweile dank vieler kreativer Menschen in eine Gedenkstätte für Mensch und Tier verwandelt wurde.
Für Tiere gilt die gleiche Formel wie für Menschen: RIP.
Hier findet man einen kleinen Querschnitt durch die amerikanische Comicwelt.
Natürlich darf Tweety nicht fehlen.
Das Gedenken an Obdachlose wird genau so geteilt wie das Andenken an verunglückte Surfer. Gedenksteine für Hunde teilen sich den immer knapper werdenden Platz mit dem Andenken an die geliebte Hauskatze. Hier sind alle kunterbunt vereint.
Es ist eine beeindruckende kleine Gedenkstätte, die über die Jahre gewachsen und heute auf der Promenade ein ganz besonderer, bunter und phantasievoller Blickfang ist.
In Ventura verlasse ich die Küste und fahre landeinwärts. Ich habe einen Gastgeber gefunden. Und nun bin ich auf dem Weg zu ihm.
Hier eine Anzeigetafel, die dem Radfahrer unterstützende Hinweise zur Querung und zum Abbiegen an einer etwas unübersichtlichen Kreuzung gibt. Das Angebot nehme ich gerne an.
Merchandising für Donald Trump. Ich dachte, das würde nach der Wahl aufhören. Aber da habe ich mich getäuscht …
Und auch Weihnachten steht vor der Tür und die ganz großen Bäume werden bereits an exponierten Stellen aufgestellt.
Pepperonies in Hülle und Fülle. Ausdruck einer Landwirtschaft, die 365 Tage im Jahr produziert.
Nach gut einer Stunde Fahrt erreiche ich meinen Gastgeber. Peter ist nur wenige Jahre jünger als ich. Er bewohnt ein recht großes Haus, das U-förmig um den zentralen Swimmingpool herum gebaut ist.
Das Haus verfügt über mehrere Schlafzimmer. Peter muss erst einmal überlegen, in welchem er mich unterbringen möchte. Mein Fahrrad stelle ich in dem großen Wohnzimmer ab.
Über dem Swimmingpool sind 5 Seekajaks aufgehängt, mit denen Peter gelegentlich kleine Touren unternimmt. Im Wohnzimmer, praktisch als Raumteiler, hängen und stehen mehrere voll ausgestattete Fahrräder. Framebags und Flaschenhalter wurden von Peter selbst hergestellt.
Die Nähmaschine steht auf dem Wohnzimmertisch immer bereit. Peter fragt mich, ob ich im Haus oder außerhalb des Hauses heiß duschen möchte. Spontan sage ich draußen. Er zieht die Augenbrauen hoch und teilt mir mit, dass die meisten Gäste das Bad bevorzugen.
Peter ist Nudist. Und so stört es ihn überhaupt nicht, wenn ich nackt über den Flur in den Garten laufe, um zu Duschen. Einmal im Jahr nimmt er an einem Fahrradevent teil, bei dem alle Teilnehmer nackt sind. Und dann erzählt er mir stahlend, dass ein Teil seiner 40 Gäste zur Halloween Party im Adamskostüm erschienen sind.
Schmunzelnd nehme ich mein heißes Duschbad im Garten. Anschließend gibt es ein leckeres Dinner, das Peter bereitet hat. Bis 22.30 Uhr führen wir eine angeregte Unterhaltung. Und wie zu erwarten, sprechen wir über die Tagespolitik in den USA.
Peter selbst hat sehr liberale Ansichten. Aber Kamala Harris war für ihn leider keine Option, so hat er sich für Trump entschieden. Auch wenn ihm das große Bauchschmerzen bereitet.
Die Zeit vergeht wie im Fluge. Und ehe ich mich versehe, ist der Abend zu Ende. Ich danke ihm für das nette, hochinteressante Gespräch. Anschließend ziehe ich mich in mein Schlafzimmer zurück.
Ein paar Minuten gehen mir noch die kontroversen Meinungen meiner Gesprächspartner der vergangenen Wochen durch den Kopf. Aber ich bin zu müde, um da noch irgend etwas zu verarbeiten. Und so gleite ich nach wenigen Minuten hinüber in den wohlverdienten Schlaf.
Nach fast 2 Wochen Pause, in denen ich meinen Rücken kuriert habe, kam gestern abend der Anruf der Werkstatt, dass das Fahrrad repariert sei. Mark hat mich und den Rest des Fahrrades sofort zur Werkstatt gefahren. Dort wartete bereits ein Monteur auf mich.
18.00 Uhr ist auch hier Feierabend. Und ich erreichte wenige Minuten nach 18.00 Uhr die Werkstatt. Schnell und kompetent wurde alles zusammengesetzt, die Schaltung justiert und 20 Minuten später waren wir auf dem Heimweg.
Ich hatte mit höheren Kosten gerechnet. Berechnet hat man mir nur die Ersatzteile. Für die Montage musste ich nur zehn Dollar bezahlen. Was für ein Geschenk …
Um 8.00 Uhr bin ich aufgestanden. Duschbad, Frühstück, Packen. Ich lasse mir heute morgen Zeit. Biggi hatte noch eine postalische Überraschung für mich auf den Weg gebracht, die noch nicht eingetroffen ist. So fahre ich erst einmal zum Postamt, wo man mir mit der Postadresse von La Jolla weiterhilft.
Nicht jedes Postamt in den USA bietet ‚General Delivery‘ an. Aber in La Jolla geht es und ermöglicht meinen Gastgeber, meine Post an dieses Postamt weiterzuleiten.
Um 11.30 Uhr verabschiede ich mich von Mark, meinem großartigen Gastgeber, der mir in den vergangenen vierzehn Tagen ein wunderbarer Gesprächspartner war.
Diese Gespräche haben mir insbesondere geholfen, das amerikanische Zweiparteiensystem, Senat, Kongress und vor allem die Denkweisen und Argumentationen, welche den beiden politischen Lagern zugrunde liegen, zu verstehen. Es ist Marks Verdienst, dass jetzt bei mir vieles klarer geworden ist.
Von Irma hatte ich mich bereits gestern Abend verabschiedet, da sie heute arbeitet. Ich bin sehr berührt über die außergewöhnliche Gastfreundschaft von Irma und Mark. 2 Wochen lang haben sie mich aufgenommen und liebevoll versorgt und waren mir aufgeschlossene Gastgeber. Das ist mehr, als ich je hätte erhoffen können. Ich danke euch von Herzen.
Doch immer mehr werde ich unruhig und es drängt mich zur Weiterfahrt. Endlich fahre ich los und erreiche nach circa 15 Minuten den Goleta Beach Park.
Fast gleichzeitig entdecke ich eine Nachricht von Mark. Er bittet mich, noch einmal zurückzukommen. Wir haben das Abschiedsfoto vergessen. Und während ich zurückradle, fällt mir auf, dass ich meinen Ersatzreifen vergessen habe. Also zurück, noch ein gemeinsames Foto machen (siehe oben). Ich verstaue die Ersatzreifen und um 12.20 Uhr bin ich endgültig unterwegs.
Im Goleta Beach Park halte ich an, um erst einmal mit meiner Frau zu sprechen: Familiepflege – mir fehlt Biggi halt auch … Gegen 13 Uhr mache ich mich auf den Weg nach Santa Barbara.
Pier von Goleta
Coast Trail, der in diesem Abschnitt parallel zum Obern Trail entlang der Pazifikküste verläuft.
Mission Santa Barbara
Gegen 14.30 Uhr erreiche ich die Mission Santa Barbara. Gegen ein beachtliches Eintrittsgeld von 15 Dollar kann ich sie besuchen. Erst erscheint mir das zuviel. Während meines Besuches stelle ich aber anerkennend fest, dass das Entrittsgeld gut in die Restaurierungsarbeiten investiert wird.
Den Audioführer lege ich schnell beiseite, er ist mir zu laut an diesem Ort der Stille. Ohne Kopfhörer mach das keinen Sinn, es quasseln mehrere Sprachen gleichzeitig durcheinander. Informationstafeln helfen mir auch so zu verstehen, was ich sehe.
Über einen mit den Füßen auf Hochglanz gebrachten kleinen Korridor …
… gelange ich in den Missionsgarten, der ringsum von langen Wandelgängen umschlossen ist.
Ich blicke in einen prächtigen Garten mit geometrischen Beeten und sich kreuzenden Wegen, die von einem runden Becken und einem Brunnen ausgehen. Die Grundstruktur dieses Gartens ist seit über 100 Jahren unverändert.
Kleinere Rasenflächen, Sträucher, Kakteen und Palmen unterschiedlicher Höhe dominieren das Landschaftsbild. Möglicherweise finde ich hier Pflanzen, die es im städtischem Bild Santa Barbaras so gut wie nicht mehr gibt.
Durch eine kleine, eher unscheinbare Tür komme ich in die große, schlicht ausgestaltete Missionskirche. Es wäre ein Sakrileg, hier den Audioguide einzuschalten. So genieße ich diesen Ort der Stille.
Der Besucherzugang teilt den Kirchenraum in zwei lange Hälften. Hier der hintere Teil des Kirchenschiffes.
Und hier der Blick zum eher schlicht gehaltenen Altar.
In zwei Nischen sind Szenen aus dem Leben Jesu dargestellt.
So wirkt diese Kirche nicht überfrachtet und lenkt den Gläubigen nicht von seiner Bestimmung ab.
Neben der Missionskirche befindet sich der kleine Friedhof. Es ist ein Gang durch die letzten 4 Jahrhunderte, und man kann erkennen, wie sich die Bestattungsriten im Laufe der Zeit verändert haben.
Kleine Mausoleen …
… gemauerte oberirdische Steingräber …
… Erdbestattungen: alle Formen der Bestattung sind zu finden. Steintafeln und Holzkreuze nebeneinander. Jedes einzelne Grab stimmt zum Innehalten.
Und modernere Formen der Bestattung, als der Platz auf dem Friedhof nicht mehr ausreichte.
Walk softly over the land; Beneath it, the ancestors sleep.
All das wird beschattet von einem gewaltigen Gummibaum, der den halben Friedhof überspannt.
Der Moreton Bay Feigenbaum ist eine nicht einheimische Pflanze. Seine Früchte sind für die Menschen nicht genießbar. Seine gewaltige Krone spendet jedoch viel Schatten.
In einem kleinen Museum werden Leben und Wirken der Mission in den vergangenen Jahrhunderten beleuchtet.
Und so schlendere ich für ein paar Minuten durch dieses historische Gebäude, in dem es weit mehr zu entdecken gibt als meine wenigen Bilder zeigen.
Große Gemälde schmücken die Flure.
Aber mich treibt jetzt die fortschreitende Zeit. So verlasse ich nach 15 Minuten das Gebäude …
Ich habe viel Zeit an diesem Ort verbracht. Nun ist es bereits 15.30 Uhr und ich mache mich auf den Weg nach Carpinteria.
Noch ein zu kurzer Abstecher ins Courthouse (Gerichtsgebäude) Santa Barbaras. Für eine geführte Tour ist es zu spät. Ich bräuchte mehr Zeit …
… Eine Wendeltreppe verbindet die Stockwerke miteinander …
… und 10 Minuten später bin ich in Santa Barbara auf dem ausgewiesenen Fahrradweg. Bis Carpinteria werde ich diesen mehr oder weniger nicht mehr verlassen.
Ich muss mich sputen. Die 14 Tage Rast und die Zeitumstellung verändern die Situation. Der Sonnenuntergang ist bereits um 17 Uhr. Und als ich um 18 Uhr den Carpinteria State Park Campground erreiche, ist es bereits stockdunkel.
Freundlich werde ich empfangen, zahle 10 Dollar und werde in die Dunkelheit entsandt. Dort befindet sich die Hiker/Biker Campsite.
Es ist Vollmond. Und so benötige ich keine Stirnlampe, um mein Zelt aufzubauen. Um 18.30 Uhr ist alles erledigt. Zufrieden lege ich mich ins Zelt. Ich habe mir den Wecker auf 21:20 Uhr gestellt. Als er klingelt, verlasse ich mein Zelt und eile zum Strand.
Um 21.23 Uhr war der Start einer Falcon 9 Rakete angekündigt. Der Parkranger gab mir den Tipp.
Wenige Minuten nach einem lauten Überschallknall entdecke ich am Himmel die erste Raketenstufe auf ihrem Weg zurück zur Startrampe. Für mich ein ganz besonderes Ereignis.
Für die Menschen hier scheinbar Alltag. Das ganze Ereignis hat vielleicht 10 Minuten gedauert.
Die Kälte kriecht mir derweil durch die Kleidung in die Glieder. Und so eile ich zum Zelt zurück, wo mein noch warmer Schlafsack mich kurz darauf sanft umhüllt.
Wärme ist es, die mir jetzt gut tut. Und noch während mein Körper langsam zur Ruhe kommt, falle ich bereits in einen tiefen Schlaf.
Mein Rücken bessert sich zusehends. Und so habe ich in den vergangenen Tagen einige Spaziergänge in die nähere Umgebung unternommen. Einer dieser Spaziergänge führte mich die Küste entlang bis nach Haskell’s Beach.
Es war ein ruhiger Spaziergang entlang der Kliffs, die an einigen Stellen ca. 20 Meter hoch steil aufragen. Der zwischen Meer und Land verbleibende Sandstrand ist mein Wanderweg.
Mal ist er 20 Meter breit und an einer anderen Stelle überhaupt nicht mehr vorhanden. Da muss ich über ein paar Felsen klettern, an denen der Pazifik nagt. In den Klippen finde ich keinen Halt. Und im Pazifik würde ich mich verlieren.
So wandle ich auf schmalem Pfad und bin fokussiert auf auf das, was ich am Strand finde: Blasentang, Hummer, Muscheln, Treibholz. Vögel, die vor meiner Nase rumtanzen und vereinzelt Hunden, die ihren Besitzern vorauseilen.
Es herrscht eine friedvolle Stimmung. Die Stille wird in regelmäßigen Abständen von den sich am Strand brechenden Wellen unterbrochen, garniert vom zarten Gezwitscher der Wasservögel.
Das Dröhnen der Flugzeugtriebwerke der vom Santa Barbara Airport startenden und landenden Flugzeuge klingt bereits in der Ferne aus und stört die mich umgebende Stille kaum.
Es ist ein erholsamer, angenehmer Spaziergang mit ganz kleinen Überraschungen. Und so genieße ich diese Zeit in vollen Zügen.
Oberhalb der Klippen haben sich auf der Mesa, die hier an den Pazifik stößt und die aus weichem Gesteinsmaterial aufgebauten Bluffs bildet, schattenspendende Eukalyptushaine ausgebreitet.
Wie andere Bäume bilden Eukalyptusbäume jährliche neue Rinden und Borken aus, die bei einigen Arten in Jahreszyklen streifig vom Baume abfallen.
Der Blaugummi-Eukalyptus ist eine invasive Art, die nicht in Kalifornien heimisch ist. Sie wurde aus Australien mitgebracht und in der Wildnis eingebürgert. In den 1850er Jahren wurden Eukalyptusbäume während des kalifornischen Goldrauschs von Australien eingeführt.
In weiten Teilen Kaliforniens herrscht ein ähnliches Klima wie in Teilen Australiens. Man hoffte, dass die Bäume eine erneuerbare Holzquelle für den Bau, den Möbelbau und für Eisenbahnschwellen darstellen würden.
Schon bald stellte sich heraus, dass Eukalyptus für letztere Zwecke besonders ungeeignet war, da die Schwellen aus Eukalyptusholz beim Trocknen dazu neigten, sich zu verziehen. Die getrockneten Schwellen waren zudem so zäh, dass es fast unmöglich war, Schienennägel hineinzuschlagen.
Außerdem erhöht der Baum durch seine harzigen Anteile die Waldbrandgefahr. Als Feuerholz ist er dennoch begehrt.
Schattenspendender Eukalyptuswald oberhalb der Steilküste.
Vom Wind geformte Sträucher an der oberen Klippenkante.
Deutlich ist die Felsstufe erkennbar, an der die Mesa zum Meer hin abbricht.
Manchmal sind es die nackten Felsen, die an den Pazifik stoßen. An anderen Stellen bedecken ganze Matten von Mittagsblumen den darunterliegenden Fels und die karge Krume.
Etwa 3 Meilen vor der Küste befindet sich die vor Jahren stillgelegte Ölplattform Holly. Dazu gibt es einen interessanten Artikel der LA-Times, den ich gerne weiterempfehle. Den Link dazu füge ich nachfolgend bei.
Entlang des Strandes wird der Fuß der Klippen durch einen robusten Holzpalisaden-Wall vor den anrollenden Pazifikqellen geschützt. An vielen Stellen wurde er inzwischen von der Kraft des Wassers zerstört.
Vor meinen Füßen tauchen immer wieder Schalenreste einiger Meeresbewohner auf. Neben den Schalen von Polypen, Schnecken und Muscheln auch die Panzer von Hummern und weiteren Krebsarten. Zeugen einer reichhaltigen Fauna vor der Küste.
Und auch hier ist der Regenbrachvogel ein häufig anzutreffender Vogel, der in den auslaufenden Brandungswellen bei der Nahrungssuche beobachtet werden kann.
Hier noch einige reizvolle Strandeindrücke:
Am Ende dieses Spaziergangs entdecke ich noch ein Warnschild, dass wie an anderen Stellen entlang der Küste, die Straße als Fluchtroute für den Fall eines Tsunamis aufweist. Die Menschen an der Küste sind sich durchaus der Gefahr bewußt, die von diesem geologisch ausgelösten Ereignis ausgehen können.
Anderntags mache ich mich auf einen Spaziergang, der mich zu einem Dutzend Sportfeldern führt. Es ist Samstag und alle Sportfelder sind belegt.
Hier trainieren Kinder ab dem vierten Lebensjahr unter der aufsicht erfahrener Trainer und in Begleitung ihrer Eltern für den Fußball. Bei den Kleinsten überwiegt noch das spielerische Moment. Teilweise begleiten sie die Eltern auf das Spielfeld, wo sich die Kinder, teils nach anfänglichen Zögern, dem spielerisch gut aufbereiteten Sport hingeben.
Mir gefällt die vorgehensweise sehr. Es wird gelacht. Es wird gescherzt. Die kleinen Übungseinheiten werden in Spiele verpackt. Und so gelingt es, die Kinder zum Mitmachen zu motivieren.
Während bei den Vierjährigen noch das Spielerische überwiegt und die Fußballregeln noch keine große Rolle spielen, wird ab ca. dem 7. Lebensjahr dann nach den offiziellen Spielregeln gespielt. Dabei werden einige Regeln für die kleinen Spieler angepasst. Der Ball ist kleiner. Das Spielfeld ebenfalls. Die Spieldauer sowie die Anzahl der Spieler auf dem Feld reduziert. Ansonsten gelten bereits die offiziellen Spielregeln.
Die Mannschaften tragen schon ihre eigenen Trikos.
Und sie haben auch schon ihre eigenen Mannschaftsnamen, die sie stolz am Spielfeldrand präsentieren.
Kalifornien leistet eine hervorragende Kinder- und Jugendarbeit in Sachen Sport. Dabei wird nicht nur der Fußballsport unterstützt. Sondern ich finde den gleichen fröhlichen Einsatz beim Baseball.
Auch hier dasselbe Bild. Es spielen noch alle fröhlich zusammen. Klein und Groß, Jungen und Mädchen. Alle haben große Freude am gemeinsamen Spiel.
Was ich hier nicht finde, sind trainierende Jugendliche, die American Football lieben. Deren Training findet wohl auf einem anderen Sportfeld statt.
Wiederholt schaue ich den Aktivitäten dieser Sportgruppen zu. Am vergangenen Samstag sind über 300 Kinder und Jugendliche zur gleichen Zeit auf den vielen Sportfeldern am Trainieren gewesen. Eine beeindruckende Zahl. Um mich herum lauter fröhliche und strahlende Gesichter.
Besonders diese Spaziergänge zu den stark genutzten Sportfeldern haben mir in den vergangenen Tagen gut getan. Das Geschehen auf diesen Feldern wird in meiner Erinnerung mit Sicherheit nicht so schnell verblassen.
Was ich auch sehr genieße sind die Kolibris – lautmalerisch Hummingbirds genannt – vor meinem Fenster. Ich kann ihnen stundenlang zuschauen bei ihren akrobatischen Übungen. Sie leuchten in den schillerndsten Farben.
Ich habe also alles, was ich brauche. Und doch drängt es mich weiter.
Heute ist der 12. November. Ich warte auf den Telefonanruf der Fahrradwerkstatt, damit ich am Mittwoch endlich wieder aufbrechen kann. Bisher warte ich vergeblich. Mark aber meint, dass sie anrufen werden. Ich werde langsam unruhig, will ich doch endlich wieder auf den Sattel.
Am 2. November hilft mir Mark, das ausgebaute Hinterrad in die Fahrradwerkstatt zu bringen. Dort geht man für die Reparatur von insgesamt 5-6 Tagen aus. Man wird mich telefonisch kontaktieren, sobald das Hinterrad repariert ist. Das ist die wichtigste und gleichzeitig einzige Aufgabe, die ich im Augenblick zu erledigen habe.
Vielleicht noch wichtiger ist es, Ruhe in meinen Rücken zu bringen. Und so verlasse ich bis zum 7. November nicht das Haus, sondern ruhe mich aus. Während dieser Tage gibt es viele Gelegenheiten, mit meinen Gastgebern zu kommunizieren. Und da der 5. November, der Wahltag, unmittelbar vor der Tür steht, gibt es reichhaltig Gesprächsstoff.
Ich hatte Mark gefragt, wie er die Situation am 5. November einschätzen würde für den Fall, dass die Republikaner verlieren und ich mit dem Fahrrad auf der Straße unterwegs sein würde.
Seine ehrliche Antwort war die Empfehlung, am 5. November und den darauf folgenden Tagen die großen Städte entlang der Pazifikküste zu meiden, weil möglicherweise Unruhen zu erwarten seien. Vor diesem Hintergrund ist es für mich außerordentlich beruhigend, dass ich hier bei Irma und Mark ein sicheres Zuhause gefunden habe.
Die nächsten Tage und besonders der 5. November werden zeigen, wohin die Reise geht. Inzwischen habe ich die großartige Gelegenheit, ein bisschen in die amerikanische Denkweise einzutauchen, die zu dieser aktuell schwierigen politischen Situation vor der Wahl geführt hat.
In meinem Gastgeber Mark habe ich einen hervorragenden Gesprächspartner gefunden, der mir zum einen das amerikanische Parteien- und Wahlsystem erklärt und der mir zum anderen großartig hilft, nicht nur dieses System zu verstehen, sondern auch das Denken, was dem zugrunde liegt, bis hin zu den Gedanken und Beweggründen der Menschen vor dieser Wahl.
So lässt sich ansatzweise verstehen, warum Menschen in den USA mit der bisherigen Politik so unzufrieden sind und ihrem Ausdruck nach einem starken Führer so viel Gewicht verleihen.
Da ich meine politische Wurzeln in der deutschen Demokratie habe, bleibt mir vieles unverständlich. Manches aber schält sich klar heraus.
Ich freue mich unglaublich, dass ich mit meinem Gastgeber diese Gespräche führen kann. Für mich geht es dabei im Wesentlichen um das Verstehen der amerikanischen Sicht- und Denkweise. Vor allem führen wir keinen Diskurs, wer Recht oder Unrecht hat. Wir hören einander aufmerksam zu und tauschen unsere politischen Gedanken aus. So bleibt das Gespräch immer interessant und wohlwollend.
Von Beruf war Mark Softwarespezialist. Nebenbei ist er seit Jahrzehnten als Schiedsrichter für Fußballspiele tätig. Und es ist erstaunlich, dass er im Alter von 62 Jahren sonntags bis zu sieben Fußballspiele als Schiedsrichter auf dem Rasen pfeift.
Ich spüre seine große Leidenschaft für den Fußball. Und es erstaunt mich sehr, welche Karriere dieser Sport in den letzten 20 Jahren in Südkalifornien genommen hat. Sicherlich dank des Einsatzes von Menschen wie Mark.
Seine Ehefrau Irma muss leider noch ein wenig arbeiten. Sie bekleidet neben ihrer Arbeit in der Klinik ein kirchliches Ehrenamt. Auch ihren persönlichen Einsatz bewundere ich sehr.
Ich komme hier gut zur Ruhe, werde mit leckerem Essen verwöhnt und lasse es ganz langsam angehen.
Der 5. Dezember selber verläuft hier eher ruhig. Irma geht arbeiten, Mark assistiert im Wahllokal, ich bleibe Zuhause und der Fernseher bleibt still. Unruhen bleiben auch nach dem Wahltag aus.
Am 7. November Nachmittags habe ich einen kleinen Spaziergang, entlang des Strandes von Goleta in östliche Richtung gemacht. Ich möchte eine Asphaltsickerstelle nahe dem Ufersaum des Pazifiks am Fuß einer Klippe aufsuchen. Davon gibt es Unzählige entlang der kalifornischen Küste.
Sie entstehen dadurch, dass das Erdöl aus den Lagerstätten an die Erdoberfläche sickert. Dort bildet es Pfützen, aus denen Asphalt wird, wenn die leichteren Fraktionen des Erdöls biologisch abgebaut werden oder verdunsten. Der Asphalt härtet dann normalerweise aus.
Die klebrige, schwarze, nach Teer riechende Substanz überzieht die Felsen um die Austrittstelle herum. Das macht es leicht, solche Stellen entlang des Strandes zu finden.
Mark hat mir ein paar alte Schuhe zur Verfügung gestellt für den Fall, dass ich bei meinem Spaziergang in Teerfladen trete, die an den Strand gespült wurden. Weit brauche ich nicht zu gehen. Nach ca. 1 Meile habe ich mein Ziel erreicht.
Unterwegs finde ich als Hinweise bereits den ein oder anderen schwarzen Brocken.
Ich will wissen, ob es sich wirklich um Asphalt oder nur um einschwarztes Konglomerat handelt und schlage mit einem anderen Stein solange auf das Objekt ein, bis es aufbricht. Im Inneren des Klumpens befinden sich noch Erdölreste, die noch nicht restlos ausgehärtet und klebrig sind. So wie wir es vom Straßenteer kennen.
Ein paar Meter weiter erreiche ich eine schwarz gefärbte Klippe. Irgendwo hier in der Nähe wird die Sickerstelle sein. Vielleicht liegt sie unter der Wasseroberfläche. Auf alle Fälle hier in der Nähe.
Am Fuße der Klippe türmt sich massenhaft schwarzer, zäher, fast ausgehärteter Teer auf und gibt der blasscremegelben Küstenlinie für ein paar Meter ein bizarres Aussehen.
Auch wenn das Meer ständig an der Küste nagt, so schafft es das Wasser nicht, diese Lagerstätte komplett auszuwaschen, da immer wieder Erdöl an die Erdoberfläche durchsickert. Dieser Vorgang hält seit Jahrtausenden an.
Bereits vor Jahrhunderten wusste die einheimische Bevölkerung von den Eigenschaften des Teers. Sie dichteten damit erfolgreich ihre Bootsrümpfe. Diese Technik fiel auch den spanischen Eindrinlingen auf.
Anfangs trieben die Natives Handel mit den Eindringlingen und verkauften ihnen die mit Teer wasserdicht präparierten Boote. Die Technik wurde dann schnell von den Invasoren übernommen.
Baum oberhalb des kleinen Teerhügels
In diesem Bild, wie auch dem nächsten, sind die Fließstruktur des sehr zähen, aber noch nicht restlos verfestigten Teers gut zu erkennen.
Die Sickerstelle vom Rand der Klippe aus betrachtet.
Inmitten der Stadt Los Angeles gibt es im Hancock Park noch heute Teergruben und Asphalthügel. An einer dieser Teergruben wird noch geforscht. Im Laufe der letzten 100 Jahre wurden mehrere Millionen Knochen und Fragmente in diesen Teergruben gefunden.
Die meisten der hier entdeckten Fossilien befinden sich im Museum in den La Brea Tar Pits, im Zentrum der umliegenden Teergruben. Dabei reichen die Entdeckungen von riesigen, ausgestorbenen Mammuts und Faultieren bis hin zu „Mikrofossilien“ oder winzigen Überresten von Pflanzen und Tieren, die Hinweise darauf geben, wie sich alte Ökosysteme und Klimazonen verändert haben.
Ich nehme denselben Weg entlang des Strandes, auf dem ich gekommen bin. Die Bluffs leuchten in der späten Nachmittagssonne warm auf und bilden einen herrlichen Kontrast zu den nachtschwarzen Sickerstellen.
Irgendwo entlang meines Heimweges begegnet mir noch Elvis in einem Vorgarten. Eine gute Zeit später sammelt mich Mark mit dem Auto auf und wir fahren gemeinsam heim. Mein Rücken hat diesen Spaziergang gut überstanden.
Der Fahrradladen hatte mir mittlerweile mitgeteilt, dass die Ersatzteile für meine Alfine-Gangschaltung erst am 11. oder 12. November eintreffen werden. Ich kann frühestens am 13. November weiter fahren. Meine Gastgeber haben mir großzügig erlaubt, bis dahin bei ihnen zu bleiben. Mir fällt ein großer Stein vom Herzen. Es müssen Engel sein, die mich beherbergen.
Um 4.45 Uhr bin ich wach. Leise gehe ich ins Bad und mache mich fertig für den heutigen Tag. 20 Minuten später packe ich meine Sachen zusammen, bringe alles in die Garage und verstaue alles am Fahrrad.
Da das Buffet am gestrigen Abend so reichhaltig war, brauche ich heute morgen kein Frühstück. Um 5.50 Uhr verlasse ich das Haus meiner Gastgeber. Wir hatten uns schon gestern Abend voneinander verabschiedet und vereinbart, dass ich einfach die Tür hinter mir ins Schloss ziehe.
Bist zu Amtrak Station ist es keine zwei Kilometer weit. Als ich am Bahnhof ankomme, wartet der Zug bereits. Eine Zugbegleiterin weist mich freundlich ein, und so ist es ein Leichtes: Das Fahrrad kommt in den letzten Waggon des Zuges und ich begebe mich auf die obere Etage. So früh am Morgen sind nur wenige Sitzplätze belegt und so habe ich freie Wahl.
Es ist noch dunkel, als sich der Zug um 6.10 Uhr in Bewegung setzt. Und auch, als wir Guadalupe erreichen, scheint der Tag noch nicht anbrechen zu wollen.
Immer wieder schaue ich gespannt in die Nacht. Und dann, ganz langsam, verändert sich draußen vor dem Fenster alles. Der Tag bricht an. Erst ist es nur ein schwacher Schein. Doch innerhalb der nächsten halben Stunde wird es hell.
Die Sonne braucht noch ein wenig, um über die Bergkette hinweg zu schauen. Doch als die ersten Sonnenstrahlen über die Berggrate kriechen und die langen Schatten kürzer und kürzer werden, verwandelt das Sonnenlicht die vorbeiziehende Landschaft in ein goldenes Meer. Meine Gastgeber hatten nicht zu viel versprochen.
Während der Zug langsam die Küste entlangfährt und dabei die Vandenberg Air Force Base durchquert, sitze ich am Fenster und genieße die Aussicht. Irgendwo hier in der hügeligen Landschaft zwischen mir und dem Pazifik, wurde vor wenigen Tagen Geschichte geschrieben.
Zum ersten Mal ist es gelungen, die erste Stufe der Weltraumrakete nach ihrem Start, nachdem sich die zweite und dritte Stufe von ihr gelöst hatten, zurückzuführen zur Startrampe. Eine eindrucksvolle technische Meisterleistung.
Entlang der Gleisstrecke gibt es mehrere nummerierte Startplätze, die jedoch vom Zug kaum auszumachen sind. Ich entdecke einen turmhohen Gebäudekomplex. Ob es sich dabei um eine Startrampe handelt, vermag ich nicht zu sagen. Meine Fantasie reicht durchaus, sich das vorzustellen.
Möglicherweise die Vorbereitungen für den 5. November, des Starts einer Interkontinental Rakete vom Typ Minuteman III, die militärischen Zwecken dient.
Ansonsten sind in der vorbeiziehenden, hügeligen Landschaft kaum Gebäude oder Straßen auszumachen. Ich genieße diese Eisenbahnfahrt in vollen Zügen.
Da sich aus dem fahrenden Zug heraus nur unscharfe, teilweise verzerrte Bilder aufnehmen lassen, packe ich mein Smartphone zurück in die Tasche. Und weil sich wohl jedermann einen Sonnenauf- bzw. -untergang vorstellen kann, bleibt mir das Privileg, diesen wunderschönen Moment mit den Augen und dem Herzen in vollem Umfang zu genießen.
Das, was ich hier sehe, brennt sich gleichzeitig viel intensiver in meine Erinnerung ein. Und die werde ich immer bei mir haben. Und ich bin sicher, dass es mir später gelingen wird, angemessen bis eindrucksvoll zu beschreiben, was ich hier gesehen und dabei gefühlt habe.
Schließlich erreicht der Zug Goleta in Santa Barbara, mein Zielort. Da ich das Gepäck nicht vom Fahrrad herunterzuladen brauchte, fällt es mir leicht und braucht nur ganz wenig Zeit, den Zug zu verlassen.
Nachdem ich in meinem Navigationssystem nachgeschaut habe, mache ich mich erst einmal auf den Weg zum Goleta Beach Park. Es ist noch so früh am Tag. Bei meinen Gastgebern bin ich erst gegen später angemeldet. Und so radle ich gemächlich an die Pazifikküste und genieße die Frische am Strand.
Auffallendstes Merkmal des Goleta Beach Parks sind die schlanken, ca. 20 Meter hoch aufgewachsenen Palmen. Hier gibt es einige Picknicktische und sanitäre Anlagen.
Das wissen auch die Obdachlosen, die sich in diesem Bereich ein bescheidenes Zuhause aus Plastikplanen und sonstigen Materialien zusammengebaut haben. Meine Vorstellungen werden wohl nicht ausreichend sein, um auch nur zu erahnen, welche Lebensgeschichten sich hinter diesen Schicksalen verbergen.
Einer sucht das Gespräch mit mir. Er zeigt sich interessiert an meiner Geschichte. Und ich höre zu, was er mir zu erzählen hat. Viel ist es nicht. Er lebt im hier und jetzt. Seine Bleibe, aus der er herausgekrabbelt kam, macht im Gegensatz zu einigen anderen einen ordentlichen Eindruck.
Aus irgendwelchen Gründen hat ihn die Covid-Zeit aus der Bahn geworfen. In dieser Zeit scheint er alles verloren zu haben und mutlos geworden zu sein. Und bis heute hatte er es nicht geschafft, seine Zukunft neu zugestalten.
Andere Obdachlose befinden sich in einem weitaus prekäreren Zustand. Bei einem Obdachlosen habe ich das Gefühl, das er körperlich wie geistig stark eingeschränkt ist. Ob Drogenmissbrauch eine Rolle spielt, kann ich nicht abschätzen.
Er versucht, einen mit „Strandgut“ gefüllten Einkaufswagen über die holprige, durchlöcherte Rasenfläche und die zwischendurch führenden sandigen Wege zu schieben, zu ziehen und zu heben. Dass das nicht gelingt, ist abzusehen. Und so kippt der Einkaufswagen ein ums andere mal um und sein Inhalt breitet sich um den Wagen aus.
Gestikulierend macht sich der Mann daran, den Einkaufswagen auf seine vier Räder zu stellen und alles wieder in dem Wagen einzupacken. Die Vergeblichkeit seiner Bemühungen scheint er nicht zu erkennen. Dieser Vorgang wiederholt sich innerhalb der nächsten halben Stunde mehrere Male, ohne dass der Mann Einsicht in seine Handlung zeigt.
Eine Frau, offensichtlich Besucherin des Parks, eilt ihm zu Hilfe und versucht mit ihm ins Gespräch zu kommen. Und so kommt was kommen muss. Der vollgepackte Einkaufswagen fällt wieder um.
Mit dem Fahrrad fahre ich hinüber zum Pier, der sich einige hundert Meter hinaus ins Meer erstreckt. Vielleicht finde ich auf dem Pier ein ruhiges Plätzchen für mich, wo ich in aller Ruhe genießen kann, was ich sehe.
Aber ich habe die Rechnung ohne das liebe Federvieh gemacht. Je näher ich an das Ende des Piers gelange, umso mehr zeigt sich, dass sich hier bereits eine ganze Vogelkolonie niedergelassen hat: Möven und Tauben fröhlich vereint. Kreischend und Gurrend hocken die Tiere auf der follgekoteten Brüstung.
Wenn auch die Aussicht schön ist, so fühle ich mich hier an diesem Punkt nicht wohl. Und so verlasse ich den Pier und begebe mich wieder in den kleinen Park. Mittlerweile ist es Mittag und ich breche zu meinen Gastgebern auf.
Ich überquere das verschilfte Mündungsdelta, das von den San Pedro, San Jose und Atascadero Creeks gebildet wird. Es wirkt eher wie ein Stillwasser, dass nur bei Regen Wasserzufluss aus den Creeks erfährt. Für die heimische Vogelwelt ist es sicherlich ein Paradies.
Auf zweispurigem Fahrradweg überquere ich den Campus der University of California Santa Barbara. Die Studenten der Universität bevorzugen das Fahrrad gegenüber jedem anderen Transportmittel.
55 % der Studenten fahren täglich mit dem Rad zum Campus und von der gesamten Campusbevölkerung fahren etwa 46 % mit dem Fahrrad. Das macht sich in den gut ausgebauten Radwegen mit ihren Anbindungen an das städtische Radwegenetz deutlich bemerkbar. Ich bin einmal mehr sehr beeindruckt.
Dabei führt der Radweg großzügig durch die parkähnlichen Anlagen mit seinem reichen Baumbestand. Im Bild ein Afrikanischer Tulpenbaum. Immer wieder halte ich an, um die Vielfalt der Natur, die mich umgibt, zu bewundern.
Fast könnte man meinen, ich vertrödel meine Zeit. Dem ist nicht so. Die Eindrücke sind so intensiv, dass ich mir einfach die Zeit zum Betrachten und Genießen nehme.
Die Übergänge des lokalen Radwegenetzes in das „übergeordnete“ Weitwegenetz entlang der Pazifikküste sind fließend. Gelegentlich geben Hinweisschilder darüber Auskunft, auf welchem Weg ich mich gerade befinde.
Die letzten Meter zu meinen Gastgebern fahre ich auf gut ausgebauten, asphaltierten Straßen durch Wohnsiedlungen mit überwiegend Einfamilienhäusern. Fast jedes Haus ist umgeben von einer gepflegten Gartenanlage. Manche Vorgärten schmücken um diese Zeit freundlich- gruselige Figuren, die an Halloween erinnern.
Schließlich erreiche ich das Haus meiner Gastgeber, die mich herzlichst empfangen und aufnehmen. Sie haben bereits das Gästezimmer für mich hergerichtet. Ich bin so froh, dass ich endlich Gastgeber gefunden habe, die mich wenigstens eine Woche lang beherbergen werden.
Ich hoffe, hier meinen kranken, schmerzenden Rücken heilen zu können. Da mein Gastgeber selbst mehrere Rückenoperationen hinter sich hat, zeigt er großes Verständnis für meine Situation und ist mir in jeder Hinsicht behilflich, sei es mit Medikamenten oder bei der Suche nach einem Reparaturservice für mein Fahrrad, das auch der Heilung bedarf.
Jederzeit sind Beide für mich Ansprechpartner und helfen, wo sie können. Um 18.00 Uhr lege ich mich erschöpft ins Bett und werde erst nach 15 Stunden Schlaf wieder aufwachen. Es ist seit Langem die erste Nacht, die ich mehr oder weniger durchschlafe, ohne dass der Rücken jedes Mal schmerzt, sobald ich meine Schlafposition ändere.
Ich bin überglücklich und dankbar, dass ich bei meinen Gastgebern Irma und Mark die nächsten Tage verbringen kann.