Es heisst Abschied nehmen. Schnell sind meine Sachen gepackt. Währenddessen bereiten mir die Beiden ein üppiges Frühstück. Und nachdem wir gemeinsam gefrühstückt hatten, umarmten wir uns ein letztes Mal, bevor ich das Haus verließ.
Ein schönes Geschenk hatten beide noch für mich parat: Eine Einladung an meine Frau und mich, sie irgendwann besuchen zu kommen. Biggi wird sich darüber mit Sicherheit sehr freuen
Vladimir und Lorraine führten mich gestern unter anderem zum Fort Ingall. Von außen war durch die Schießscharten in dem Palisadenwall nicht wirklich viel zu sehen gewesen. Je länger ich darüber nachdachte, um so mehr reifte mein Entschluss, dieses Stück Geschichte einmal näher zu betrachten. Also auf zum Fort.
Es liegt nur wenige Kilometer vom Wohnhaus meiner Gastgeber und keine tausend Meter von der Bahntrasse entfernt, auf der ich in dieses Gebiet hereingekommen bin und nun beabsichtige, wieder zurück zu fahren an die Küste.
Im Jahr 1967 wurde der Standort dieses Forts wiederentdeckt und die Überreste von Archäologen ausgegraben. In 8 rekonstruierten Gebäuden der ehemaligen Befestigung kann jeder Besucher den Zweck und historischen Background erfahren.
Das Museumspersonal, gekleidet in traditionelle Uniformen, ist Kulisse und Informationsquelle zugleich. Bereitwillig geben sie mir Auskunft. Den Rest erledigt ein elektronischer Tourguide, der die einzelnen Stationen des Forts und ihre jeweilige Funktion sehr gut erklärt.
Ursprünglich umfasste das Fort 13 Gebäude, Schlafräume für insgesamt 100 Soldaten, ein Offiziersquartier, eine Küche, eine Bäckerei, ein Bootshaus, eine Munitionskammer und mehrere Latrinen.
Die Bauweise bestand aus übereinander gelegten Zedern- und Kiefernstämmen, die mit einer Art Mörtel verschmiert waren. Die hölzernen Schindeln der Dächer waren rot angemalt. 4 m hohe Palisaden mit zahlreichen, in regelmäßigen Anständen angeordneter Schießscharten umgaben das Fort.
Die Rekonstruktion des Forts orientierte sich weitestgehend an der ursprünglichen Bauweise der Anlage.
1839 wrde das Fort nahe Cabano am Westufer des Lake Témiscouata errichtet. Es sollte im Aroostook-Krieg (1838/39), einem britisch-amerikanischen Grenzkonflikt, den wichtigen Transportweg zwischen dem Lac Témiscouata und dem Sankt-Lorenz-Strom kontrollieren.
Im Vertrag von Paris, der 1783 den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg beendete, wurde die Grenze zwischen Kanada und den USA nicht überall eindeutig festgelegt. Besonders die Grenzlinie zwischen dem heutigen US-Bundesstaat Maine und der kanadischen Provinz New Brunswick war umstritten. Es war ein waldreiches Gebiet und häufig gab es Streit über die Nutzung des Holzes. Der Konflikt eskalierte 1838, als in Maine 10.000 Miliztruppen mobilisiert wurden. Die Briten errichteten daraufhin 1839 im Grenzgebiet eine Reihe von Forts, um der amerikanischen Invasion zu begegnen.
Mit dem Webster-Ashburton-Vertrag wurde der Konflikt schließlich 1842 ohne Blutvergießen beendet. Und das Fort aufgegeben.
Nach zwei Stunden mache ich mich auf den Weg zur Küste. Und wieder zieht mich die Landschaft links und rechts des Weges in ihren Bann. Obwohl ich auf der Herfahrt reichhaltig Gelegenheit hatte, die Landschaft mit den Augen zu erkunden, entdecke ich immer wieder Neues.
Der Weg führt über einen Golfplatz. Und damit es keine Unfälle durch herumfliegende Golfbälle gibt, deutet mir die rote Ampel, anzuhalten.
Anschließend geht es weiter, im Golfcaddy wie auch mit dem Fahrrad. Vorbei an versumpften Waldgebieten mit üppigen Schilfrohrbeständen.
Unweit ein kleiner Rastplatz. Hier gibt es immer wieder hölzerne Plattformen gedacht für Hiker und Cyclists, um in diesem unwegsamen Gelände sein Zelt aufzuschlagen.
Und meistens liegen das Toilettenhäuschen und ein überdachter kleiner Rastort gleich nebenan. Die Abstände zwischen den einzelnen Rastplätzen dürften so um 10 km liegen.
Auf meiner Herfahrt hatte ich das Glück, an dieser Baustelle einen kostenlosen Service vorzufinden, der im Shuttledienst Radfahrer und Wanderer auf die jeweils andere Seite der riesigen Baustelle bringt. Auf mein Fragen erhielt ich die Antwort, dass dieser Dienst die kommenden zwei Tage nicht angeboten werden kann. So begebe ich mich per Pedes auf Schotterpisten hinein in die Baustelle.
Vladimir hatte mir erzählt, das es im Bereich der Baustelle innerhalb von 10 Jahren über 100 teils schwere Verkehrsunfälle gegeben hat. Daher macht es Sinn, diesen Abschnitt der Interstate neu zu gestalten, um zukünftigen Radwanderern und Hikern mehr Sicherheit zu geben.
Da ich ungefähr weiß, wo die Bahntrasse verläuft, verlasse ich mich auf meinen Orientierungssinn und erreiche schließlich das Ende. Vier rote Poller signalisieren mir schließlich Erleichterung. Ist der Streckenabschnitt der Interstate eines Tages fertiggestellt, wird es hier keine Hiobsbotschaften mehr geben.
Und auch Trinkwasser für den Durstigen wird angeboten. Manchmal nicht zweifelsfrei (siehe oben). Meist jedoch eindeutig. Mitunter muss man nach der Zapfstelle suchen. Aber ich bin immer fündig geworden.
Auch wenn die Beschilderung der parallel verlaufenden Interstate sowie Trittspuren auf meinem Weg darauf hinweisen, gesehen hab ich noch keinen Elch.
Ein Stück Waldboden erregt meine Aufmerksamkeit. Auf ca 300 Quadratmetern wächst etwas, das von weitem ausschaut, wie Moos. Es bedeckt den Boden großflächig und diese weichen Kissen machen auch vor herumliegenden Steinen keinen Halt. An den aufwachsenden Baumstämmen ist es jedoch nicht zu finden … und da muss ich dann selber erst einmal recherchieren.
Eine Pflanze zwischen Stacheldrahtpflanze und Heiligenblume schlägt mir Google vor. Diesmal glaub ich Dr. Google nicht, da die Pflanze von der Wuchsform her höchstens 10 cm in die Höhe wächst und in der Ausdehnung kleine rundlich Polster bildet, die dicht an dicht liegen. Vielleicht erfahre ich von meinen Begleitern, was für eine Pflanze oder Flechte ich da habe.
Schließlich ereiche ich Rivière-du-Loup. Vor mir der gewaltige Sankt Lorenz Strom. Im Hintergrund noch im Dunst liegend, aber bereits gut erkennbar die hügelige Nordküste. Ich biege nach Westen ab, immer entlang des Stroms, dessen Wasser über weite Strecken lehmfarben leuchtet.
Für zwei Tage werde ich an der Südküste des St. Lorenz Stromes entlang radeln. Und freu mich schon auf das Neue, was mir begegnen wird.
Es ist bereits später Nachmittag. Am Horizont ziehen Regenwolken auf. Sie verdunkeln das Blau eines Schwimmbeckens am Ufer des Stromes. Es wird regnen. Das ist sicher. Aber ein Weilchen kann ich noch fahren. Schließlich entdecke ich einen kleinen Rastplatz mit tiefgestaffeltem, lockerem Baumbestand. Dazwischen gepflegte Rasenflächen. Bestens, um ein Zelt aufzubauen. Was schnell erledigt ist. Kaum habe ich alles eingeräumt, fängt es an zu regnen.
Müde liege ich auf der Matte. Glücklich und zufrieden lausche ich dem einsetzenden Regen und dem immer stärker werdenden Wind. Noch einmal verlasse ich das Zelt, um alle Leinen gut zu spannen und das Zelt zu stabilisieren. Das lärmende Schlagen der Zeltplane hört auf. Und schließlich schlafe ich ein.
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