Jo's DreamA bike. A tent. A year.

Von Bécancour nach Montreal

Bereits um 4.30 Uhr bin ich wach. Vögel zwitschern in den Bäumen und vereinzelt höre ich Lärm, wenn ein Fahrzeug die Brücke quert gleich nebenan. Aber noch ist es zu früh. Und so drehe ich mich auf die andere Seite und schlafe weiter bis 6.45 Uhr. Dann ist meine Nacht endgültig zuende. Kleine Morgentoilette. Kleines Frühstück. Dann wird alles auf dem Fahrrad verstaut.

Mein Gastgeber erwähnte am Abend zuvor, dass er um 7 Uhr den Platz verlassen müsse. Und so begegnen wir uns an diesem Morgen. Es ist eine erstaunliche, wunderbare Begegnung. Mein Gastgeber kommt mir in seinem Auto entgegen, stoppt und fährt das rechte Seitenfenster herunter. Dann streckt er mir fröhlich seine Hand entgegen und ich erwidere seinen Gruß.

Seine Augen sind wach und leuchten. Sein Gesicht strahlt und dann nennt er mich bei meinem Namen und wünscht mir eine gute und sichere Reise. Da ist so viel Herzlichkeit in diesem Moment. Und ich ahne, dass er sich meinen Blog angeschaut hat. Ein kurzer Augenblick, der mir sehr viel bedeutet und mich noch tagelang bewegt.

Bei meiner Ankunft in Bécancour kam ich versehentlich auf den Autobahnzubringer, welcher zur Brücke über den St. Lorenz Strom führt. Wenige Hundert Meter weiter stoppt mich ein Polizeifahrzeug. Im freundlichen Ton weist mich der Polizist darauf hin, dass ich diesen Streckenabschnitt nicht befahren darf und erklärt, wie ich am besten von dieser Straße runterkomme.

Gar nicht erst die Straßenseite wechseln. Sondern auf der Seite bleiben und auf der breiten Schulter in die Richtung fahren, aus der ich gekommen bin. Dann ist alles ok. Noch kurz die Frage, woher ich komme. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Dann trennen sich unsere Wege.

Mit dem Rad kann ich nicht auf die andere Seite des Flusses gelangen. Der Umweg würde ca. 170 km bedeuten. Was tun? Per Anhalter hoffen, dass mich ein Van mitnimmt. Wo wäre der beste Standort? Meine Recherchen im Netz deuten auf einen Shuttle-Service, der schon vor Jahren eingestellt wurde.

In der lokalen Touristen-Information finde ich Hilfe. Die Dame organisiert mir ein Taxi. Normalerweise muss dieser Transport im voraus angemeldet werden. Nachdem sie meine Situation dem Taxifahrer erläutert, willigt dieser ein, mich für 30 Kanadische Dollar incl. Tax auf die Nordseite des St. Lorenz Stromes zu bringen. Und dann geht es schnell. 15 min später ist er da und keine halbe Stunde später setzt er mich auf der Nordseite unweit der Brücke auf einem Hotelparkplatz ab. Am Anfang war er noch etwas nörgelig. Offensichtlich hatte er einen Rennradfahrer erwartet, mit weniger Gepäck. Aber dann zeigte er sich von seiner freundlichen Seite.

Nach kurzer Orientierung mache ich mich auf den Weg nach Trois Rivières. Es fängt an zu regnen. Plötzlich löst sich die obere Gepäckträgerhalterung. Die ganze Fracht klappt nach hinten weg. Nur noch gehalten von einem Spanngurt, den ich ums Sattelrohr gelegt hatte und den unteren beidseitigen Haltepunkten. Also Reparatur.

Wenige Kilometer weiter Brückenunterquerung. Vom Hellen ins Dunkle. Meine Pupillen können diesen Wechsel nicht so schnell vollziehen. In der Sohle der Unterführung ein 20 cm tiefes 30 cm breites, weit in die Fahrspur hineinreichendes Schlagloch. Im allerletzten Moment erkenne ich die Struktur. Ich knalle buchstäblich drüber hinweg.

Der Aufprall ist so heftig, dass sich eine Packtasche komplett vom Gepäckträger löst. Die andere hängt nur noch an einem Haken. Die Lebensmittel fliegen auf die Straße und der vorbeirollende Verkehr macht alle Lebensmittel platt. Für 35 Dollar Brei. Bananen, Käse, Milch, Obst, Wurst. Alles mashed. Egal. Ich bin nicht gestürzt. Das Rad ist heil. Die Reifen haben standgehalten. Kein Speichenbruch. Und ich kann alles wieder richten.

In Trois Rivières besuche ich das Heiligtum Notre-Dame-du-Cap, einen katholischen Marienwallfahrtsort. Es liegt am Ufer des Sankt Lorenz Stromes, ist der Jungfrau Maria gewidmet und empfängt jedes Jahr über 500 000 Pilger und Besucher aus allen Gesellschaftsschichten.

Ihr größtes Gebäude wurde 1964 in den Rang einer Basilika erhoben und von der kanadischen katholischen Bischofskonferenz zum Nationalheiligtum erklärt. Es ist nach dem Unserer Lieben Frau von Guadalupe in Mexiko das zweitgrößte und wichtigste Marienheiligtum in Nordamerika, das der Jungfräulichkeit Marias gewidmet ist.

Ein imposanter, mächtiger Kirchenbau, dessen Inneres mich überrascht.

Es sind die schmalen, hohen Kirchenfenster gekrönt von Rosetten, die mit bunten, christlichen Motiven den Reiz dieses Ortes ausmachen. Und die Ensemle-Wirkung verstärkt den Gesamteindruck noch mehr. Es sind nur wenige Besucher da. Was die sakrale Atmosphäre des Kirchenbaus verstärkt. Leise bewege ich mich durch die Gänge zwischen den vielen Sitzreihen. Und für ein paar Minuten finde ich Ruhe in mir selbst …

Schließlich mache ich mich auf den Weg. Westwärts nach Berthierville. Noch ca. 40 Kilometer. Einen Schlafplatz muss ich mir noch suchen. Aber erst einmal geht es vorbei an der Brücke, über die mich das Taxi gebracht hatte.

Vorbei an herrlichen Alleen mit üppigem Baumbestand.

Heimat einer reichhaltigen Tierwelt. Und während im Geäst die Vögel zwitschern, huschen die Grey-Squirrel munter von Baum zu Baum und können ihre Neugierde so gar nicht verstecken. Muntere, putzige Begleiter auf meinem Weg, seit ich New York verlassen habe.

Weiter geht die Fahrt entlang der Route Verte 5. Nicht immer auf der Straße. Manchmal geht es durch Wiesen und Felder. Auf breiten Schotterstraßen. Und ich bin so froh, das Fahrrad mit 5 cm breiten Reifen ausgestattet zu haben. Schmale Reifen wären auf den kilometerlangen Wegen ein echter Nachteil. Bei einem Reifendruck von 4,5 Bar bewähren sich die Reifen bestens in diesem Terrain. Zwar ist der Rollwiderstand hoch, was das Tempo mitunter sehr beeinträchtigt. Dafür habe ich keinen Platten zu befürchten.

Zurück auf der Straße stoppe ich bei einer Gruppe Motorradfahrer. Witzige Typen. Kurze Rast, small talk, ein Foto. Und weiter geht’s. Dem Abend entgegen. Die Suche nach einem Platz für mein kleines Zelt beginnt.

Am nahen Horizont ein Gewitter, das sich langsam in meine Richtung zu bewegen scheint. Ich fahre etwas schneller und kann tatsächlich dem Regen ausweichen. Er zieht hinter meinem Rücken vorbei.

Eine Rasenfläche zwischen Bäumen erscheint lohnenswert. Aber mir ist das zu dicht an der Straße. So suche ich weiter …

… und lande schließlich auf einem Sportplatz, wo ich im Scheinwerferlicht mein Zelt aufbaue. Auch hier wird es ein Wettlauf mit der Zeit. Denn die Mücken sind bereits am Schwärmen.

Kaum das ich mich in mein Zelt zurückgezogen habe, erlischt das Scheinwerferlicht und ich sitze im Dunklen. Müdigkeit überfällt mich und mit dem Gefühl großer Dankbarkeit schlafe ich alsbald ein. Trotz der kleinen Katastrphen war es ein guter Tag. Ich habe mein Ziel erreicht.

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