9. September 2024
Heute geht es durch Idahos Kornkammer. Überall sehe ich reifes Getreide, das noch auf den Halmen steht. Es ist Erntezeit und auf vielen Feldern verrichten Mähdrescher ihr Werk.
Gegen Mittag erreiche ich Soda Springs. Ganz in der Nähe befindet sich ein Phosphatwerk, betrieben von Monsanto / Bayer. Die Abraumhalden dieses Bergbaus haben gewaltige Ausmaße.
Hinweisen möchte ich noch auf den Oregon Trail, der für einige Meilen neben dem Highway verläuft, auf dessen breiter Schulter ich heute unterwegs bin. Der Oregon Trail war eine 3.490 km lange, in Ost-West-Richtung verlaufende, für große Wagenräder genutzte Route. Er war ein Auswandererpfad in den Vereinigten Staaten, der den Missouri River mit Tälern im Oregon-Territorium verband. Es ist erstaunlich, wie gut die Spuren der zehntausende von Wagenrädern heute noch im Gelände erkennbar sind.
Bryce hatte mir einige Sehenswürdigkeiten von Soda Springs genannt, die ich heute Morgen aufsuche. Das sind u.a. zwei Quellen, denen kohlensäurehaltiges, carboniertes und vor allem trinkbares Wasser entspringt. Der Geschmack ist gewöhnungsbedürftig. Ich fülle mir eine Flasche dieses leckeren, herben Wassers.
Vom Hooper Spring geht es nach Soda Springs in den Ort hinein. Dort gibt es eine weitere Quelle. Was mich aber besonders interessiert, ist nicht diese zweite Quelle, sondern der Geysir, der fast ein bisschen verloren scheint, da gerade Straßenbaumaßnahmen in der Nähe ausgeführt werden.
Nach einem kleinen Umweg erreiche ich den Geysir, der jede Stunde für ein paar Minuten aktiv ist. Eigentlich wäre er viel aktiver, aber Wissenschaftler argumentierten, das die Aktivität dieses Geysirs einen negativen Einfluss auf die Aktivität des Old Faithful im Yellowstone Park habe, der immerhin über 100 Meilen nördlich von Soda Springs liegt.
Das zwang zum Einbau eines Ventils, welches nun einmal in der Stunde für ein paar Minuten geöffnet wird und diesen wunderschönen Geysir sprudeln lässt.
Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat sich um den Geysir herum eine mächtige, leuchtende Sinterterasse gebildet, von der ich sehr beeindruckt bin.
Dann suche ich das Courthouse auf, wo ich Bryce an seinem Arbeitsplatz antreffe. Er begrüßt mich herzlich und nimmt sich Zeit, mir die Kollektion seines Großvaters zu zeigen und über ihre Entstehung zu berichten. Anschließend darf ich mir diese Sammlung in Ruhe anschauen und er erlaubt mir, einige Fotos zu machen.
Über Jahrzehnte hat sein Großvater diese Artefakte gesammelt. Im Sommer war er draußen im Gelände unterwegs. Im strengen, kalten Winter stellte er dann nach eigenen Kriterien die Sammlung in kleinen verglasten Rahmen zusammen.
Am Ende seines Lebens verfügte er, dass diese Sammlung vor Ort verbleibt …
John Carlyle Smith, who put together this beautiful collection throughout his life.
Ein Geschenk für die nächsten Generationen …
Nach über einer Stunde verabschiede ich mich von Bryce, schwinge mich aufs Rad und mache mich auf den Weg zum Bear Lake. Ich folge damit seiner Empfehlung und bin gespannt, was mich erwartet.
Gelegentlich kommt mir Schwerlastverkehr entgegen. Das ist erträglich. Schwieriger ist es, wenn mich solche Fahrzeuge überholen. Besonders, wenn kein Begleitfahrzeug vorauseilt, dass mich mit seinem rückwärtigen Schriftzug „oversized vehicle“ warnt. Denn dann bin ich vorbereitet und kann notfalls die Straße verlassen.
Überall wird geerntet. Getreide und Wiesen bringen einen üppigen Ertag.
Am späten Nachmittag mache ich ein letztes Mal Halt an einem Truckstopp. Ein älterer Herr spricht mich an und kommt schwer ins Staunen, als ich ihm vom Verlauf meiner Reise erzähle. Als ich ihm auf seine Fragen hin mein Alter nenne, ist er komplett sprachlos. Er hat dasselbe Alter …
Es ist spät am Nachmittag. Die Sonne senkt sich bereits herab und eilt dem Horizont entgegen. Ich liebe diese Tageszeit, taucht sie doch die Landschaft in traumhaftes Licht.
Es sind mitunter nur Minuten. Aber diese Minuten setzen dem Tag die leuchtende Krone auf und lassen mich immer wieder Staunen.
Schließlich erreiche ich den kleinen Ort Dingle, nördlich des Bear Lake. Ich entdecke einen Sportplatz und suche einen Verantwortlichen, um mir eine Erlaubnis für die Übernachtung zu holen. In einer kleinen Gruppe von hier lebenden Einwohnern finde ich Ansprechpartner, die mir diese Erlaubnis erteilen.
Als Dankeschön gebe ich ihnen meine Visitenkarte und erzähle ihnen von meinem Projekt: a bike, a tent, a year. Aufmerksam hören sie zu und sind begeistert. Auch ich bin begeistert, habe ich doch einen guten Platz zum Übernachten gefunden.
Dunkel senkt sich über das Land und glücklich und dankbar schließe ich meine Lieder. Das war ein wundervoller Tag.
Mein geliebter Schwager!
Ich habe gestern und heute über einen Monat von Deiner Reise nachholen müssen, da ich urlaubsbedingt bislang nicht dazu gekommen bin. Die Höhen und Tiefen deiner Erlebnisse haben mich tief beeindruckt. Aber am meisten, und da spreche ich dir wahrscheinlich aus deiner Seele, haben mich die offenen und gastgeberfreundlichen Herzen berührt. Es gibt so tolle Menschen. Man muss sich nur aufmachen und sie finden. Du hast da ja absolut das Zeug für und ich freue mich sehr darüber. Weiter so, auch wenn wir dich gerne hier hätten. 😉
Lieber Bernd, liebe Bärbel,
unterm Strich kommt bei dieser Reise nur Gutes raus. Die Landschaften und die Menschen, die in diesen Räumen leben und mit mir oftmals tolle, auch tiefergehende Gespräche führen. All das bereichert mich ungemein. Ich möchte keinen Tag missen. Euch allerdings vermisse ich schon. Auch daran arbeite ich bereits…
Lieber Jo! ich habe Birgit gegenüber vor Deiner Reise keinen Hehl daraus gemacht, dass ich diesen Plan, Deinen Traum um es vorsichtig zu sagen „tollkühn“ fand und voller Bedenken war, dass er „platzen“ könne. Ich verfolge Deinen Blog und revidiere meine Skepsis zunehmend weil ich ja mitbekomme, dass Du den Traum tatsächlich lebst. am meisten erstaunt mich Deine Kondition Tag für Tag so gewaltige strecken zu radeln. aber noch mehr bin ich erstaunt, wie offenbar heiter Du die zahlreichen Unbilden hinnimmst und tagtäglich heiter und zuversichtlich bleibst. Die mir bisher unbekannte Gastfreundschaft ist eindrucksvoll. gibt es das ebenso in Deutschland? einen völlig unbekannten Menschen so zu versorgen? gibt es eine Bikerwelt?
Wenn Du nach 10000 km schluss machen würdest, hättest Du aus meiner Sicht schon einen Riesenerfolg abzubuchen. Die Vorstellung ein ganzes Jahr so weiter zu leben ist nach wie vor für mich kaum vorstellbar. aber man wird ja sehen….. und dass ich mit meinen 92 jahren und kleinstem persönlichen Radius so baff bin, ist vielleicht auch nachfühlbar.
Soviel für heute an Offenheit von
Rena
Liebe Rena,
Danke für deine offenen Worte. Wenn ich das Reisen in meiner gewählten Form nicht lieben würde, wäre ich nicht unterwegs. Mein großer Erfahrungsschatz aus unzähligen anderen Reisen, ob zu Fuß oder mit dem Fahrrad, kommt mir dabei zugute.
Deine Frage, ob es eine Bikerwelt gibt, würde ich bejahen. Mitunter nutze ich die App „Warmshowers“ (die auch in Deutschland angewendet werden kann), in welcher begeisterte Radfahrer und Wanderer Gleichgesinnten Ihre Hilfe anbieten. Das kann ein ganz einfaches Quartier sein. Ein Stück Rasen für das Zelt. Eine Couch oder gar ein Kingsize Bett. Und in ganz vielen Fällen wird auch ein Mahl und/oder die Nutzung der Küche, das Waschen der Wäsche und die Nutzung von Bad und WC angeboten. Gelegentlich ist es nur der Erfahrungsaustausch. Besonders interessant sind die Begegnungen, wenn ich unterwegs bin und bei mir unbekannten Menschen an die Tür klopfe und frage, ob ich mein Zelt auf ihrem privaten Grund aufbauen darf. Und da habe ich fast ausnahmslos sehr gute Erfahrungen gemacht um die ich sehr dankbar bin. Jetzt geht es erst einmal weiter auf die 10.000 km zu … .
Liebe Grüße aus Salt Lake City
Jo