Wir beide sind früh auf. Ein frischer Tag bricht an. Während der Schlafsack in der Sonne trocknet, packe ich alle anderen Sachen zusammen. Marie Julie ist sehr interessiert, was für ein Zelt, welchen Schlafsack und welche Liegematte ich verwende. Sie möchte sich so etwas selber zulegen und eine Reise unternehmen. So fachsimpeln wir ein paar Minuten.
Ein gemeinsames Frühstück mit leckerem, herzhaftem Buchweizenomelett und Kaffee rundet den Morgen ab. Und zuletzt zeigt sie mir noch einige Keramiken, die sie selbst geformt, bemalt und mit Glasur überzogen hat. Und dann ist da immer wieder ihre Lebensfreude, die unglaublich strahlt und dem Morgen besonderen Glanz verleiht. Was für ein schöner Start in den Tag.
Auf dem kurzen Weg hinein nach Percé mache ich einen kleinen Abstecher. Ich will zu einem Aussichtspunkt, der durch ein großes, weißes Kreuz markiert ist. Auf dem Weg dorthin möchte ich eine öffentliche Toilette aufsuchen. Sie ist verschlossen. Verdutzt frage ich einen Handwerker, der gleich nebenan an einem Gebäude zu tun hat, nach der nächsten Gelegenheit. Sein Name lautete Michael Tremblay.
Ein kurzes Gespräch, woher ich komme und was ich mache. Und sofort bietet er mir an, mich zum nächsten Ort zu fahren, an dem es eine Toilette gibt. Mein Fahrrad kann ich in einem Baucontainer abstellen, in dem er arbeitet. Und so wird das mein erster Toilettengang mit dem Auto in Kanada. Wieder zurück tauschen wir gegenseitig unsere Adressen aus. Dann wendet er sich seiner Arbeit zu, während ich zum Gipfelkreuz am Ende eines längeren Weges über Treppen hinaufsteige. Eine kleine eingezäunte Plattform.
Ein erster, grandioser Blick auf einen wuchtigen Felsen, der mit senkrechten, nackten Felswänden hoch aus dem Wasser aufragt. Meine Begeisterung über die fantastische Aussicht auf den Rock teile ich mit weiteren Besuchern, die die kleine Plattform betreten. Und irgendwie kommen wir spontan ins Gespräch. Fahrradhelm und Radlerhose verraten meine Absichten.
Ich berichte ein wenig von der Reise und den Schwierigkeiten bei der Quartiersuche in dieser Touristenregion. Und wenige Augenblicke später laden mich Janet , Fernanda und Ian in das Privathaus ein, in dem sie ein paar schöne Tage verbringen. Und spontan bieten sie an, für mich zu kochen. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich habe für die kommende Nacht ein Quartier und für Verpflegung ist gesorgt. Was für eine großzügige, spontane Geste!
Bisher wusste ich nicht, wo ich heute bleiben werde. Touristenhochburg, hohe Campingplatzpreise. Alles ist deutlich teurer.
Bereits vor Tagen hatten Robert und Jasper mir die Insel Bonaventure wärmstens empfohlen. Und so mache ich mich heute auf den Weg runter in den Ort und suche die Tourist Information auf. Nach eingehender Beratung steht meiner Unternehmung nichts mehr im Wege. Mein Gepäck bringe ich bei der Tourist Information unter und das Fahrrad wird vor der Tür an den Fahrradständer angeschlossen. Die Fahrkarte für den Bootstransfer kostet 45 Kanadische Dollar. Und das Betreten der Insel Bonaventure nochmals 10 Dollar extra. Um 12.00 Uhr legt die kleine Fähre ab. Gut 150 Personen sind an Bord.
Das kleine Schiff fährt zuerst um den Rock, wendet und steuert anschließend auf die Ile Bonaventure zu, die im Uhrzeigersinn und einem Abstand von 150 Metern langsam umfahren wird. Der Rock wirkt kalt, scharfkantig, abweisend, ja unnahbar. In den Felswänden kann ich weder Pflanzen noch Tiere entdecken.
Ganz anders die Ile Bonaventure, grün und voller Leben.
Auf schmalen Felswänden, in kleinen Felsnischen, überall rasten und brüten Basstölpel. Vogelkreischen in der übervölkerten Luft vor den Felsen. Ich weiß gar nicht, wohin ich zuerst schauen soll. Alles ist voller Leben.
So umrunden wir langsam die Insel und nähern uns schließlich dem kleinen Bootsanleger. Hier verlasse ich das Boot, zahle meinen Eintrittspreis, lausche kurz den Parkrangern und mache mich anschließend auf den Weg, die Insel zu erkunden. Auf gutem Wege erreiche ich nach 2.6 km die andere Seite der Insel.
Die Vegetation ist üppig, abwechslungsreich. Ein ständiges Werden und Vergehen. Vogellärm kündigt sich an. Aus der Ferne rollt Donner heran und es fängt an, leicht zu regnen.
Und dann stehe ich vor der weltweit größten Basstölpel Kolonie. Ca. 35.000 Brutpaare plus Jungvögel tummeln sich auf den Felsflächen vor mir. Parkranger sind in der Nähe. Die Brutgebiete sind mit Absperrungen gesichert, damit niemand die Vögel stört. Der Abstand zwischen Mensch und Vogel beträgt weniger als zwei Meter. Die Luft riecht nach Meer und Vogelkot.
Die Brutflächen sind kahl, frei von jeglicher Vegetation. Was für ein Kontrast zur ansonsten üppigen Vegetation der Insel. So wandere ich mehr als drei Stunden am Rande der Felsen, genieße die Tierwelt und die Fernsicht aufs Meer. Um 17.00 Uhr bin ich zurück am Bootsanleger und verlasse mit allen anderen Gästen dieses kleine Paradies. Das Übernachten auf der Insel ist verboten. Und so kehrt für die Tiere wieder Ruhe ein. Was für ein wunderschöner Tag. Welch wundervolle Natur. Was für ein Geburtstagsgeschenk. Auch wenn ich erst am 23. Geburtstag habe.
Gegen 19.30 Uhr erreiche ich mein heutiges Etappenziel, Coin du Banc. Meine heutigen Gastgeber Janet, Ian und Fernanda sind bereits eingetroffen und erwarten mich schon, während sich zwei weitere Freunde wenig später noch hinzugesellen werden. In dieser Runde verbringen wir den Abend. Es ist eine fröhliche, sehr offene Gesprächsrunde. Und während ich ein wenig von meiner Reise und meinem Leben berichte, wird im Hintergrund das Abendessen bereitet.
Es gibt eine Riesenportion Spaghetti mit Fleischsoße und leckerem Salat. Ein Glas Weißwein beendet das Mahl. Und gegen 21.30 Uhr lege ich mich müde auf der verglasten Veranda des Hauses in meinen Schlafsack. Dankbar über die gefundene Gastfreundschaft und diesen besonderen Tag schlafe ich sicher und geborgen ein.