Die Nacht war ruhig. Kein Feuerwehr-Alarm, der mich weckte. Ich hatte bei der Feuerwehr in Lincoln angefragt und der Feuerwehrmann vor Ort stimmte meinem Wunsch zu. Das Erstaunliche war, dass er deutsch sprach. Er hat es von seinen Großeltern gelernt. Und als kleines Gastgeschenk gab es noch ein Abzeichen des Fire Departments Lincoln, Maine und wenige Minuten später kam ein anderer Herr aus dem Gebäude und erfreute mich mit einem leckeren Brownie. Ich lasse mir Zeit, während mein Zelt in der Morgensonne trocknet.
Gegen 9.00 Uhr fahre ich los, ostwärts. An einem Markt mache ich für einen leckeren heißen Kaffee halt. Eine ältere Dame spricht mich an. Sie hat von meinen Reiseabsichten erfahren und bereichert mich mit ihrem Interesse. So wird schon der Morgen schön.
Was sich auf meiner heutigen Fahrt geändert hat, sind die auffallend vielen Häuser entlang meines Weges, die leer stehen und teilweise, weil nicht mehr gehegt und gepflegt, heruntergekommen bis baufällig sind. Oftmals sind es ganze Häuserzeilen, die am Vergehen sind. Ich suche nach den Gründen … Im krassen Gegensatz dazu steht die Natur, die sich immer mehr vor mir ausbreitet. So viel so sattes Grün. Es ist unbeschreiblich. Und irgendwie verändern die Wälder ihr Aussehen. Nicht mehr so üppig und prall. Mehr locker und zerzaust. Und alles wunderschön.
Der Marktplatz in Cherryfield wirkt trostlos. Die Townhall bräuchte ein paar Reparaturen. Ihr gegenüber, auf der anderen Straßenseite und ein wenig abseits im Schatten eines Baumes entdecke ich einen Blumenstand. Verlassen hockt die Blumenfrau auf ihrem Hocker und wartet wohl auf Kundschaft. Ich sehe weit und breit niemanden. Das wirkt bedrückend.
Und so wechselt das Bild ständig. Aufgegebene und verlassene Häuser und eine wunderbare, abwechslungsreiche Landschaft.
Zeitweise fahre ich auf der Route 1. Sie ist stärker befahren. Aber oftmals sind die Anstiege nicht so steil.
Gegen 15.00 Uhr erreiche ich Machias, Maine. Zwei Dinge, die mir auffallen: die Kirche, deren schneeweißer Turm in den kräftig blauen Himmel ragt und der Wasserfall, der über einige Felsstufen munter zu Tale hüpft. In diesem Ort will ich eine Pause einlegen.
Zwischen Straße und einem größeren Gewässer liegt ein kleines, einladendend ausschauendes Picknickgelände. Hier steige ich ab. Einen Campingtisch weiter herrscht reges Treiben. Es wird ausgepackt, der Tisch gedeckt, Essen bereitet und ein laues Lüftchen mit leckerem Duft weht zu mir herüber. Keine zwei Minuten später kommt Matthew zu mir und läd mich gemeinsam mit seiner Frau Cheryl zum Dinner ein. Hocherfreut nehme ich die Einladung an. Sie nennen es Left Over Dinner. Bevor sie über die Grenze nach Kanada fahren, wollen sie die frischen Lebensmittel verbrauchen.
Jo im Glück.
Es gibt Spaghettis mit Gemüsetopf und Hackfleischwürsten. Und da es ja ein Left Over Dinner ist, lasse ich auch nichts über. Drei Portionen – ich weiß nicht, wie lange es her ist, dass ich so viel verspeist habe. Wir führen ein tolles Gespräch und die Szenerie hat auch Einiges zu bieten. Fischadler kreisen über dem Gewässer, sausen zur Wasserfläche hinab und fliegen anschließend mit ihrem Fang in den Klauen zum Nest. Es ist faszinierend zu sehen, mit welcher Treffsicherheit die Jagd gelingt. So vergeht wohl eine Stunde. Und am Ende würde ich gerne einen Verdauungsschlaf machen. Aber ich will weiter.
Cheryl verät mit noch, dass die örtliche Bibliothek kostenloses WiFi anbietet. Also auf zur Bibliothek. Um 17.00 treffe ich dort ein. Internet ist kostenlos und ich kann bis 19.00 bleiben um zu schreiben. Gleichzeitig kann ich mein Smartphone aufladen. Nur wenige Minuten später kommen auch meine beiden Gastgeber vom Nachmittag vorbei. So arbeitet ein jeder still und leise an seinem Projekt. Kurz vorher schon war Matthew mir mit dem Auto hinterhergefahren und hatte mir mein kleines Stativ gebracht, welches ich am Mittagstisch hatte liegenlassen. Erneut verabschieden wir uns voneinander und ich biege in die Route 191 ein. Schon nach kurzer Zeit merke ich, dass sie einige steilere Passagen aufweist. Meine Beine sind müde.
Also zurück zur Route 1 und auf nach Whiting, Maine. Ein wunderschöner Sonnenuntergang mit doppelter Halo lässt mich für ein paar Minuten verweilen. Um 20.15 Uhr frage ich bei einer Kirche, ob ich mein Zelt auf dem Gelände der Kirchengemeinde aufstellen darf und bekomme ein OK. So verstecke ich mich hinter dem Kirchenbau und sage dankbar gute Nacht.