Jo's DreamA bike. A tent. A year.

Jo

Ein Tag in San Luis Obispo

31. Oktober 2024

Wir alle sind früh auf. Es gibt ein reichhaltiges, gemeinsames Frühstück. Ein Freund der Beiden, seinen Namen habe ich vergessen, kommt hinzu.

Und im Laufe des Gespräches spricht der Freund eine Einladung zu seinem Zuhause aus. Da ich in diesem Familienanschluss eine weitere Möglichkeit sehe, mit netten, interessanten Menschen zusammenzukommen, sage ich zu und freue mich schon jetzt auf die Begegnungen heute Abend.

Zuvor werde ich ein wenig die Stadt erkunden, zur Mission fahren, den Botanischen Garten aufsuchen und dann, wenn der Rücken es zulässt, Moro Bay ansteuern. Ich werde sehen, wie weit ich komme.

californiamissionsfoundation.org

Mein erster Stopp gilt der Mission San Luis Obispo de Tolosa im Stadtzentrum. Von allen 17 Missionen ist diese die einzige, die seit ihrer Gründung im Jahre 1772 immer noch an ihrem ursprünglichen Standort steht. Sie wurde in der Kette der Missionen entlang der Pazifikküste als 5. Mission 1772 gegründet.

Als 1772 in den anderen südlich gelegenen 4 Missionen die Lebensmittel knapp wurden, wurde eine Jagdexpedition nach La Cañada de Los Osos, das Tal der Bären, entsandt, um Fleisch zu holen. Die dortigen Bären wurden erlegt.

Die Indigenen waren dafür dankbar, dass die Soldaten die gefürchteten Bären erlegt hatten. Ein Teil des Fleisches wurde den Indigenen im Tausch gegen essbare Samen überlassen.

Daraufhin entschied Pater Serra, dass das Tal der Bären ein idealer Ort für die 5. Mission sei. Vier Jahre nach der Gründung soll ein Indigener einen brennenden Pfeil auf eines der Missionsgebäude geschossen haben, was einen verheerenden Brand auslöste und Teile der Mission schwer beschädigte.

Nach diesem Vorfall entschied man sich, das Dach der wiederaufzubauenden Gebäude mit Tonziegeln (Mönch und Nonne) zu decken, um solche Brandursachen in Zukunft zu verhindern.

Die bis zu 18 Meter hohen Mauern der Mission wurden nach dem vatikanischen Recht errichtet, das besagte, dass Kirchen so hoch gebaut werden dürfen wie der örtliche Baum – in diesem Fall die Kiefer.

Die Kirche mit ihrem langen Nebenschiff hat einen L-förmigen Grundriss, was unter den Missionen einzigartig ist. Von San Diego bis Sonoma gibt es insgesamt 21 Missionen.

Ich mache mich auf, das Innere der Missionskirche zu besuchen. Auffallend sind die schlichten, weißen Wände …

… die mit einem im gesamten Kirchenraum umlaufenden ca. 80 cm breiten, in Schulterhöhe verlaufenden Blumenband versehen sind. Für mich bisher einzigartig. Dieses Blumenband verleiht der Kirche Frische und Leichtigkeit.

Hier das lange Seitenschiff der Missionskirche mit Blickrichtung auf den Altar, der sich rechts hinter dem Gewölbebogen befindet und von meinem Standort aus nicht sichtbar ist.

Blick vom Seitenschiff in den Altarbereich.

Neben dem Altar befindet sich eine kleine Gedenkstätte, die an die jüngst verstorbenen Mitglieder der katholischen Gemeinde erinnert.

Mission San Luis Obispo de Tolosa

In dem kleinen Souvenirshop neben dem Eingang der Missionskirche, stoße ich auf eine bemerkenswerte kleine Figurengruppe. Erst habe ich über die Darstellung der Krippenfiguren gerätselt. Sieht man doch, daß alle Figuren eine Physiognomie aufweisen, die mehr an den Tod erinnert, denn an das Leben.

Eine nette Dame erklärte mir dann, dass der Tag der Toten keine Trauerveranstaltung ist, sondern eher ein farbenprächtiges Volksfest zu Ehren der Toten. Nach dem Volksglauben kehren die Seelen der Verstorbenen an diesen Tagen zu den Familien zurück, um sie zu besuchen. Dazu passt dann auch die Lebhaftigkeit der Farben und die Darstellungsweise. Hier mischt sich also christliche Religion mit Volksglauben.

Dann mache ich mich auf zum Botanischen Garten, den ich jedem Pflanzenliebhaber wärmstens empfehlen kann. Er ist mit ca. 5 ha nicht groß. Trotzdem ist seine Sammlung durchaus beeindruckend.

Hierzu wieder eine kleine Bildauswahl. Soweit es mir möglich war, habe ich versucht, die Pflanzennamen hinzuzufügen.

Auffällige Honigmyrthe

Südafrikanischer Bleiwurz

Rote Bauhinie

Chilenischer Seifenbaum

Mexikanischer Palmfarn

Baumartige Aloe

Köcherbaum

Agave

Kalifornische Rosskastanie

Lacebark Flaschenbaum

Elefantenohr

Bleistiftstrauch

Aloe Plicatilis

Eine wunderschöne Queensland Araukarie

Detail der Queensland-Araukarie

Australische Banksia …

Brautmyrthe

Und so weiter… In einigen Stunden habe ich über 370 Pflanzenaufnahmen gemacht. Der Park begeistert mich in seiner Vielfalt. Und so verbringe ich Stunden in diesem Park und habe ihn nur oberflächlich gesehen.

Mittlerweile ist es fast 17.00 Uhr. So mache ich mich auf den Heimweg in die Stadt. Diese bereitet sich auf den Abend vor. Heute ist Halloween. Und die Hauptstraße hat sich herausgeputzt.

Überall sieht man Verkaufsstände. Kinder wuseln hin und her. ‚Trick or Treat‘ (Süßes oder Saures) lautet das Motto des Tages und schallt fröhlich aus Kindermündern. Fast jeder Verkaufsstand hält für diese Aufforderung der Kinder einen großen Eimer mit Süßigkeiten bereit.

Während diese Eimer sich langsam leeren, füllen sich die Beutel der kleinen, fein kostümierten Kinder unübersehbar mit unzähligen Leckereien. Die Eltern helfen ihren Kindern und nehmen ihnen die prall gefüllten und mittlerweile schwer gewordenen Beutel im Tausch gegen leere ab. Und schon sind die Kleinen wieder „verschwunden“.

Aber nicht nur die Kleinen beteiligen sich an Halloween. Manch Erwachsener marschiert fein herausgeputzt in Gala auf.

Selbst Ordnungskräfte beteiligen sich an dem Kostümfest.

Und auch ich hab meine Freude an dem Spektakel, das den ganzen Abend andauern wird.

Da ich um 18.00 Uhr zuhause bei meinen Gastgebern sein muss, verlasse ich rechtzeitig Downtown und erreiche pünktlich das Haus. Um Es ist fast dunkel. Und als wir gegen 18.30 Uhr zum Wohnhaus von Kathryn und Myles Freund aufbrechen, ist auch das restliche Tageslicht entschwunden und die Nacht bricht herein.

Die Eltern von Myles‘ Freund begrüßen uns herzlich. Während ich mich immer wieder am Buffet bediene, kommen nacheinander diverse Gäste auf mich zu und unterhalten sich mit mir über meine Reise. Mehrere Male muss ich meinen bisherigen Routenverlauf erklären. Und so bin ich die nächsten zwei Stunden gut beschäftigt.

Zwischendurch werde ich immer wieder aufgefordert, mich am Bufett zu bedienen. Und das tue ich auch. Der Abend verläuft wunderschön. Haben meine Gesprächspartner doch auch ihre eigenen Reisen im Gepäck. Und so findet ein munterer gedanklicher Austausch zwischen uns statt. Gegen 21.00 Uhr machen wir uns auf den Heimweg.

Zuhause angekommen führen wir noch einen wirklich herzliches Gespräch. Was mich an den Beiden besonders beeindruckt, ist ihr noch sehr junges Alter. Soweit ich zurückblicken kann, sind sie meine jüngsten Gastgeber. Und obwohl sie sicherlich nicht so viel haben, sind sie großzügig mit allem.

Da meine Rückenschmerzen den Tag über angehalten haben, überlegen wir gemeinsam, wie ich am nächsten Tag Santa Barbara erreichen kann. Die Zuglinie ist schnell gefunden, aber es gelingt mir nicht, online mit meiner VISA Karte zu bezahlen. Stattdessen gebe ich Myles 40 Dollar und er bucht auf meinen Namen mit seiner Adresse die Fahrkarte von San Luis Obispo nach Santa Barbara für mich.

Zuvor hatten wir uns über die beste Fahrzeit und über den besten Zug unterhalten. Und sie haben mir einen Zug herausgesucht, der über weite Strecken direkt an der Pazifiküste entlang fährt, und dabei die Vandenberg Air Force Base quert.

Mit dem Fahrrad wäre diese riesige Air Force Base nicht zu queren. Ich müsste landeinwärts einen Weg um das militärische Sperrgebiet machen. Beide empfehlen mir den 6:00 Uhr Zug. Auch deshalb, weil die Aussicht auf die Landschaft und das Meer wunderschön sein soll.

Nachdem all diese Planungen abgeschlossen sind, bedanke ich mich bei ihnen ganz herzlich für ihre großartige Gastfreundschaft und Hilfe und ziehe mich auf das komfortable Sofa, das heute Nacht mein Bett sein wird, zurück. Wenige Minuten später lösche ich das Licht, und suche mir eine bequeme Haltung, in der ich meinen Rücken am besten entlasten kann.

Dankbar für den heutigen Tag schlafe ich nach wenigen Minuten ein.

Ich bin ein Glückspilz, weil ich so wunderbare Menschen treffe, die mich reich mit ihrem Interesse und ihrer Gastfreundschaft beschenken.

Und weil ich euch habe, die ihr mich begleitet und mich ebenso reich beschenkt mit eurer Aufmerksamkeit, euren interessierten Kommentaren und den Coffees, über die ich mich immer tüchtig freue. Danke immer wieder!

Von San Lucas nach San Luis Obispo, California

30. Oktober 2024

Die Nacht war kurz und laut. Den ganzen Abend bis nach Mitternacht bellten die Hunde im Dorf. Erst dann erlahmte deren Eifer und wir alle konnten endlich einschlafen.

Irgendwann zwischen drei und vier Uhr morgens startete der erste Hahn mit seinem Krähen, zwanzig Meter hinter dem Bretterzaun neben meinem Zelt.

Der Nachbar hat auch Hühner und einen prächtigen Hahn, der sofort antwortet. Ein dritter Hahn meldet sich. Dann ein Vierter, ein Fünfter. Zuletzt sind es so viele, dass ich das Zählen aufgebe. Währenddessen krähen die Hähne munter weiter.

Das Konzert erlischt erst, nachdem der Tag angebrochen ist. Das Hahnengeschrei ist so laut, dass ich bis zum Morgengrauen keinen Schlaf mehr finde. Immerhin die Hunde sind an diesem Morgen ruhig.

Ich stehe auf und fange an, meine Sachen zu packen. Noch während ich meine Packtaschen an den Gepäckträgern aufhänge, taucht ein erster großer Hund auf. Nachdem er mich entdeckt hat, fängt er lautstark an zu bellen. Ich blicke mich um und ergreife den neben mir liegenden Stock, den mir Maria gestern Abend mit den Worten: „Du wirst ihn brauchen können“, gegeben hat.

Und tatsächlich, mit dem Stock in der Hand verhält sich das Tier plötzlich anders. Abrupt bleibt der Hund, immer noch laut bellend, wenige Meter vor mir stehen. Ich tue so, als wenn ich ihn ignoriere, lehne den Stock griffbereit ans Fahrrad und packe weiter.

Nach einigen Minuten ist es dem Hund offensichtlich zu viel und er trollt sich davon. Es bleibt der einzige Hund an diesem Morgen, den ich höre und störe.

Kurz bevor ich aufbreche, besuchen mich drei Hängebauchschweine. Zufrieden schnüffelnd streifen sie an meinem Lagerplatz umher.

Während es ihnen offensichtlich nichts ausmacht, an diesem Morgen bei 3°C draußen herumzulaufen, ist mir immer noch kalt. Den Körper kann ich schützen. Die Hände bleiben ungeschützt.

Mir fehlen ein paar Handschuhe. Daran hatte ich nicht gedacht. So klammere ich mich an den Fahrradlenker und trete erst einmal ordentlich in die Pedalen, um mich aufzuwärmen.

In der nächsten Morgenstunde steigen die Temperaturen von anfangs 3°C auf 9°C, was meinen Fahrcomfort erheblich steigert. Und schon bald werden es 16°C sein und ich kann meine wattierte Jacke ablegen.

Auf dem ersten Teil der heutigen Etappe geht es wieder durch Farmland. Das Bild zeigt die Wassersprenger, die jeweils am Ende eines ca. 6 Meter langen Rohres aufgesetzt sind.

Hier, auf dieser staubigen Freifläche neben der Straße, stehen 6 Hänger. Jeder dieser Anhänger ist beladen mit circa 150 Segmenten. Hier wird mir noch einmal deutlich, wie wenig Wasser vom Himmel fällt. Und wie wichtig die Wasserversorgung für das Gedeihen der Feldfrüchte und der Weinstöcke ist.

Schon gestern hatte ich Dutzende dieser mit Rohrleitungen beladenen Hänger entlang meines Weges an den Feldrändern gesehen. So schön dieses sonnige, trockene Wetter für mich auch ist, die Landwirte bringt es in Not.

Etwas weiter schreckt mich plötzlich Vogelgeschrei. Das klingt nach Raubvögeln und ich fange an, den Himmel abzusuchen. Ich kann jedoch keine am blauen, wolkenlosen Himmel entdecken.

Stattdessen fällt mir wenig später ein Gestell am Feldrand neben der Straße auf, aus dessen Richtung das markante Vogelgeschrei kommt. Und dann erkenne ich die installierten Lautsprecher an diesem Gestell. Das Ganze wird solar betrieben und ist mobil.

Offensichtlich hat ein Bewegungsmelder angeschlagen, als ich mich dieser Konstruktion näherte und das Vogelgeschrei ausgelöst. Ob es hilft, hungrige Vögel vom Feld fern zu halten, vermag ich nicht zu sagen. Ich jedenfalls fahre weiter.

Nach insgesamt ca. 16 Meilen, die ich bereits geradelt bin, ändert sich abrupt das Landsaftsbild. Ich erreiche das San Ardo-Ölfeld. Es ist ein großes Ölfeld im Monterey County, California. Es liegt im Salinas Valley, das ich seit gestern durchfahre, ca. 8 km südlich der Kleinstadt San Ardo.

Es ist das achtgrößte, produzierende Ölfeld in Kalifornien und von den 20 größten Ölfeldern Kaliforniens das jüngste, das 1947 entdeckt wurde.

Das Hauptfördergebiet liegt am Ostufer des Salinas River und in den angrenzenden Hügeln der Coast Ranges. Es ist ca. 8 km lang und 6 km breit.

Im zentralen Bereich der aktiven Ölförderung wurde ein Großteil der Vegetation entfernt. Hier stehen die Förderpumpen so dicht, dass sich die einzelnen freien Sicherheitsbereiche, die um jede Pumpe herum angelegt sind, überschneiden.

Zu den Rändern hin reicht das Ölfeld bis ans Ufergebiet in unmittelbarer Nähe des Salinas Rivers bis hin zu Grasland, Chaparral und Eichenwäldern in den Hügeln und Hochebenen.

Mein Weg führt direkt zwischen den Förderanlagen hindurch. Das gib mir eine bessere Vorstellung von der Größe jeder einzelnen Pumpe.

Am linken Bildrand, entlang der Straße, sieht man einen kleinen Betonwall, der verhindern soll, dass im Falle eines Öllecks auslaufendes Öl in den hier ganz nahe vorbeifließenden Salinas River gelangt.

Kurz nach dem Passieren dieser Ölpumpen verlasse ich das Ölfeld und wechsle auf die Westseite des Salina Rivers. Bis Paso de las Robles sind es noch 31 Meilen. Ich fühle mich nicht gut. Zu wenig Schlaf. Und der Rücken fängt wieder an, sich unangenehm bemerkbar zu machen.

Eigentlich möchte ich San Luis Obispo erreichen. Aber das scheint mir angesichts der fortgeschrittenen Zeit, meiner Müdigkeit und weiterer 36 Meilen nicht realistisch.

So trete ich erst einmal in die Pedalen, um soweit wie möglich zu kommen. Gott sei Dank ist die Wegstrecke weitestgehend flach. Die Berge erheben sich nur rechts der Straße.

Links der Straße zieht die Landschaft in ganz flachen Wellen an mir vorbei und wird in der Ferne von einem nach Süden auslaufenden Bergzug begrenzt.

Die Bewaldung der Hänge rechts des Weges lockert immer mehr auf.

Irgendwo am Wegesrand hockt ein Truthahngeier auf einem Telegrafenmast und wärmt mit ausgebreiteten Flügeln sein Gefieder.

Ich passiere einen kleinen Bambushain. Bambus ist in Kalifornien nicht heimisch. Gelegentlich wird er zur Zierde gepflanzt. In Fällen mangelhafter Pflege kann er sich selbstständig machen und sich invasiv über größere Flächen ausbreiten. Hier am Wegesrand ist er auf alle Fälle ein Hingucker.

Ihm gegenüber hat eine Baumschule, die diese Pflanzensorten vertreibt, eine witzige Werbeidee umgesetzt …

Am späten Nachmittag gegen 16.00 Uhr erreiche ich Paso de las Robles. Um San Luis Obispo heute noch zu erreichen, ist es zu spät. Meine heutigen Gastgeber wohnen jedoch dort. Müde, abgespannt, unaufmerksam und mit Rückenschmerzen entscheide ich mich, den Bus zu nehmen.

Die Bushaltestelle ist schnell gefunden. Da ich aber erst zur Bank muss, um Bargeld abzuheben, verpasse ich den Bus um kurz nach 5.00 Uhr. Die Busfahrer nehmen nur Bargeld und können keinen Wechselgeld herausgeben. Der Bankautomat spuckt nur eine 50 Dollarnote aus, die ich dann in der Bank bei einem freundlichen Schalterbeamten gegen Kleingeld eintausche.

Um kurz nach 6.00 Uhr kommt mein Bus. Selbstständig lade ich mein Gepäck in den Bus und das Fahrrad vorne vor dem Bus in den montierten Fahrradständer. Ich entrichte das Fahrgeld und werde gebeten, meine Packtaschen nicht an der dafür vorgesehenen Ablagestelle zu verstauen, sondern unter dem Sitz. Nachdem ich das erledigt habe, fährt der Bus los.

Knapp 1½ Stunden später erreiche ich San Luis Obispo. Mit den neuen Vorderradtaschen geht das Ab- und Anbringen meines Gepäcks am Fahrrad schnell und einfach. Für mich einen Grund mehr, mich über die vor Tagen gekauften Farradtaschen zu freuen.

Gegen 20.00 Uhr, es ist schon lange pickeduster, erreiche ich das Haus meiner heutigen Gastgeber Kathryn und Myles. Sie warten schon mit dem Abendessen auf mich.

Myles entpuppt sich als leidenschaftlicher Mountainbikefahrer. Und auch Kathryn ist mit von der Partie. In ihrer Garage hängen über 12 Fahrräder für unterschiedlich sportliche Aktivitäten. Und da sie auf ihren Fahrten erlebt haben, was man am nötigsten braucht, wenn man längere Zeit mit dem Fahrrad auf der Straße unterwegs ist, haben sie sich entschlossen, etwas von dem an die Radfahrgemeinschaft zurückzugeben, was sie selber vorher so genossen haben.

Und so komme ich heute Abend in den Genuss einer leckeren, warmen Mahlzeit. Einer warmen Dusche und eines kuscheligen, warmen Bettes. Außerdem führen wir noch ein wirklich herzliches Gespräch.

Was mich an den Beiden besonders beeindruckt, ist ihr noch sehr junges Alter. Soweit ich zurückblicken kann, sind sie meine bisher jüngsten Gastgeber. Und obwohl sie sicherlich nicht so viel haben, sind sie großzügig mit allem.

Da ich sichtbar mit Schmerzen im Rücken ankomme, erlauben sie mir, einen Tag bei ihnen auszuruhen. Im abendlichen Gespräch machen beide mir wunderbare Vorschläge für den kommenden Tag: Mission, Botanischer Garten, das etwas weiter entfernt an der Küste liegene Moro Bay und den El Moro Elfin Park. Ich werde sehen, was ich davon morgen bewältigen kann.

Im Augenblick bin ich einfach nur froh, zu Ruhen. Mein heutiges Bett ist eine geräumige Couch. Schnell ist mein Schlafplatz hergerichtet. Und schon bald gehen im ganzen Haus die Lichter aus. Dankbar über den schönen Tag, schlafe ich zufrieden ein.

Von Monterey nach San Lucas, California

29. Oktober 2024

Früh am Morgen wache ich auf. Auf dem Campingplatz ist es noch ruhig. Die Temperaturen außerhalb des Zeltes liegen um die drei Grad. Die Kälte zwickt an den Händen. Ich versuche, mich zu bewegen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen.

Als ich 30 Minuten später mein Zelt abgebaut und auf dem Fahrrad verzurrt habe, ist mein Körper warm. Ich verlasse den Campground. Der Eingang ist offen aber unbesetzt.

Und so verlasse ich fast unbemerkt diesen kleinen, stillen Park mit seinem hübschen Hiker/Biker Campsite.

Auf dem Weg hinunter zum Strand stehen gleich neben der Straße zwei Maultierhirschkühe. Sie beobachten mich zwar, zeigen aber keine größere Scheu.

Erinnerungen an das niederländische Zandfort werden wach – da haben die Rehe auch ihre Scheu verloren und wagen sich zwischen Häuser, parkende Autos und Menschen.

Kurz darauf verlasse ich über die ansteigende Dune Crest Avenue Monterey. Für die nächsten 6 – 7 Meilen geht es auf dem Weg aus der Stadt, auf dem ich gestern Abend hereingekommen bin. War ich gestern Abend müde und unaufmerksam, so bin ich heute morgen hellwach und nehme die Landschaft viel intensiver wahr.

Der Monterey Bay Costal Trail führt durch eine schmale, sich an der Küste entlang erstreckende Dünenlandschaft. Eingezwängt zwischen dem Pazifik und dem Highway und nur wenige 100 m breit, erstreckt sie sich über mehr als 20 Meilen entlang der Monterey Bay in Richtung Nord-Nordost.

Es gibt zahlreiche Verwehungen auf dem Radweg, die das Weiterfahren mitunter deutlich erschweren.

An einigen Stellen muss von Zeit zu Zeit der Radweg vom Flugsand befreit werden.

Das Betreten der Dünen entlang der gesamten Fahrradstrecke ist verboten. Das gibt den Pflanzen in den Dünen die Möglichkeit, sich nach und nach anzusiedeln und ganze Matten zu bilden.

An einigen exponierten Stellen haben sich Wanderdünen gebildet, die den Radweg auf einem längeren Abschnitt gefährden. Auch hier muss immer wieder für Abhilfe gesorgt werden.

Kurz vor Erreichen des Fort Ord Dunes Stateparks erreicht diese Pflanzenart eine flächendeckende Ausdehnung und gibt der Landschaft mit ihren vereinzelt stehenden, tiefwurzelnden Zypressen ein reizvolles Aussehen.

Im Gegenlicht wird der Leuchteffekt noch deutlicher.

Über weite Strecken verwandelt sich die Dünenlandschaft in dieser Jahreszeit in ein in unzähligen Rottönen leuchtendes Pflanzenmmeer.

Kurz hinter dem Fort Ord Dunes Statepark finde ich einen Elektronikladen, wo ich mir zwei neue Powerbanks kaufe. Jetzt muss ich nur noch eine Gelegenheit finden, sie aufzuladen.

Nach ca 7 Meilen verlasse ich den Dünensaum und es geht ins Landesinnere ab. Auch hier finde ich wieder Pumpkin Patches. Es erstaunt mich immer wieder, wie tief verwurzelt diese Tradition in der amerikanischen Gesellschaft ist.

Mein Weg führt mich heute durch ein langgezogenes, von Nord-Nordwest nach Süd-Südost verlaufendes, brettebenes Tal, das an beiden Seiten von niedrigen Bergzügen begrenzt wird.

Die Talebene wird landwirtschaftlich genutzt. Hier wird all das angebaut, was man im Obst- und Gemüseladen um die Ecke findet. Außerdem reifen auf vielen Flächen die Rebsorten für den kalifornischen Wein.

Folgt man auf der Straße dem River Road Wine Trail, so gelangt man zu unzähligen Weingütern, die teilweise sehr gute Weine herstellen.

Dabei erstreckt sich das Weinanbaugebiet auf beiden Seiten des Salinas Rivers bis an den Fuß der Bergketten, zwischen denen das langgezogene Tal liegt.

Neben Wein werden z. B. auch Kohl, Karotten und Petersilie angebaut, um nur einige, wenige Gemüsesorten zu nennen.

Während das Bestellen der Felder maschinell erfolgt, wird auf vielen Feldern manuell geerntet …

… und wie schon die Tage zuvor, gibt es Tätigkeiten, die von Farmarbeitern und Erntehelfern verrichtet werden. Was diese Männer auf dem Feld tun, vermag ich nur zu vermuten. Ein Gespräch war mit keinem von ihnen möglich.

Toilettenwagen am Feldrand

Feldarbeiter bei der Arbeit

Petersilie und weitere Gewürzpflanzen entlang der Straße, die durch die Felder führt.

Schließlich erreiche ich die Mission Nuestra Senora de la Soledad. Ich freu mich schon auf einen Besuch dieser im Jahre 1791 gegründeten Mission. Aber ich habe Pech. Die Mission ist geschlossen und weit und breit keine Menschenseele zu sehen.

Zwar kann ich mich draußen ein wenig umsehen, aber begeistert bin ich nicht. Der riesige, staubige Parkplatz gleich neben dem kleinen Blumengarten der Mission erschlägt alles. Ein wenig enttäuscht setze ich meine Fahrt fort.

Es ist bereits spät am Nachmittag, als auf den Feldern die Bewässerung einsetzt. Als sich die Sonne anschickt, hinter der zerklüfteten Santa Lucia Range im Westen zu versinken, erreiche ich King City.

Viel ist hier nicht los. Ein Quartier habe ich noch nicht gefunden. Es wird wohl eine wilde Nacht. So entscheide ich mich, noch ein Stündchen zu fahren. Was ich dabei ganz vergesse ist die Tatsache, dass ich bereits über 60 Meilen hinter mir habe. Und als ich schließlich den nächsten Ort San Lucas erreiche, ist es bereits dunkel.

Ein kleiner Laden neben der Straße hat noch geöffnet. Ich frage den Verkäufer, ob er eine Idee hat, wo ich mein Zelt aufschlagen kann. Eine wirkliche Idee hat nicht, aber er meint, dass alle Bürger dieses Dorfes freundlich sind und bereit währen, mir zu helfen. Also fahre ich ins Dorf San Lucas hinein und klopfe an der erstbesten Haustür.

In der Tür öffnet sich ein Fenster, das mit einer Lochplatte nach außen geschützt ist. Ich kann zwar niemanden erkennen, aber zumindest die Frauenstimme deutlich hören. Kurz darauf kommt eine Männerstimme hinzu. Ich trage mein Anliegen vor.

Leider kann man mir nicht helfen. Ich soll ein Haus weiter gehen. Dort wohnt die Bibliothekarin des Dorfes. Die kann besser Englisch und sie kenne sich im Dorfe besser aus.

So versuche ich mein Glück an ihrer Tür. Die Dame kommt heraus. Und nachdem ich mein Anliegen vorgetragen habe, bittet sie mich, einen Augenblick zu warten und verschwindet wieder im Haus. Kurze Zeit später kommt sie wieder heraus.

Es ist bereits 18.40 Uhr. Um 19.00 Uhr hat sie einen Bibelkreis in der kleinen Kirche des Dorfes. Sie weiß, dass es hinter der Kirche eine kleine Grünfläche gibt, die sich zum Zelten eignet. Vor der Kirche treffen wir Maria, eine weitere Teilnehmerin des gemeinsamen Bibelkreises. Maria ist gleichzeitig für die Kirche zuständig und erlaubt mir, mein Zelt hinter der Kirche aufzuschlagen.

Erleichtert atme ich auf und fange sofort an, mein Zelt im Schein meiner Stirnlampe aufzubauen. Maria und die Bibliothekarin unterhalten sich noch ein paar Minuten mit mir.

Die Bibliotekharin, die übrigens Amparo (Schutz) heißt, legt mir noch einen Stock zu meinen Füßen. Sie meint, dass es gut sein könne, dass Hunde vorbeikommen. Zum Fernhalten der Hunde sei ein ordentlicher Stock ganz gut geeignet. Dann ziehen sich Beide in die Kirche zurück und ich bin allein.

Sie haben mich noch gewarnt, dass es in dieser Nacht sehr kalt werden soll. Und so krieche ich in meinen Schlafsack und versuche, zur Ruhe zu kommen. Bis nach Mitternacht gelingt mir das nicht.

Im Dorfe hat wohl jeder einen Hund. Und diese Hunde sind nachts außerhalb des Wohnbereichs im Hof eingesperrt. Schlägt der erste Hund lautstark an, geht sofort darauf ein bellendes Lauffeuer durch das ganze Dorf.

Dieses laute Hundegegebell hält bis nach Mitternacht an. Irgendwann muss ich dann eingeschlafen sein.

Von Santa Cruz nach Monterey, California

28. Oktober 2024

Am frühen Morgen bietet mir Jeannine ein Frühstück an, dass ich gerne annehme. Außerdem darf ich mir noch ein paar Energybars aussuchen und mitnehmen. Es ist schon großartig, was beide für mich tun.

Für mich sind sie ein außergewöhnliches Ehepaar. Jeannine ist sportlich, durchtrainiert und begeisterte Radsportlerin. Sie nimmt gelegentlich an Radrennen teil.

Eric ist bereits im Ruhestand. Er hat viele Jahre lang im Autosport unter anderem als Ingenieur für den Lotus Rennstall gearbeitet. Außerdem hat er 3 Mal an der Rallye Paris Dakar erfolgreich teilgnommen. Wann immer er erzählt, begleitet ein fröhliches Lachen seine Geschichten.

Vor der Haustür stehen unter anderem ein Sportwagen der Marke Fisker Modell KARMA, sowie ein Range Rover mit 500 PS Leistung. Insbesondere der Karma weist einige technische Innovationen auf, die zukunftsweisend sein könnten.

Darunter das Autodach, das komplett mit Solarzellen ausgestattet ist. Eric erzählt, dass die Kapazität ausreicht, um im Sommer, wenn das Fahrzeug in der Sonne abgestellt und der Motor ausgeschaltet ist, den Innenraum auf 25°C zu halten.

Leider wurde die Produktion der Marke Fisker vor Jahren eingestellt. Als Grund gab Eric an, dass die staatliche Unterstützung der USA in dieser Zeit Elon Musk’s Unternehmen zugute kam und Fisker nicht berücksichtigt wurde, da der Topf leer war.

Seine andere Leidenschaft gilt dem Motorradsport. In seiner Garage stehen etliche wunderschöne Motorräder. Unter vielen anderen auch eine Yamaha Ténéré.

Auffällig sind die Schläuche am hinteren Ende der Sitzbank, die in die beiden Zusatztanks führen. Ich hab von all der Technik nicht so viel Ahnung. Wichtiger ist mir die Begegnung mit Eric, der in den höchsten Tönen von seiner Leidenschaft schwärmt. Da fällt mein Fahrrad viel bescheidener aus.

Gegen 9 Uhr verlasse ich die beiden. Es war ein bemerkenswerter, kurzer, toller Aufenthalt bei zwei Menschen, die das Leben in vollen Zügen genießen und mich für die Dauer meines Aufenthalts in ihrem Hause haben daran teilnehmen lassen.

Über die Walnut Avenue erreiche ich einige Minuten später die 12. kalifornische Mission, die Missión La Exaltación de la Santa Cruz, die 1791 von den Franziskanern gegründet wurde.

Von der einstigen spanisch-kalifornischen Mission ist nichts geblieben. Nach mehreren Erdbeben in den vergangenen Jahrhunderten wurden die Reste der Mission irgendwann abgerissen.

Das heutige kleine Gebäude der Missionskapelle ist eine Nachbildung in der Nähe des ursprünglichen Standortes. Mein Besuch der Innenräume der Mission ist nicht möglich. Die Tür ist verschlossen. Und so mache ich mich auf den Weg aus der Stadt.

Noch einmal fahre ich an der alten, hölzernen, weiß-rot gestrichenen Achterbahn vorbei.

Noch einmal werfe ich einen letzten Blick zurück auf dieses technische Wunderwerk aus dem frühen 20sten Jahrhundert, bevor ich über eine Radwegbrücke die Stadt Richtung Süden verlasse.

Ich passiere das Walton Lighthouse und radle die Küste entlang. Es gibt nur wenige Steigungen und so komme ich bequem und rückenschonend voran.

Die kleinen Badestrände sind so früh am morgen noch weitestgehend leer.

Die Buchten, in denen die Wellenberge auflaufen, bieten schon am Morgen ein anderes Bild.

Hier haben sich bereits viele Surfer versammelt, die mit großem Eifer immer wieder die Wellenberge mit ihren Boards hinabgleiten.

Nahe meines Weges komme ich an einem Haus vorbei, dass großzügig für Halloween geschmückt wurde. Im Vorbeifahren frage ich mich, wie viel Platz es bedarf, um nach Halloween all diese Gestalten und die Deko-elemente bis zum nächsten Jahr zu verstauen.

In den letzten Tagen habe ich viele solcher geschmückter Häuser gesehen. Nach Halloween folgt Ende November der nächste Deko-Termin mit Thanksgiving. Und gegen Ende Dezember Christmas und New Year.

Ich bin gespannt, was ich zu diesen Terminen vor den Haustüren finden werde. Erst einmal steht jetzt Halloween bevor, und dann werde ich weitersehen.

Hinter jeder Kurve finde ich eine neue Bucht und im auflaufenden Wasser fast immer einen Haufen auf die richtige Welle wartender Surfer.

Das Spiel mit den Wellen ist eine beliebte Sportart, die 1983 noch längst nicht so weit verbreitet war.

Neben der Straße leuchtet ein Goldmedallion Baum grell in der Morgensonne.

Einige Straßen weiter zieht ein pinkrot blühender Florettseidenbaum alle Aufmerksamkeit auf sich.

Südlich Capitola erreiche ich Potbelly Beach. Hier haben sich etliche Häuslebauer ihr Eigenheim am Fuße der Klippe wenige Meter vom Pazifik entfernt und fast auf Meeresniveau errichtet.

Ich bin erstaunt, weisen doch die Beschilderungen an den Straßen, die vom Meer ins Landesinnere führen darauf hin, dass sie als Tsunami Fluchtrouten ausgewiesen sind. Für mich ein Widerspruch.

Gewiss, die Lage der Häuser ist in jeder Hinsicht einzigartig. Ich kann mir vorstellen, dass eine Versicherung für diese Häuser extrem teuer ist. Und das wiederum lässt vermuten, dass manch eines dieser Häuser nicht versichert ist. so wünsche ich den Menschen, die in diesen Häusern wohnen, viel Freude und noch viel mehr Glück.

Hinter Potbelly Beach verlasse ich die Küste. Weiter geht es durch Farmland. Ich weiß nicht, was hier angebaut wird. Es ist kein Spargel. Die meisten Felder sind mit einem ausgeklügelten Bewässerungssystem ausgestattet.

Diese Felder ziehen sich über weite Strecken und über etliche Bergkuppen links und rechts der Straße hinweg.

Auf den Feldern herrscht während des Tages reger Betrieb. Die Feldarbeit beginnt morgens, sobald es hell wird. In diesen Tagen sinken die Temperaturen über Nacht und erreichen ihren Tiefpunkt von um die 2-3°C gegen Morgen.

Tagsüber steigen die Temperaturen zwar um die 20°C. Der starke, von der See her kommende Wind kühlt allerdings die Körper der Menschen nach Stunden aus. So sehe ich immer wieder Arbeiter, die sich zum Schutz gegen den mitunter beißenden Wind Folienbahnen über die Schultern bis hinunter zu den Knien binden.

Es ist eine Knochenarbeit. Und ich sehe die Arbeiter bis um fünf Uhr auf den Feldern.

Die Toilettenhäuschen sind mobil gestaltet. Meist findet man hinter den Toiletten Waschbecken und Seife. In diesem Bild wird die Rückseite allerdings als Garderobe genutzt.

Nach einiger Zeit kehre ich an die Küste zurück. Über den Monterey Coastal Bay Trail erreiche ich schließlich die gleichnamige Stadt. Der Fuß- und Radweg führt mehrere Meilen durch eine wunderbare Dünenlandschaft. An manchen Stellen jedoch behindern Verwehungen ein zügiges Vorankommen.

Mit Einbruch der Dämmerung erreiche ich den Veterans‘ Memorial Statepark in Monterey. Er liegt 136 m über der Stadt. So heißt es noch einmal: Alle Kräfte sammeln und im 1. Gang ganz langsam den Berg hinauf.

Für 8 Dollar kann ich mein Zelt im Hiker/Biker Bereich aufstellen. Mittlerweile ist es richtig kalt und ich fange an zu frieren. So spute ich mich und keine ¼ Stunde später bin ich im Schlafsack verschwunden. Es ist gerade genug Zeit, noch die Zähne zu putzen. Und dazu brauche ich nicht einmal mehr die Hand zu bewegen, so stark zittere ich vor Kälte.

So bin ich froh, dass der Tag zu Ende geht und ich mich in meinen warmen Schlafsack kuscheln kann. Es war ein richtig guter Tag. Und danke, dass auch Ihr wieder dabei wart.

Von Half Moon Bay nach Santa Cruz, California

27. Oktober 2024

Wie erwartet scheint mir am Morgen die Sonne ins Gesicht. Früh bin ich hoch, um den Tag und das Tageslicht zu nutzen. Auch die anderen Radwanderer, wir sind insgesamt 10 sind auf. Jeder ist am Packen. Eine Stunde später wird die Campsite bereits leer sein.

Es geht in alle Himmelsrichtungen. Vier wollen in den Norden. Drei in den Süden und zwei nach Osten aufbrechen. Das Ehepaar, das ich gestern traf, überlegt, ob es den Zug nimmt. Eine Option, die auch ich in Erwägung ziehe, falls der Rücken Probleme macht.

Am Strand sehe ich zwei Angler, die in der Brandung auf Fischfang sind.

Und bereits wenige Kilometer südlich Half Moon Bay liegen die Kürbisse auf dem Feld. Bereit für Halloween.

Ein Teil der Küstenstraße liegt heute morgen im vom Ozean hereinziehenden Nebel. Er ist nasskalt. Nieselregen setzt ein und beschlägt meine Brillengläser. Ich schütze mich mit meiner wattierten Patagonia Jacke gegen die nasse Kälte.

Den Nebelschleier bekomme ich nicht von den Gläsern runter. Nachdem ich die Gläser geputzt habe, dauert es nur Sekunden, bis sie wieder beschlagen sind.

Ich hoffe, dass der Nebel sich auflöst. Aber der Blick aufs Meer sagt etwas Anderes. In dieser Bucht wird sich der Nebel noch länger aufhalten.

So radle ich durch den Nebel und erfreuen mich an den Brandungswellen, die über die vorgelagerten Riffe und Felsen ans Ufer schwappen.

In den Brandungswellen kann ich in diesem Abschnitt kleine Pflanzen erkennen, die an Palmen erinnern. Es ist erstaunlich, mit welcher Kraft sie den herandonnernden Wellen Widerstand leisten, ohne zu brechen.

Auch in der nächsten Bucht sieht es nicht besser aus. Der Horizont verschwindet auch hier im Nebel.

Ein paar Buchten weiter lichtet sich dann langsam der Nebel und die ersten Sonnenstrahlen brechen durch …

… und als ich Pigeon Point Lighthouse erreiche, eine weitere halbe Stunde später, ist die Frische des Morgens verschwunden und ich kann meine wattierte Jacke ablegen.

Pigeon Point Lighthouse wird auch heute noch als Hostel betrieben. Allerdings war vom Leuchtturm nichts zu sehen. Er war eingerüstet. Und das seinerzeit 1983 noch zum Hostel gehörige größere Hauptgebäude wird heute als kleines, maritimes Museum genutzt.

Wegen der Bauarbeiten kann ich den einstigen Charme nicht erkennen. Und so entscheide ich mich, hier auf der Baustelle nicht zu übernachten sondern weiter zu fahren Richtung Santa Cruz.

Noch ein letzter Blick auf die gefährlichen Klippen unterhalb des Leuchtturms.

Dann geht es weiter. Vorbei an Pampasgrasbeständen, die die Hänge hinaufreichen und mit ihren hellen Fruchtständen einen lebhaften Kontrast zur Umgebung bilden.

Vorbei an Graswiesen, die langsam die Farben des Herbstes annehmen.

Am Strand entlang des Pazifiks.

Vorbei an Klippen und mächtigen Felsen, die im Uferbereich aus dem Meer ragen und daran erinnern, dass sie einst zum Festland gehörten.

Schließlich erreiche ich Santa Cruz mit seiner berühmten, ca 100 Jahre alten, hölzernen Achterbahn. Für mich ein erfreuliches Wiedersehen.

Äußerlich hat sich nicht viel verändert. Sicher, die Technik wurde den modernen Zeiten angepasst. Aber die Begeisterung ist genau dieselbe wie 1983, als ich Big Dipper, wie die Bahn auch genannt wird, das erste Mal sah.

Einen besonders reizvollen Blick auf den Bordwalk mit Big Dipper hat man von der 836 Meter weit ins Meer ragenden Santa Cruz Wharf. Sie ist fast bis zum Ende mit dem Auto befahrbar. Fahrräder und Fußgänger sind bis zum Ende der Wharf erlaubt.

Besonders kurz vor Sonnenuntergang leuchtet der Bordwalk vor den dunklen Bergen im Hintergrund in allen Farben. Und Big Dipper bietet dann die schönste Ansicht.

Auf der Wharf herrscht reges Treiben. Wer will, kann ein Tänzchen wagen …

… oder einfach seine Angel auswerfen und auf einen guten Fang hoffen.

Eine Attraktion sind auch die zahlreichen Seelöwen, die mit ihrem Lärm schon von weitem auf sich aufmerksam machen.

Träge liegen sie in der wärmenden Abendsonne neben der Wharf auf eisernem Gerüst …

… das sich etwa 1,20 m über der Wasseroberfläche befindet. Und nicht alle Seelöwen erreichen dieses bevorzugte Sonnendeck.

Auch wenn die Seelöwen mitunter recht putzig ausschauen, so sind es doch mächtige Raubtiere, mit denen nicht zu spaßen ist.

Und während die alten, mächtigen Bullen auf dem eisernen Gerüst ruhen, versucht der Nachwuchs eifrig, die noch leeren Plätze zu ergattern.

Es erstaunt mich, mit welchem Eifer die Tiere immer und immer wieder versuchen, aus dem Wasser auf dieses hoch aus dem Wasser ragende Gerüst zu gelangen.

Nach einem letzten Blick aufs Meer mache ich mich auf den Weg zu meinen Gastgebern, die mich bereits erwarten.

Eigentlich wollte ich um 18.00 Uhr da sein. Aber ich habe mich gründlich verkalkuliert und erreiche mein Ziel erst gut eine Stunde später. Zwar hatte ich meine Gastgeber kurz vor 18.00 Uhr noch informiert, dass ich später komme. Aber es ist mir trotzdem unangenehm.

Meine heutigen Gastgeber heißen Jeannine und Eric. Der Empfang ist herzlich und das Gästezimmer wunderschön. Auch hier verbringe ich nach einem leckeren, reichhaltigen, gemeinsamen Dinner einen reizvollen Abend mit tollen Gesprächen.

Auch heute hilft man mir bei der Planung des nächsten Tages. Auch hier finde ich einen warmen Platz zum Ausruhen. Besonders mein Rücken bedankt sich bei dem guten Bett.

Eigentlich sind all die Abende immer viel zu kurz. Habe ich doch ständig den Wunsch, mit den Menschen mehr zu kommunizieren. Trotzdem bin ich jedesmal dankbar für die großartige Gastfreundschaft und die in der kurzen Zeit geführten Gespräche.

Und jede dieser Begegnungen verwandelt sich in eine wunderschöne Perle, die in meiner Schatzkiste mit der Aufschrift: Jo’s Dream landet. Langsam füllt sich mein Traum-Kästchen. Und ich freu mich schon auf die Perlen der nächsten Tage. Gute Nacht.

Von San Francisco nach Half Moon Bay, California

Maureen und Roy mit ihrem Wahlmotto

26. Oktober 2024

Ich bin früh unterwegs. Der Abschied von meinen Gastgebern war kurz. Fast hätte ich geweint. Aber die Unruhe treibt mich, meine Reise fortzusetzen.

Schon am ersten Berg, ich bin noch nicht raus aus der Stadt, macht sich mein Rücken unangenehm bemerkbar. Also reduziere ich meine körperliche Belastung und fahre die Berge im ersten oder zweiten Gang hinauf. Das ist zwar langsamer. Aber auch kräfte- und rückenschonender.

Die Vororte San Franciscos ziehen sich ein paar Meilen hin. Es geht bergauf und bergab. Gott sei dank sind die Straßen in den Wohnvierteln längst nicht so überlastet wie in San Francisco selbst. Und so komme ich trotz langsamerer Fahrweise doch ganz gut voran.

Manch Pumpkin hat mittlerweile seinen Weg vom Pumpkin Patch in den Vorgarten gefunden. Sehr zur Freude vorbeikommender Kinder und Erwachsener.

Auf meiner Reise durch die USA sind mir wiederholt lange Schlangen besonders vor Kirchengebäuden aufgefallen. Hier stehen die Menschen an, deren Geld für Essen und Dinge des täglichen Bedarfs nicht reicht.

Es sind in der Regel von den Supermarktketten gespendete Lebensmittel, deren Verfallsdatum fasst erreicht ist. Manches Lebensmittel, dass sich schlicht nicht gut verkaufen lässt, landet ebenfalls auf diesen Gabentischen. Shampoo, Seife, Wäsche und Kleidung. Oftmals reicht es nicht für alle.

Was mich bei alledem jedoch wundert, ist die Tatsache, dass viele der Wartenden nach dem Verlassen der Kirchengebäude mit gefüllten Taschen zu ihren Autos eilen.

Ich kenne die Gründe für die Not nicht, welche die Menschen zu diesen Ausgabestellen treibt. Und ich habe auch den Eindruck, dass es sich nicht um die große Gruppe der wirklich Obdachlosen handelt, die dort anstehen. Sie sind im Erscheinungsbild fast aller Städte sichtbar und bereiten vielen Städten auch große Sorgen.

Oftmals tragen sie wirklich das letzte Hemd am Leib. In der Schlange auf der gegenüberliegenden Straßenseite entdecke ich keinen dieser Obdachlosen. Und ich bin dankbar, dass diesen Menschen geholfen wird.

Über den Lake Merced Boulevard verlasse ich endgültig San Francisco …

… und erreiche über den Skyline Drive Dale City an der Pazifikküste.

Eine kurze Strecke geht es den Berg hinab bis auf Meeresniveau. Und gleich darauf wieder hinauf über den ersten höheren Berg, hinter dem Pazifica im Talkessel liegt.

Noch einmal möchte ich bei Laura und Greg vorbeischauen und mich für die liebevolle Aufnahme, die schon ein paar Tage zurückliegt, bedanken. Außerdem wollte ich mitteilen, dass ich ihre Tochter Ayla im Fahrradgeschäft nicht angetroffen habe.

Da ich mich nicht angemeldet habe, muss ich hinnehmen, dass niemand zuhause ist. Ich hinterlasse eine kleine Sprachnachricht und verabschiede mich dann endgültig aus Pacifica.

Hier wird an geliebte Menschen erinnert, die an einer Überdosis gestorben sind. Der 31. August ist der International Overdose Awareness Day (IOAD), eine globale Kampagne zur Beendigung der Überdosierung.

Hinter Pacifica gelange ich auf den Quarry Running Trail, einen ausgewiesenen Fahrradweg, der entlang der Küste verläuft.

Fentanyl ist ein ganz großes Problem in Californien, das der Staat bisher nicht in den Griff bekommen konnte. Die Folgen sieht man hier, entlang des Quarry Running Trails.

Fentanyl ist ein synthetisches Opioid und wird in der Anästhesie und der Intensivmedizin verwendet. Es hat ein hohes Suchtpotenzial und der Missbrauch endet häufig tödlich.

Entlang dieses Weges sind auf einer Strecke von gut 200 Metern kleine Beete angelegt, die ein wenig an Grabstellen erinnern. Es sind kleine Gedenkstätten, die an verstorbene Menschen erinnern.

Das Besondere dieser kleinen Parzellen besteht für mich darin, das hier überwiegend jenen gedacht wird, die an den Folgen ihrer Drogensucht gestorben sind. Auf mehreren Parzellen entdecke ich den Hinweis auf Fentanyl.

Wenig später enden diese kleinen Gedenkstätten und es geht weiter durch die Hügelkette entlang der Küste.

Immer wieder nähert sich der Trail der Küste, sodass ich die Aussicht auf den Pazifik wirklich genießen kann.

An einer Stelle windet sich der Fahrradweg in kleinen Serpetinen den Berg hinauf.

Schließlich mündet der Trail In den alten Highway 1. Dieser Streckenabschnitt ist heute für den Autoverkehr gesperrt. So lässt es sich angenehm fahren. Wenn nicht die 9 %ige Steigung wäre.

Ich hatte Glück, denn ich muss nur hinunter fahren. Aber mir geht nicht aus dem Kopf, wie ich vorher den Berg erklommen habe. Ein Warnschild war jedenfalls nicht vorhanden.

An einer langgezogenen Steigung schließe ich auf zu einem Ehepaar, das ebenfalls auf dem Weg in den Süden ist. Ich hänge mich hinten dran und kann das Tempo der Beiden locker mithalten.

Während die Frau sich mehr und mehr von uns absetzt, werden wir beiden Männer immer langsamer. Bis schließlich mein Vordermann in einer kleinen Nische hält und mich vorbeilässt mit der Bitte, ruhig weiter zu fahren. Er brauche erst einmal eine Verschnaufpause.

Circa 1 Meile weiter hole ich seine Frau ein. Im Gespräch erfahre ich, das ihr Mann Im vergangenen Jahr eine Herzerkrankung hatte, die heute sein Leistungsvermögen einschränkt.

Während sie auf ihren Ehemann wartet, setze ich meine Reise fort. Wir werden uns später auf dem Campingplatz wiedersehen.

Die Landschaft wechselt sich zwar ab, aber ändert sich kaum. Es bleibt eine Küstenlandschaft mit vielen kleinen Buchten und kleinen Felsnasen, die aus der Küstenlinie ins Meer hinausragen.

Manche dieser Buchten sind zum Surfen und Kayaken gut geeignet. Mitunter tummeln sich Dutzende von Surfern in der Brandungszone.

Selten sieht man alternative Häuser wie dieses Ocean Studio.

Eine Besonderheit, über die ich mich immer wieder wundere, sind die direkt an den Strand gebauten Häuser.

Nicht weit von diesem Haus entfernt sind Schilder entlang der Straßen für Tsunami-Fluchtrouten aufgestellt. Das ist für mich ein großer Widerspruch.

Eine Allianz aus Künstlern und Schriftstellern, die gemeinsam daran arbeiten, tieferes Mitgefühl und Verständnis für die Natur zu entwickeln.

Auf dem weißen Schild steht: Eine einmalige Gelegenheit für einen abenteuerlustigen, zielstrebigen Filmemacher oder anderen Medienprofi, an diesem wunderschönen, geodätischen Studio mit Meerblick teilzuhaben (kein Wohnbereich).

Ich brauche also gar nicht erst anzuklopfen. So ziehe ich weiter.

Wenige Minuten weiter grüßt ein Wahlplakat. Bisher hatte ich nur Donald Trump in marzialischer Haltung mit gestähltem Körper, ein Maschinengewehr in der Hand, gesehen. Leider hab ich das Poster nicht fotografiert. Es würde als Gegenstück gut zu diesem Poster passen.

Beide Poster drücken für mich keinen demokratischen Diskurs sondern eher einen echten Kampf aus, bei dem es einen Gewinner und einen klaren Verlierer gibt.

Die Waffen in der Hand eines jeden sagen zusätzlich viel über das Schicksal des Verlierers aus.

Es ist Pumpkinsaison. Diese Saison ist an den Herbst angelehnt, reicht von Anfang Oktober bis zum Ende November, wobei Halloween den Höhepunkt dieser saisonalen, sich jährlich wiederholenden Veranstaltung bildet.

Am späten Nachmittag erreiche ich Half Moon Bay. Und auch hier werden auf einem Pumpkin Patch Kürbisse in den unterschiedlichsten Größen angeboten.

Schließlich erreiche ich mein heutiges Ziel, den Francis Beach State Park, wo ich für 7 Dollar einen Platz nebst kostenloser Dusche finde. Gleich hinter den Dünen und nur 100 Meter vom Meer entfernt.

Ein ruhiges Plätzchen im Abendschatten uralter Zypressen. Morgen früh wird die Sonne das Zelt wärmen. Ich freu mich drauf.

Mein letzter Besuch führt mich an diesem Tag an den Strand hinter den Dünen. Während ich dem einsetzenden Sonnenuntergang zuschaue, ziehen Pelikane über mich hinweg.

An der vordersten Schaumfront der auf dem Sandstrand auslaufenden Wellen tummeln sich Meeresstrandläufer und weichen geschickt jeder flach eintreffenden Wellenfront aus.

Im Hintergrund färbt sich der Himmel nach und nach tiefrot und gießt einen Teil seiner Farbe in den Ozean. Ein faszinierender Moment, der schon wenige Minuten später seine Strahlkraft verloren hat.

Langsam durchdringt die abendliche Kühle meine Kleidung und noch bevor es dunkel ist, ziehe ich mich frierend in mein kleines Zuhause zurück. Ich breite den Schlafsack über meinem Körper aus und bereits nach wenigen Minuten muss ich eingeschlafen sein.

Tag 4 in San Francisco

25. Oktober 2024

Nach einem leckeren Frühstück mit allem, was dazu gehört, mache ich mich auf den Weg zur Valencia Cyclery, einem Fahrradladen im Mission District. Dort erhalte ich die Gepäckträger und die Front-Roller. Beides ist ein Geschenk von Jens, dem ich von Herzen danke.

Mir werden die Front-Roller eine große Hilfe sein. Erstens werde ich die unhandlichen Cottonbeutel los, mit denen ich meine Verpflegung transportierte, und die immer irgendwie außen auf meinen Gepäcktaschen befestigt werden mussten.

Ständig riss ein Henkel, die Beutel baumelten vom Rad herunter oder der Inhalt kullerte auf die Straße. Also was für eine Erleichterung ich jetzt habe.

Zweitens verteilt sich das Gewicht besser auf beide Achsen, womit ich eine bessere Kontrolle über mein Rad habe.

Die Montage hat zwar gedauert. Aber sie hat sich gelohnt. Um 12.00 Uhr ist dieser Teil meines Tagesplans erledigt und ich mache mich auf den Weg, weitere Teile der Stadt zu erkunden.

Es wird mein letzter Tag in San Francisco sein. Und so nehme ich mir ein paar Orte vor, die ich bereits 1983 besucht hatte. Dabei passiere ich nochmal die Cable Cars, welche die Powell Street hinaufrumpeln. Auch hier sehe ich lange Warteschlangen voller geduldiger Menschen. Die Stimmung ist entspannt.

Manch einer, der wartet, findet Zeit für ein Tänzchen, bis er im nächsten Waggon wenn auch nur den letzten Stehplatz findet. Kurz darauf setzt sich der Cable Car in Bewegung und verschwindet nach gefühlt 15 Minuten oben am Horizont hinter der Bergkuppe.

Blick von der Kreuzung Stockton Street/California Street hinunter zur San Francisco-Oakland Bay Bridge.

TIGER-DRAGON Mural in Chinatown

The Zodiak Wall an der Jack Kerouac Alley in Chinatown.

Als nächstes fahre ich durch Chinatown. Hier hat sich viel verändert. Ich vermisse das pulsierende Leben mit seinen asiatischstämmigen Menschenmassen. Die Bürgersteige wirken leer, auch wenn sie von ein paar Touristen bevölkert werden.

Das Flair, wie ich es 1983 vorgefunden hatte, ist verschwunden. Das quirlige Leben in den kleinen Straßen, die Menschenmassen auf den Bürgersteigen, die kleinen Geschäfte, der chinesische Backshop, der chinesische Schlachter. Die knusprig golden glänzenden Pekingenten in den Auslagen. Ich kann sie nicht mehr finden.

Die chinesischen Schmuckläden mit ihren Jade- und Gold-Auslagen. Ich finde einen einzigen. Und der hat geschlossen. Dafür finde ich um so mehr typische Souvenierläden, wie man sie an jeder touristischen Meile finden kann. Die Sortimente austauschbar.

Vielleicht bin ich nur an einem falschen Tag hier. Es kommt ein wenig Wehmut auf. Aber dann sage ich mir: Jo, du warst 1983 hier und hast wunderschöne Eindrücke gesammelt, die dir für den Rest deines Lebens bleiben werden. Und damit bin ich sehr zufrieden.

Natürlich freue ich mich, wieder in San Francisco’s Chinatown zu sein. Es ist eben alles anders. Und dieses andere Chinatown versuche ich nun in wenigen Bildern einzufangen.

2024 – Das Jahr des Drachen

Mural in der Jack Kerouac Alley

Sum Dim Sum Restaurant an der Ecke California Street/Grant Street

Hellrote Laternen, die über der Grant Street aufgehängt sind, geben dem Straßenzug das chinesische Flair. Die gelbe Werbetafel mit den roten, chinesischen Schriftzeichen verstärkt den exotischen Eindruck. Sie weist auf die Jinshan, Chinese Service Co., Ltd. hin, einem Unternehmen, das vielfältige Aufgaben für die asiatischen Bürger San Franciscos übernimmt.

Dazu gehören Fragen und Unterstützung bei der Berufsausbildung, der Einbürgerung und Einwanderung, zu Studienaufenthalten im Ausland, Aufenthaltsverlängerungen, notariell beglaubigte Übersetzungen, chinesische Angelegenheiten, US-Immobilien, chinesische und US-Visa, Einwanderungsgarantie, Firmenregistrierung, Lebensmittelbescheinigung, Reisetickets, Heirat und Scheidung, Heirat zu Hause, Namensänderung, Immobilien in China.

Überspitzt formuliert ein Büro für Verwaltungsarbeiten, das insbesondere die asiatischen Bevölkerung anspricht.

Geschäftsreise in Chinatown

Von Chinatown geht es weiter zum Coit Tower. Es grüsst das Cable Car, und im Hintergrund erscheint die Transamerica Pyramid, ein 260 m hoher und 48-Stockwerke zählender Wolkenkratzer.

Schließlich erreiche ich den Coit-Tower. Ein schlichter Turm, von dessen Plattform aus man einen sehr guten Überblick über die ganze Bay-Area hat.

Vor dem Coit Tower stand 1983 eine Bronzefigur, die Christoph Columbus darstellte. Diese Statue wurde 2020 entfernt, da sie „nicht mit den Werten San Franciscos oder dem Engagement der San Francisco Arts Comission für Rassengerechtigkeit übereinstimmt“.

Dabei setzt sich die Reihe der Wandgemälde, die übrigens in Fresco-Technik ausgeführt wurden, im 1. und 2. Stock des Turmes fort.

In der Lobby des Turmes befinden sich einige interessante, großflächige Wandgemälde zu unterschiedlichen Themen. Hier eine Orangenernte.

Die Wandgemälde zeigen Californien während der Großen Depression.

Nach kurzem Aufenthalt verlasse ich den Telegraph Hill und fahre nochmals die Hafenanlagen entlang Richtung Golden Gate Park. Dabei fallen mir immer wieder die autonom fahrenden weißen Fahrzeuge von Waymo auf, die mittlerweile das Stadtbild prägen.

In einem Punkt scheinen sie die besseren Verkehrsteilnehmer zu sein: Sie befolgen mit technischer Gelassenheit strikt die Geschwindigkeis- und Verkehrsregeln. Das wiederum bringt eilige Autofahrer mitunter zur Verzweiflung.

Ich selbst habe mich in den vergangenen Tagen an die Teilnahme dieser Fahrzeuge gewöhnt und vertraue Ihnen.

Seltener sind diese Motorräder mit Beiwagen im Stadtbild zu sehen, mit denen ein Unternehmen zur Sightseeing-Tour durch die Stadt einlädt.

Nach knapp einer Stunde erreiche ich im Golden Gate Park das M. H. de Young Memorial Museum. Da meine Zeit sehr begrenzt ist, verzichte ich auf einen Besuch des Museums. Es liegt eingebettet in den Parkanlagen.

Licht und Schatten bilden hier einen ganz besonderen Reiz. Der hochmoderne, schwarze Bau steht in einem spannenden Kontrast zur umgebenden, gepflegten Natur

Schon diese Effekte ziehen mich in ihren Bann. Und ich bin nicht allein. Mancher Besucher mit professioneller Kameraausstattung versucht, den richtigen Licht-Moment an diesem Ort einzufangen.

Ich habe nur den Augenblick zur Verfügung. Aber der beschert mir in meiner Wahrnehmung durchaus interessante Momente.

Vom de Young Memorial Museum wechsle ich hinüber zum Greenhouse, einem weißen, kuppelförmigen Gewächshaus.

Es sind nur wenige Fahrminuten auf den breiten Fuß- und Radwegen des Golden Gate Parks …

… bis ich das Gewächshaus erreiche. Der Eintrittspreis ist moderat und ich kann meine neuen Vorderradtaschen an der Kasse zur Aufbewahrung hinterlegen. Dann wage ich mich hinein in das tropische Grün.

Gut 2 ½ Stunden halte ich mich auf dieser grünen Insel auf. Obwohl die Anlage nicht sehr groß ist, kann man unglaubliche Vielfalt entdecken. Und auch wenn zu den meisten Pflanzen die Beschilderung fehlt, so ändert das nichts an der Faszination, die von ihnen ausgeht.

Sumpfkrüge

Leuchtendrote Malteserkreuzblumen im Verbund mit mir unbekannten Pflanzen

Kannenpflanzen

Schon der Eingangsbereich besticht durch seine Vielfalt. Und alles, was anschließend folgt, ist noch viel schöner. Immer wieder bleibe ich staunend vor Blättern und Blüten stehen.

Nicht jede Blüte zeigt sich auf den ersten Blick – sie versteckt sich hinter üppigen Blätterwerk und will entdeckt werden. Hat man sie dann entdeckt und schaut genau, erkennt man ihre unglaubliche Schönheit.

Es ist eine Zauberwelt, in die ich eintauche, die mich die Zeit vergessen lässt …

Möglicherweise Monstera

Pitcher Plant – Kannenpflanze

Feuerpalmen

Vielleicht Aechmea

Deppea splendens – Goldene Fuchsia

Schwertfarn

Oben im Bild die ca. 40 cm Durchmesser messenden Blüten der Dracula Vampyra Orchidee. Der Gattungsname dieser Art – Dracula – bedeutet kleiner Drache und bezieht sich auf die Blüte, die einem Vampir mit Kapuze ähnelt.

Bei der unteren, etwa gleichgroßen Blüte, könnte es sich um eine Darvins Orchidee handeln.

Obwohl ich Laie bin und zu manchem Bild keine Erläuterung geben kann, möchte ich das, was mich an diesem Ort so fasziniert, mit euch teilen.

Irgendwann kommt ein netter Mitarbeiter zu mir und teilt mir mit, dass das Gewächshaus um 17.00 Uhr seine Pforten schließt. So spät ist es also schon. Und ich will auch noch in den Botanischen Garten, der gleich nebenan liegt. Leider schließt der ebenfalls um die gleiche Zeit.

Und so entschließe ich mich zur Heimfahrt. Um kurz nach 18.00 Uhr ist Sonnenuntergang. Anschließend geht es ganz schnell mit dem Hereinbrechen der Nacht.

Bereits 10 Minuten später, noch im Golden Gate Park, erreiche ich einen Musik Pavillon, der auch Spreckels Temple of Music genannt wird. Er war ein Geschenk des Zuckermagnaten Claus Spreckels an die Einwohner von San Francisco.

Hier spielt ein Band kostenlos zur Freude der zum Abend hin verbliebenen Parkbesucher …

… in einer Mischung aus leicht jazzigen, lateinamerikanischen Klängen, zu der auch getanzt werden kann. Für mich ein schönes musikalisches, rundum gelungenes Tagesende.

Es geht vorbei am Twin Peak, einer der höchsten Erhebungen der Stadt mit einer tollen Aussicht auf die Stadt und die Bay Area.

Nun geht es heim. Ein paar Meilen durch die Stadt. Dabei meistens leicht bergab …

… und wie schon in den vergangenen Tagen, so komme ich auch heute wieder an einem Pumpkin Patch vorbei. Die leuchtenden Früchte werden den ganzen November hindurch vor vielen Häusern als Dekoration zu finden sein.

Ich muss mich sputen, um nicht in die Dunkelheit zu kommen. Die Schatten kriechen bereits die Hügel hinauf.

Ein letzter Blick auf die in der Nacht versinkende Stadt, die mehr und mehr im Lichterglanz erstrahlt. Wenige Minuten später erreiche ich mein „Zuhause“. Maureen und Roy erwarten mich bereits.

Während des gemeinsamen Abendessens erzähle ich von meinen heutigen Erlebnissen. Von meiner Begeisterung für das Greenhouse, in dem ich die Zeit vergesse. Vom Spreckels Temple of Music. Vom Pumpkin Patch und von den letzten Minuten im Park oberhalb meines Quartiers mit der schönen Feierabend-Atmosphäre.

Beide sind mir bei der Planung des nächsten Tages behilflich. Am Ende des Tages zeigt mir Roy noch einen Wandteppich. Es ist sein Hochzeitsgeschenk für Maureen. Liebevoll sind die wichtigsten Stationen eingewebt:

Die Golden Gate Bridge symbolisiert den Ort San Francisco. Die Kirche zeigt den genauen Ort, wo sie in der Stadt getraut wurden. Das damalige Wohnhaus, in dem sie gemeinsam einzogen, ist am unteren Bildrand abgebildet. Ebenso die Hauskatze, die mittlerweile verstorben ist. Und natürlich das liebende Brautpaar unter goldenen Palmwedeln. Und diese Liebe und Verbundenheit ist noch heute zu spüren.

Beide haben sich ihren Platz in meinem Herzen erobert. Maureen mit ihrer offenen, fröhlichen und geradlinigen Art, ihrem Mut und ihrem Willen, sich für die guten Dinge des Lebens einzusetzen.

Roy, der mit seinem strahlenden Lachen das ganze Haus und die Menschen beseelt und dabei ständig irgendwelche Hausarbeiten erledigt. Rastlos wirkend und doch stets zufrieden.

Ihre Verbundenheit, die sich mir gegenüber auf vielfältige Art und Weise zeigt. All das macht es mir schwer, die Zelte wieder abzubrechen. Und obwohl Maureen mir einen dritten Tag zum Bleiben angeboten hatte, werde ich diesen Tag nicht in Anspruch nehmen. Morgen Abend hätte ich das gleiche Problem.

Hier hab ich mich angenommen gefühlt. Für 2 Tage boten sie mir ein warmes, sicheres, gemütliches Zuhause. Mehr als ein Gast konnte ich an ihrem Familienleben teilhaben. Sie haben mich mit Essen versorgt. Der neue Hinterradreifen wurde von Maureen bezahlt. Wir haben geneinsam demonstriert.

Wann immer ich an sie denken werde, habe ich ein Portfolio wunderbarer Erinnerungen vor meinen Augen. All das wird mich von nun an mit großer Freude begleiten. Danke für diese tollen Tage in Eurer Familie.

Tag 3 in San Francisco

24. Oktober 2024

Ich stehe früh auf. Howard ist bereits in der Küche und bereitet ein richtig leckeres Frühstück.

Wie schon gestern Abend kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, das Howard sehr gerne kocht. Ihm geht die Kocharbeit fließend von der Hand. Und während er das Essen bereitet, sind wir schon wieder ins Gespräch vertieft.

Nach dem Frühstück packe ich zügig meine Sachen, und nach einem herzlichen Abschied bin ich schon kurze Zeit später wieder auf der Straße.

Eigentlich hätte ich heute morgen die Stadt verlassen, da ich keinen weiteren Gastgeber gefunden habe. Gestern Abend auf dem Nachhauseweg hatte ich jedoch eine wunderbare Begegnung:

Eine Dame überholte mich mit dem Fahrrad. Und während sie vorbeiradelt, fällt wir ihr weißer Fahrradhelm auf, den eine lebensgroße, fröhliche wirkende Plastikratte ziert. Wow. Was für eine pfiffige Helmdekoration.

Und dann trete ich auch schon in die Pedalen und fahre hinter ihr her. An der nächsten Ampel hole ich sie ein und frage, ob ich ein Foto von ihr mit dem Helm auf dem Kopf machen darf. Mit einem umwerfenden Lachen strahlt sie mich an.

Für mich ist es ein unglaublich schöner Moment. Dieses Lachen, dieses offene, fröhliche Gesicht. Sie schaut mir direkt in die Augen und beschenkt mich mit ihrer klaren Antwort. Ich darf ein Foto von ihr aufnehmen.

War es erst nur der Helm, so ist es jetzt mehr. Helm und dieses freundliche Gesicht gehören einfach zusammen. Wir finden Platz am Straßenrand, wo ich ein Foto von uns beiden aufnehme. Es folgt eine kurze Unterhaltung, an deren Ende eine Einladung zu Maureen ins Haus steht. Dort kann ich bis zu drei Tagen bleiben.

Die Sympathie, die Maureen ausstrahlt, lässt mich keinen Augenblick zögern. Ich werde zu ihr fahren und noch zwei weitere Tage in San Francisco verbringen.

Da ich mit Maureen als Ankunftszeit 10.00 Uhr vereinbart hatte, kann ich mir nun Zeit lassen und Trödel meiner neuen Unterkunft gelassen entgegen.

Der Weg führt über Cayuga Street und Folsom Street, wo ich in den ersten Gang runterschalte und rückenschonend langsam den Hügel erklimme. Pünktlich um 10.00 Uhr am Morgen erreiche ich mein Ziel.

Maureen und ihr bezaubernder Ehemann Roy erwarten mich bereits. Die Begrüßung fällt außerordentlich herzlich und fröhlich aus. Schnell bringe ich alle meine Packtaschen und auch die Baumwollbeutel mit den Lebensmitteln in das Gästezimmer.

Auf meinem Tagesplan stehen ganz oben die Frontroller nebst passenden Trägern. Ansonsten möchte ich ruhen. Und so machen wir uns tagsüber lediglich zu Fuß auf den Weg zum nahegelegenen Fahrradladen. Dort finde ich zwar die Frontroller. Jedoch keine passenden Träger. So entscheide ich mich, die Frontroller erst dann zu kaufen, wenn ich sicher bin, dass der Gepäckträger auch wirklich zu den Taschen passt.

Wir verbringen den Nachmittag gemeinsam im Haus. Erst am späten Nachmittag setzte ich mich aufs Fahrrad und begleite Maureen zu einer Demonstration anlässlich eines Verkehrsunfalls, bei dem ein Fahrradfahrer unter die Räder eines LKW’s geriet und dabei tödlich verletzt wurde.

Die Fahrt dauert etwas 45 Minuten. Gegen 17.00 Uhr erreichen wir unser Ziel an der Kreuzung Parnassus Street/Stanyan Street. Wir sind die Ersten. Bereits nach wenigen Minuten hat sich ein Dutzend weiterer Demonstranten versammelt.

Dann postieren wir uns an allen vier Ecken der Kreuzung und wechseln, das Protestschild vor uns haltend, jeweils bei Grün über den Zebrastreifen zur anderen Kreuzungsseite.

Dabei gehen wir sehr langsam, was von den Autofahrern Geduld fordert. Die meisten Autofahrer nehmen während der einstündigen Demonstration Rücksicht. Mancher kommentiert aus dem Autofenster heraus wohlwollend die Protestaktion.

Trotz dieses sichtbaren Protestes gibt es jedoch Autofahrer, die die Fußgänger auf dem Fußweg ignorieren und in Bedrängnis bringen.

Ein ganz großes Kompliment an Maureen, der es mehrmals gelingt, überhebliche Autofahrer in die Schranken zu weisen. Für mich zeigt sie viel Mut und eine unglaubliche Bereitschaft, für mehr Sicherheit für Radfahrer im Straßenverkehr zu kämpfen.

Die Plakate sind bereits vorbereitet. Und jeder kann sich sein Motto aussuchen.

Einige Verkehrsteilnehmer greifen spontan zu einem Protestschild und beteiligen sich für ein paar Minuten an der Aktion. Andere bleiben etwas länger. Manch einer diskutiert am Straßenrand.

Und ein Teilnehmer wird als Trump Anhänger entlarvt, dem es nur darum geht, die Leute zu identifizieren, die sich an der Aktion beteiligen, um ihnen anschließend das Leben schwer zu machen.

Da ich schon einmal hier bin, ergreife auch ich ein Plakat und wechsle mit jeder Grünphase auf die gegenüber liegende Straßenseite. Am Anfang bin ich noch etwas nervös, da ich ja kein Anwohner bin. Das legt sich jedoch nach wenigen Minuten.

Ein radfahrender Verkehrsteilnehmer bin ich allemal. Und hier wird auch für mich und meine Sicherheit demonstriert.

Um 18:00 Uhr beenden wir unseren Protest. Maureen und eine Protestteilnehmerin schmettern noch ein lustiges Lied, bevor wir uns auf den Heimweg machen.

Als wir zuhause ankommen, ist es bereits Dunkel. Roy erwartet uns schon. Beim gemeinsamen Dinner gehen die Gespräche weiter. Dabei wird viel gelacht. Irgendwann überfällt uns die Müdigkeit. Zeit, zu Bett zu gehen.

Ich bedanke mich für den wunderschönen Tag, den mir Beide bereitet haben. Dann ziehe ich mich in mein Gästezimmer zurück und bin schon bald im Land der Träume verschwunden.

Tag 2 in San Francisco

23. Oktober 2024

Ich bin um 7 Uhr hoch, dusche und packe meine sieben Sachen zusammen. Um 8 Uhr gehe ich hinunter in die Lobby zum Frühstücken.

Es gibt vier verschiedene Cornflakes und Müslisorten. Dazu Joghurt, Milch und Clementinen. Für jeden ist genug da, um sich satt zu essen. Gegen 10 Uhr verlasse ich mit gefülltem Magen das Quartier. Es geht vorbei am Rathaus von San Francisco.

Vor dem Rathaus wird gerade der Radweg in grellem, auffallendem Grün neu markiert. Ein aufmerksamer Bürger der Stadt spricht mich an und erklärt mir, dass diese Maßnahme lediglich im Zusammenhang mit der bevorstehenden Wahl zu verstehen ist. Ohne Wahl würde es diese Maßnahme nicht geben.

Er erklärt mir, dass es viele Orte in der Stadt gibt, an denen es wichtiger gewesen wäre, den Radweg zu erneuern. Aber dieser Ort sei nun einmal der werbewirksamste.

Eine interessantes Neon Kunstobjekt entdecke ich an dem Bill Graham Civic Auditorium. Das Neon-Wandbild wurde von dem Künstler Joseph Kosuth geschaffen und stellt eine Premiere dar. Es ist das erste permanente öffentliche Kunstwerk des Künstlers an einem historischen Gebäude in den USA.

Zum Stadtbild fast aller Städte der USA gehören die oberirdisch verlegten Versorgungsleitungen für Strom, Telefon und teilweise Internet.

Es mutet seltsam an, dass diese Nation bis heute an einem System aus dem 19./20. Jahrhundert festhält. Diese typischen Oberleitungen prägen besonders das Stadtbild in den USA.

Ein weiteres Merkmal der Stadt San Francisco sind die pastellfarben angestrichenen Häuser. Sie geben der Stadt insgesamt ein fröhliches Erscheinungsbild.

Und auch dieses Bäume prägen ganze Straßenzüge mit ihren üppigen, schattenspendenden Baumkronen.

Vor Kreuzungsbereichen wird auch der Radfahrer dank auffallender Markierungen rechtzeitig gewarnt.

Mittlerweile ist es relativ sicher, sich mit dem Fahrrad durch diese große Stadt zu bewegen. In den letzten Jahrzehnten ist hier viel geschehen. Das Radwege-Netz wurde und wird kontinuierlich ausgebaut.

Die Wegführung empfinde ich zum großen Teil als vorbildlich. Vieles, was ich sehe, ließe sich auch in Deutschland anwenden. Zwar sind die Straßen hier in der Regel breiter, sodass sich der Fahrradweg besser integrieren lässt. Aber auch für schmalere, 2-spurige Straßen finde ich die Lösungen sehr gelungen.

Die Markierungen sind in der Regel auffällig und meines Erachtens kaum zu übersehen. Mittlerweile wird sogar die Grüne Welle für Radfahrer eingerichtet und auch genutzt.

Für wartende Rechts-/Linksabbieger wurden extra markierte Bereiche eingerichtet, sodass sie weder andere gefährden können noch selbst gefährdet sind.

Eine besondere Attraktion stellt die künstlerische Bemalung des Women’s Building dar. Hier ist es gelungen, die Architektur des Hauses mit den Wandmalereien harmonisch miteinander zu verbinden.

Auch die Seitenfront wurde in die künstlerische Gestaltung zur Straßenfront hin einbezogen.

Ein Haus zum Staunen. Eine Malerei zum Verlieben. Und für mich das bisher schönste Mural, dass ich auf meiner Reise gesehen habe.

Der Haupteingang des Women’s Building.

Daneben gibt es in dieser Stadt viele weitere wunderschöne Murals. Hier eine ganz kleine Auswahl …

Man muss ein bisschen suchen. Aber mit etwas Geduld findet man all die schönen Wandmalereien.

Und dann gibt es auch heute noch eine Vielzahl im viktorianischen Stil erbauter Häuser. Auch hierzu eine kleine Auswahl.

Verspielt und farbenfroh. Nicht immer stilecht. Doch jedes Mal etwas Besonderes. Etwas, das Fröhlichkeit, Leichtigkeit und mitunter Noblesse ausstrahlt.

Manchmal tut es weh zu sehen, wie der Baustil durch ungeschickte Maßnahmen nachhaltig veschandelt wird. Auch wenn die Garagen den Bewohnern des Hauses erhebliche Vorteile bringen.

Einige dieser Häuser haben als Kulisse in Filmen eine Rolle gespielt. Wichtiger scheint mir, dass sie von ganz normalen Menschen bewohnt sind, die vermögend genug sind, diese Stadtjuwelen der Nachwelt zu erhalten.

Nachdem ich mich an den im viktorianischen Stil erbauten Häusern stattgesehen habe, mache ich mich auf den Weg zum Scenic Routes Community Bicycle Center in der 521 Balboa Street.

Der kleine Laden beschreibt sich auf seiner Webseite Folgendermaßen: „Wir sind ein kämpferischer, kleiner, unabhängiger, gemeinschaftsorientierter Fahrradladen in San Francisco, der hauptsächlich alte Fahrräder für Pendler und Reisende restauriert und umbaut.

Wir glauben, dass das Fahrrad ein Werkzeug der Freiheit, der sozialen Gleichheit und des Glücks für alle ist.“

Ich möchte Ayla, die Tochter von Laura und Greg, meinen Gastgebern in Pacifica, kennenlernen und nebenbei Vorderradgepäckträger sowie Ortlieb Front-Roller kaufen.

Leider ist Ayla nicht anwesend. Sie arbeitet erst wieder ab Donnerstag. Und auch mit Gepäckträger und Fahrradtaschen können sie mich nicht versorgen.

Dafür empfehlen sie mir 3 andere Fahrradläden, in denen ich das Gewünschte erhalten kann. Irgendwie sind die Jungs schon über mich informiert. Und so gibt es wenigstens noch eine nette Unterhaltung.

Langsam mache ich mich auf zu meinem heutigen Gastgeber Howard. Dabei nehme ich den Weg durch den Golden Gate Park, einer weitläufigen mit asphaltierten Wegen ausgestatteten Parkanlage.

Auf den Wegen tummeln sich Radfahrer, Skater, Jogger und Spaziergänger. Überall findet man Sitzgelegenheiten, die ausgiebig genutzt werden. Der Park ist vielfältig gestaltet …

… und bietet interessante Einblicke in die Natur.

Dabei wecken die Baumfarne mit ihrem stammbildenden Wuchs mein ganz besonderes Interesse. Ich verweile im diesem kleinen Farnwald, bis die Dämmerung mich mahnt, zu meinem heutigen Quartier zu fahren.

Es geht vorbei am Conservatory of Flowers, einem Kuppelgewächshaus.

Überall Menschen, die die späte Nachmittagssonne genießen.

Vorbei an mächtigen Laubbäumen.

Dabei bleibe ich die ganze Zeit auf dem Radweg mit seiner markanten Zeichnung.

Und auch nach dem Verlassen des Golden Gate Parks hören die Alleebäume nicht auf. Nach ein paar Meilen durch das Stadtgebiet, erreiche ich schließlich meinen heutigen Gastgeber, der mich sehr freundlich empfängt.

Howard kocht hervorragend. Während er das Abendmahl zubereitet, und auch während des Dinners und danach, zeigt sich Howard sehr interessiert. Es ist ein Frage-und-Antwort-Spiel. Howard fragt. Und ich antworte. Und natürlich freue ich mich riesig über sein Interesse.

Zur Zeit lebt Howard allein, da seine Frau mit dem Fahrrad im Augenblick durch China radelt. Sie wird noch einige Monate unterwegs sein. Und da sind Zaungäste wie ich bei Howard gerne wilkommen.

Wir unterhalten uns nach dem Dinner noch eine ganze Weile. Das Gespräch ist intensiv. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Und ehe ich mich versehe, ist der wunderschöne, unterhaltsame Abend vorüber und ich gehe zu Bett.

Auch heute bin ich dankbar für alles, was mir widerfahren ist. Es war ein toller Tag mit zahlreichen Erlebnissen, tiefen Eindrücken und aufregenden Begegnungen.

Ich danke euch sehr für eure unermüdliche Begleitung und eure zahlreiche Unterstützung und Bestätigung, sei es in euren Gedanken, durch Kommentare oder Coffees.

Ich hoffe, ich kann euch einen kleinen Eindruck vermitteln von der überwältigenden Fülle, die ich hier erlebe. Es ist mein Wunsch, euch mitzunehmen.

Tag 1 in San Francisco

22. Oktober 2024

Ich bin früh wach. Meine jungen Gastgeber müssen zur Arbeit. Und ich werde etwa um dieselbe Zeit das Haus verlassen. Zuvor gewährt mir Leahs Ehemann noch einen Blick vom Dach des Hauses. Es hat schon einen ganz besonderen Reiz, wenn die morgentliche Sonne mit ihrem kalten Licht die Stadt streift.

Minuten später verlassen beide Die Wohnung. Ich folge wenig später. Das Gefühl, so viel Vertrauen zu erfahren, überwältigt mich immer wieder. Ich bin glücklich, diese Erfahrungen zu machen.

Für die kommende Nacht habe ich noch kein Quartier. Aber ich bleibe voller Hoffnung. Ich habe ein paar Adressen angeschrieben und hoffe und vertraue darauf, dass ich auch für heute Abend ein Quartier haben werde.

Eine Besonderheit, die mir auf der Straße auffällt, sind unbemannte Autos. Diese vollautonomen Autos bringen Fahrgäste rund um die Uhr wie herkömmliche Taxis an den gewünschten Ort.

Der Anbieter heißt Waymo. Er stellt seine Autos für kostenlose Testzwecke zur Verfügung. San Francisco ist damit die erste Stadt der Welt, in der Robotertaxis ohne Sicherheitsfahrer unterwegs sind. Soweit ich das überblicken kann, halten sich diese Autos, was Geschwindigkeit angeht, an die geltenden Verkehrsregeln.

Inwieweit diese Fahrzeuge den Straßenverkehr verändern werden, bleibt sicherlich abzuwarten. Aber mir scheint, das die Akzeptanz in der Öffentlichkeit für diese neue Technik in San Francisco von Tag zu Tag wächst.

Nicht allem, was ich in dieser Stadt finde, stimme ich zu. Ich entdecke einen Candy Shop, der massiv mit Zucker wirbt. Für mich ein Fragwürdiges Konzept.

Ich kann mir nicht vorstellen, das die Mehrheit der Amerikaner das Konzept „You know you want it – it’s sugar“ gut heißen kann.

Neben kunterbunten, oversized Lollies entdecke ich beworbene Produkte, die mich Grübeln lassen:

Toxic Waste (Giftmüll) ist so ein Produkt.

Noch nachdenklicher werde ich bei dieser Präsentation …

Aber ich bin in Amerika. Und hier scheint auch solcher Spaß grenzenlos …

Wer kennt es nicht, das Hard Rock Cafe. Hier die Filiale in San Francisco.

Auf einer Pier wurde ein Kinderkarussel, umgeben von diversen Verkaufsständen, fest installiert.

Gleich dahinter findet ein Straßenkünstler sein Publikum und verzaubert es mit witzig dargebotenen Kunststücken.

Jeder Pier hat seinen eigenen Charakter. Diese Abwechslung macht den Reiz der Hafenanlagen entlang der Küstenlinie aus.

Ob mehrgeschossiger Schaufelraddampfer …

… oder Superjacht. Alles liegt auf engstem Raum dicht beieinander und ist während eines einfachen Spaziergangs leicht zu erreichen.

Eines der Wahrzeichen der Stadt ist das über 200 m lange Ferry Building am nordöstlichen Ende der Market Street. Heute beherbergt es einen großen Food-Market und ist bei den Touristen für seine kulinarische Vielfalt beliebt.

Der gut 70 m hohe Uhrenturm überragt das Gebäude bei Weitem. An seinen Seiten wurden Turmuhren angebracht, deren Ziffernblätter jeweils einen Durchmesser von 6,70 m haben. Und bei Tageslicht läutet zu jeder vollen Stunde die Turmglocke Teile des Westminster Quarters.

Südöstlich des Ferry Building befindet sich diese markante Skulptur. Ein Riesiger Bogen und ein mit seiner Spitze im Boden steckender Pfeil. Im Bild zusammen mit dem östlichen Pylon der SF-Oakland-Bay-Bridge zu sehen.

Im Streiflicht fallen die kleinen Besonderheiten der aus der Ferne schlicht wirkenden Wolkenkratzer auf.

Das kleine, möglicherweise nicht mehr genutzte Hafengebäude des San Francisco Fire Department, steht an exponierter Stelle nahe der San Francisco Oakland Bay Bridge.

Hinter dem Gebäude wartet das knallrote Feuerwehr-Löschboot geduldig auf seinen Einsatz.

Eingezwängt zwischen Kings Street, Mission Bay und einem riesigen Jachthafen, in dem über 650 Jachten liegen, befindet sich der Oracle Park, ein riesiges Baseballstadion. Es ist die Heimat der San Francisco Giants. Leider ist ein Besuch des Stadions außerhalb der Besuchszeit nicht möglich.

Vor und neben dem Stadion sind einige bemerkenswerte Skulpturen aufgestellt, die namhafte Größen des Baseballs zeigen.

Ich hab mich immer gefragt, was den Reiz dieser Sportart ausmacht, von der viele behaupten, dass sie über weite Strecken höchst langweilig ist. Vielleicht ist es diese äußerste Präzision, die jeder teilnehmende Spieler aufbringen muss, welche das Spiel reizvoll macht …

Auf dem Bay Trail geht es langsam zurück zum Aquatic Cove. In der Zwischenzeit hatte ich eine Nachricht von meiner Frau erhalten. Die folgende Nacht kann ich im Samesun Hostel im Marina District, nur 2 km vom Stadtzentrum, übernachten. Ich atme auf.

Ich bin so froh, dass Biggi sich so liebevoll um mich kümmert und mir diese Übernachtung schenkt. Ich hatte für heute zwar kein Quartier gefunden. Dafür bereits eines für den morgigen Abend. Das gib mir Sicherheit.

Vorbei am Maritimen Aquarium mit kreativer, ansprechender Außenwerbung …

… und vorbei an zahlreichen Restaurants und Bars, die teilweise mit echt skurriler Außenwerbung auf sich aufmerksam machen …

… radle ich langsam meinem Quartier entgegen. Vorbei an der 330 m langen und 38 m breiten Discovery Princess – einem Ausflugsdampfer der Superklasse, wie sie auch auf der Meier Werft in Papenburg gebaut werden …

… und erreiche schließlich das Hostel und checke ein. Einzig das Fahrrad bereitet mir Probleme. Der kostenlose Fahrradständer befindet sich im öffentlichen Bereich und ist für jeden zugänglich. Der sichere Locker-Room kostet 9 Dollar.

So einfach die Buchung auch ist, so einfach ist es auch, einen Fehler zu machen. Und so bezahle ich für den heutigen Tag, der in 2 Stunden endet, statt für den nächsten. Nach einigem Hin- und her darf ich mein Fahrrad dennoch in diesem sicheren Raum abstellen.

Das ruhig gelegene 6-Bett Zimmer teilen wir uns zu 5.: zwei Frauen und 3 Männer unterschiedlichsten Alters. Für die Privatsphäre ist jedes Bett mit einem blick- und lichtdichten, dreiteiligen Vorhang ausgestattet. Leider jedoch nicht schallgedämpft.

Ich weiß nicht, ob ich geschnarcht habe. Mein Nachbar jedenfalls sägt ordentlich. Das blitzsaubere Bad teilen wir uns. Nur schade, dass kein Kontakt mit den Zimmernachbarn zustande kommt.

Trotzdem bin ich dankbar, diese Bleibe zu haben. Dankbar, dass Biggi so liebevoll für mich sorgt. Dankbar für den wunderschönen Tag, der mir so viel Schönes beschert hat. Dankbar, das mein Rücken trotz aller Beschwerden so gut mitmacht.

Und mit diesem Gefühl und einer Schmerztablette schlafe ich schließlich trotz Schnarchkonzert ein.