21. Oktober 2024
Nach einem reichhaltigen, proteinreichen Frühstück verabschiede ich mich von Laura und Greg. Sie sind großartige Gastgeber.
Sie haben mich mit offenen Armen aufgenommen, mich unterstützt, wo ich Unterstützung brauchte und mir alle Freiheiten gegeben, mich wohlzufühlen und weiter zu genesen.
Und obwohl es nicht vereinbart war, haben sie mich mit leckeren, nahrhaften Speisen versorgt. Manchmal tut mir so ein Abschied weh. Besonders wenn ich auf so wunderbare Menschen wie Laura und Greg treffe, die mit ihrem Chalet ein kleines Himmelreich für müde Wanderer geschaffen haben.
Dann mache ich mich auf den Weg nach San Francisco. Weit habe ich es heute nicht. Es sind höchstens 15 Meilen bis zur Golden Gate Bridge.
Ich wähle den Weg entlang der Küste. Gleich zu Anfang muss ich erst einmal aus dem Talkessel raus, in dem Pacifica liegt.
Ich bin noch nicht aufgewärmt. Der Kreislauf noch nicht in Schwung. Und so fallen mir die ersten Minuten bergauf doch schwer.
Aber nach etwa 30 Minuten wird es leichter. Ich erreiche den höchsten Punkt. Ab dann geht es bergab und bis zum Golden Gate Park flach weiter.
Immer die Küste entlang und den größten Teil auf einem separaten Radweg, der an den Dünen entlangführt.
Wie zuvor in Pacifica am Strand treffe ich auch in diesem Abschnitt auf Surfer, die ihr Board vorbereiten. Dieser hat sich einen kleinen Anhänger gebaut, um sein Surfboard und das zugehörige Equipment zu transportieren.
Er ist so gut ausgestattet, dass er selbst an kalten Wintertagen in seinem beheizten Surfanzug seiner Leidenschaft frönen und dabei nicht zu frieren braucht. Ich bin beeindruckt …
Ich erreiche den Golden Gate Park, der eine kleine Überraschung für mich bereit hält: einen mehrgeschossigen Gallerieholländer, der über die Baumwipfel hinausragt. Für einen Augenblick machen sich Heimatgefühle breit.
An einem Teich mache ich Halt. In ihm haben sich Massen an Grünalgen ausgebreitet und geben dem Teich einen ganz reizvolles, leuchtend grünes Aussehen.
Und dann taucht auch schon die Golden Gate Bridge auf. Diesmal erreiche ich sie aus dem Süden kommend. 1983 näherte ich mich der Brücke von Norden kommend.
Es war das gleiche Glücksgefühl, das mich durchflutete, als ich die Brücke in ihrer ganzen Schönheit und Größe das erste Mal sah. Und auch jetzt ist das Glücksgefühl überwältigend, welches mich beim Anblick der Brücke bewegt.
Ich habe so viele Jahre auf diesen Augenblick gewartet. Manchmal hatte ich den Wunsch bereits abgeschrieben. Kurz darauf den Wunsch wieder hervorgekramt und weitergeträumt. Nun stehe ich hier und kann mein Glück kaum fassen. Selbst meine Rückenschmerzen treten in diesem Moment in den Hintergrund.
Die elegante, filigran anmutende Bauweise kaschiert die wahre Größe dieser Hängebrücke.
Die Brücke verbindet die Marin Headlands im Norden mit El Presidio im Süden und überspannt dabei das Golden Gate, den Eingang zur Bucht von San Francisco.
Es dauert gut 90 Minuten, bis ich den Zugang zur Brücke erreicht habe. Das dortige Informationscenter wird von Menschenmassen belagert.
Dank einer guten Radwegführung komme ich bis zum Zugang zur Brücke ohne Schwierigkeiten voran. Auf der Brücke macht es wegen der unzähligen Besucher Sinn, das Fahrrad zu schieben.
Für ein Erinnerungsfoto steige ich dennoch kurz aufs Rad. Ansonsten ist es mir zu heikel, auf der Brücke zu fahren. Zu viele Menschen nehmen die ganze Breite von Rad- und Fußweg ein.
Aus beiden Richtungen kommend, fahren immer wieder Rennradfahrer an mir vorbei. Einige scheinen sichtlich genervt zu sein von dem Menschenauflauf, der ständig den Radweg blockiert.
Aufgrund von Bauarbeiten auf der Westseite der Brücke ist der dortige Weg gesperrt. Das verdoppelt dass Verkehrsaufkommen auf dem Rad-/Fußweg der Bay-Seite.
Als ich 1983 die Brücke passierte, hatte ich sie fast für mich alleine. So niedrig war seinerzeit das Verkehrsaufkommen an Radlern und Spaziergängern.
Die Aussicht von der Brücke über die Bucht von San Francisco ist unbeschreiblich.
Von Marine Headland über Saucalito schweift mein Blick in die Runde, verliert sich im östlichen Teil in der im Dunst liegenden Ferne und erreicht dann weiter nach Süden gehend die San Francisco-Oakland-Bay-Bridge und San Francisco mit El Presidio.
1983 war El Presidio noch ein Militär-Stützpunkt und sein Zutritt verboten. Mittlerweile ist der Stützpunkt aufgelöst und der Stadtteil am südlichen Ende der Golden Gate Bridge für jeden zugänglich.
Die Brücke ist ca 2, 7 Kilometer lang und 27 Meter breit. Der Autoverkehr rollt insgesamt 6-spurig über die Brücke. Und auf beiden Seiten gibt es einen großzügigen Rad-Fußweg. Die Durchfahrtshöhe für Schiffe liegt bei knapp 70 Metern. Die Pylone haben eine Höhe von 227 Meter. Sie stehen etwa 1.280 Meter auseinander.
Leider gibt es auch eine traurige Seite: Die Golden Gate Bridge ist der am häufigsten genutzte Ort für Selbstmorde auf der ganzen Welt.
Nach mehr als 1.500 Todesfällen begann man im April 2017 mit der Installation einer Selbstmordbarriere, die aus einem ca. 6 m breiten Edelstahlnetz besteht, welches etwa 6 m unterhalb entlang des Gehweges verläuft. Die Arbeiten an diesen Sicherungsmaßnahmen wurden im Januar dieses Jahres abgeschlossen.
Die Metallnetze sind von den Fußgängerwegen aus sichtbar. Man geht davon aus, dass der Sturz in dieses Netz sehr schmerzhaft, aber nicht tödlich sein wird. An mehreren Stellen auf der Brücke wurden zusätzlich Notfalltelefone installiert. Die Zukunft wird zeigen, ob diese Maßnahmen ausreichen, um die Suizidrate nachhaltig zu senken.
Für die Überquerung der Brücke brauche ich etwa anderthalb Stunden. Immer wieder halte ich an und genieße die Sicht auf das Wasser.
Es ist einmal ein ganz anderer Blickwinkel. Ich schaue von oben herab auf wunderschöne Segelboote, die der Wind vorantreibt. Pelikane gleiten über das Meeresgrün, stürzen plötzlich und unvermittelt in die Tiefe, um einen unvorsichtig gewordenen Fisch zu fangen. Robben und Delfine tummeln sich im Wasser.
Es herrscht eine rege Betriebsamkeit über und unter der Wasseroberfläche der Bucht. Ich könnte stundenlang verweilen und dem regen Treiben zuschauen. Irgendwann um die Mittagszeit breche ich ab und mache mich auf den Weg nach Sausalito.
Der Ort hat sich seit den achtziger Jahren sehr verändert. Ein moderner Boardwalk. Ein kleiner gepflegter Park.
Bunt gestaltete Briefkästen …
Ein Haufen Surfboards und Kajaks für zahlende Touristen …
Eine gut restaurierte, historische Straßenzeile …
… und nur wenige, mittlerweile renovierte und modernisierte Hausboote. Nichts erinnert mich an das bunte, alternative Leben der frühen 80er Jahre.
Die Marina spiegelt den gesellschaftlichen Wandel der Menschen, die sich hier niedergelassen haben, wider.
Wenn ich auch vieles vermisse, so muss ich doch zugeben, dass sich zwar einiges verändert hat, aber das pulsierende Leben dennoch geblieben ist. Es zeigt sich nur in anderer Form. Und das ist gut so.
Für 9 Dollar nehme ich die Fähre, die mich am späten Nachmittag nach San Francisco rüber bringt. Die meisten Fahrgäste sind Radfahrer, die von San Francisco aus über die Golden Gate Bridge geradelt sind und nun die Heimreise mit der Fähre antreten.
Rechterhand liegt die Golden Gate Bridge im gleißenden Licht der sinkenden Nachmittagssonne.
Linkerhand passieren wir die Alcatraz -Insel mit ihrem ehemaligen Hochsicherheitsgefängnis, welches schon 1983 als Touristenattraktion galt.
Auch heute noch fasziniert die Insel viele Menschen und erregt deren Fantasie, galt Alcatraz doch als das sicherste Gefängnis der Welt.
Vor uns im Süden liegt San Francisco. Es strahlt förmlich im Glanz der Nachmittagsonne mit dem 60 m hohen Coit-Tower, dem 330 m hohen Salesforce Tower, der 260 m hohen Transamerica Pyramide und unzähligen weiteren Wolkenkratzern.
Die Fähre deckt an Pier 41 an. Schon von der Fähre aus ist die touristische Vermarktung der Hafenzeile eutlich erkennbar. Und ich bin gespannt zu sehen und zu erleben, wie sich das bunte Treiben entlang der Pieranlagen heute gestaltet.
Da ich noch Zeit habe, schiebe ich mein Fahrrad die touristische Meile entlang. Ich lasse mich treiben und genieße erstaunlicherweise das bunte Treiben um mich herum.
Die kleine Kapelle unweit der Fisherman’s Wharf …
Diese Hafenanlagen bieten jedem Interessierten etwas …
Fischerboote im Fischereihafen …
… bunt und in Reih und Glied aufgereiht.
Dazwischen genügend Restaurants, um nicht zu verhungern.
Das National Park Visitor Center hätte ich in diesem Gebäude nicht vermutet.
Im Aquatic Cove liegen einige historische Schiffe, die besucht werden können. Darunter der gut restaurierte, im Jahr 1886 erbaute Rahsegler Balclutha und der Eppleton Hall Schaufelradschlepper.
Hinter dieser historischen Kulisse fahren riesige, hochmoderne Containerschiffe vorbei. Der Kontrast könnte größer nicht sein.
Hier erinnert alles an die Seefahrt …
… und selbst die ausgediente Fresnell-Linse hat einen würdigen Platz innerhalb dieser Touristenmeile gefunden.
An vielen Stellen innerhalb der Stadt machen rotleuchtende, prachtvoll blühende Bougainvillea auf sich aufmerksam.
Langsam verschwindet das Sonnenlicht. Es wird Zeit, dass ich mich auf den Weg zu meinem heutigen Quartier mache.
Dabei komme ich auch an den berühmten Cablecars vorbei, die aus dem Stadtbild von San Francisco nicht wegzudenken sind.
Gefühlt alle fünfzehn Minuten setzt sich ein Waggon in Bewegung und befördert die Menschen durch die Stadt. Diese Cable Cars sind noch heute eine der ganz großen Attraktionen dieser Stadt.
Am jeweiligen Ende der Gleisstrecke befindet sich eine kleine Drehscheibe, auf der die Waggons in die entgegengesetzte Richtung gedreht werden. Dieser Vorgang wird von Hand durchgeführt.
Die Waggons werden vom Zugseil entkoppelt. Dann rollen sie auf die Drehscheibe. Hier werden sie um ca. 160° gedreht. Dazu bedarf es ein bis zwei Mitarbeiter, die den Waggon in die richtige Position bewegen. Anschließend wird der Waggon von 3 Mitarbeitern von der Drehscheibe geschoben. Erst dann wird er wieder an das Zugseil angekoppelt.
Mich erstaunt, wie lang selbst am Abend die Warteschlange am unteren Ende der Fahrstrecke ist.
Nachdem die Sonne untergegangen ist, mache ich mich endgültig auf den Weg zu meiner heutigen Gastgeberin, die nur wenige 100 m südlich Aquatic Cove eine Wohnung hat.
Ich werde herzlich von ihrem Mann empfangen. Das Fahrrad wird sicher in der Garage verstaut. Im 3. Stock erwartet mich Leah bereits. Sie zeigen mir mein Zimmer, das für diese Nacht mein Zuhause sein wird. Es ist großzügig, hell und gut ausgestattet.
Die großen Fenster geben eine fantastische Aussicht auf die davor liegende Stadt frei. Und während sich draußen langsam die Nacht über die Stadt senkt, gehen in den Häusern nach und nach die Lichter an und geben der Stadt ein ganz besonderes Flair.
Nach der Dusche gibt es ein gemeinsames Abendessen. Und auch dieses Mal kommen die Gespräche miteinander nicht zu kurz. Beide helfen mir, den morgigen Tag in der Stadt zu planen.
Irgendwann stelle ich fest, dass es Zeit ist, zu Bett zu gehen. Mein Rücken und ich sind dankbar für die gute Matratze. Und dankbar für dieses wundervolle, ruhige Quartier.