11. Oktober 2024
Ich habe schlecht geschlafen. Die Ursache dafür liegt an der schlechten Wahl meines Schlafplatzes. Ich war erst nach Einbruch der Dunkelheit an dem gewählten Platz angekommen.
Schnell hatte ich mein Zelt aufgebaut und alle meine Sachen darin verstaut. Dann streckte ich mich auf meiner Matte aus und wollte nur noch schlafen. Bereits wenige Minuten später weckte mich dröhnender Lärm. Und sofort war mir klar, woher dieser Lärm kam.
Um dem Straßenlärm zu entgehen, hatte ich mein Zelt weit entfernt von der Straße aufgeschlagen. Und dabei nicht an die parallel verlaufenden Bahngleise gedacht. Und so wurde ich jede Stunde zwei bis drei Mal von einem vorbeifahrenden Güterzug geweckt. Vorne vorweg 4 gewaltige Lokomotiven, die über 100 Waggons vorbeischleppten – gefühlt mitten durch mein Zelt.
Und am Ende wurde es erneut laut, weil ein bis zwei Lokomotiven an das Zugende angehängt worden sind, die besonders am Berg aber auch in den Kurven zusätzliche Schubkraft verleihen sollen.
Die Lokomotiven sind nicht nur laut, ihr Dröhnen und Vibrieren überträgt sich auch auf meinen Körper. Da ich in diesem dornigen Gelände überhaupt froh bin, einen sauberen Platz gefunden zu haben, entscheide ich mich gegen einen Umzug. Leider zu einem extrem hohen Preis. Und so bin ich heute morgen nicht der Fitteste.
Trotzdem freue ich mich auf den heutigen Tag, der mich mit blauem Himmel begrüßt. Ich bin weiterhin auf der historischen Route 66 unterwegs und bin gespannt, was mich heute erwartet und wer mir begegnet.
Zu allererst fallen mir die Burma Shave Werbesschilder entlang der Route 66 auf, die in unregelmäßigen Abständen auftauchen und witzige Werbespots vermitteln.
Wer will, kann darüber einiges im World Wide Web finden. Ein Dutzend dieser Werbespots sind mir entlang meiner Route aufgefallen. In der Regel sind es jedesmal 5 Werbeschilder, die im Abstand von jeweils ca. 100 Metern entlang der Fahrbahn aufgestellt sind, die gemeinsam eine Werbebotschaft vermitteln.
Die Abstände der Schilder sind so gewählt, dass ein Autofahrer bei einer Geschwindigkeit von 35 Meilen/h dieser Satzbausteine noch erfassen und verarbeiten kann. Nachfolgend nur ein Beispiel (das obere Bild zeigt das 1. Schild):
Als 5. Schild ist immer das Burma Shave Logo aufgeführt. Durch die einheitliche Farbgestaltung und stets gleiche Typo wird die Wirkung noch gesteigert.
Als Fernsehwerbung populär wurde, verblasste der Glanz dieser Werbeidee. Hier an der Route 66 hat sie sich als historischer Bestandteil erhalten und schmückt auf dem längsten, durchgängigen Teilstück der noch heute vorhandenen Streckenabschnitte den Straßenrand.
Die Schilder fallen auch deshalb auf, weil die Landschaft so gleichmäßig ist und dem Betrachter scheinbar leer vorkommt.
Ein weiteres Highlight befindet sich zwischen Seligman im Osten und Kingman im Westen, in Peach Spring: Das Cavern Inn sowie die Grand Canyon Trockenhöhlen. Einen Besuch hatte ich eingeplant. Leider war der Besuch der Höhle nicht möglich. Lediglich den Geschenkeladen …
… sowie der Aufenthalt im historisch gehaltenen Café waren mir möglich.
Vor dem Cavern Inn grüßt ein großer Brontosaurus die vorbeifahrenden Gäste. Auch er ist mittlerweile in die Jahre gekommen. Der Lack ist ab.
Betty Boop ist eine Comic-Figur der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts, die noch heute entlang der Route 66 zu finden ist. Vielleicht hat sich diese Comic-Figur bis in die heutige Zeit erhalten, weil sie schon früh mit einer weiblichen Sexualität dargestellt wurde – im Gegensatz zu Mini Maus, die ja stets geschlechtsneutral dargestellt wurde.
Betty Boop ist jedenfalls in nahezu jedem Souvenir Shop entlang der Route 66 zu finden.
Während meines Stops im Cavern Inn, den ich benutze, um mein Handy aufzuladen, komme ich mit Mark ins Gespräch. Er zeigt sich ganz interessiert an meiner Geschichte, hört mir aufmerksam zu und gibt mir auch noch einige Ratschläge mit auf den Weg.
Mark erzählt mir, dass er beruflich als Parkranger gearbeitet hat. Und dann überrascht er mich mit einer großzügigen Geste und schenkt mir eine 20 Dollar Note. Voller Freude nehme ich dieses Geschenk an, sichert es mir doch für einen Tag meine Grundversorgung mit Nahrungsmitteln.
Außerdem verspricht er mir, auf meiner Webseite vorbeizuschauen. Und in einem dort abgegeben Kommentar hat er noch eine Einladung an mich ausgesprochen, ihn zuhause zu besuchen, wenn ich in seiner Gegend bin. Was für ein großzügiges Geschenk.
Was für eine Gastfreundschaft, die sich hinter diesen Gesten verbirgt. Und wer weiß, vielleicht liegt sein Wohnort ja auf meinem Weg durch Californien.
Überall entlang der Route finde ich Hinweise auf längst vergangene Zeiten. Eine Besonderheit stellt für mich dieses kleine Hualapai Denkmal dar, das an die verlorenen, vermissten und ermordeten Stammesmitglieder erinnert.
Während ich weiterfahre, ändert sich die Landschaft nach und nach. Die Vegetation passt sich langsam dem Wüstenklima an.
Irgendwo entlang der Wegstrecke weist ein kleines beleuchtetes „Open“ im Fenster auf einen Getränkeausschank hin. Eigentlich ist es eine Kfz-Werkstatt, die nicht mehr genutzt wird. Nun dient sie als Kulisse für eine in die Werkstatt integrierte kleine Bar.
Zur Werbeunterstützung rosten draußen Autos des vorigen Jahrhunderts vor sich hin.
Eingebettet in diese Landschaft finde ich vereinzelt Tankstellen, die heute keinen Autofahrer mehr bedienen.
Auch diese Zapfsäulen haben längst ausgedient, erfreuen jedoch manchen Nostalgiker.
Einige Immobilien sehen aus, als wenn an ihnen seit dem vorigen Jahrhundert keine Hand mehr angelegt worden ist.
Die Sticker und Aufkleber an den Wänden jedoch haben in den letzten Jahrzehnten eher zugenommen. Sehr zur Freude der Touristen und des Eigentümers, der darin durchaus eine Wertsteigerung sieht.
In diesem Giftshop zieren Dollarnoten die Wände. Und wer noch einen Geldschein übrig hat, darf ihn gerne mit einer persönlichen Notiz versehen dazu heften. Auch das hat seinen Charme.
Es füllt zwar nicht direkt die Kasse des Eigentümers. Die Werbewirgsamkeit für den Geschenkeladen ist aber unbestritten.
Und so geht es weiter. Alle paar Meilen taucht ein neues Objekt auf, an dem sich ein kurzer Stop lohnt. So wird für mich der ganze Tag zu einer Erlebnistour.
Heute will ich nicht wieder in die Dunkelheit kommen. Um 16.30 fange ich an, nach einem Quartier zu suchen. Mein erster Versuch schlägt fehl. Mein zweiter Versuch ebenfalls. Jedoch verweist man mich auf die nahegelegene Kirche.
Ich klopfe bei der Kirche an. Niemand öffnet. Das komplette Gelände um die Kirche herum ist asphaltiert. Kein guter Platz zum Übernachten. Dazu nur 30 Meter von der Straße entfernt. Ich suche und fahre in eine weitere Nebenstraße.
Dort treffe ich Marybeth und Dave. Nachdem ich mich vorgestellt und ein wenig über mich erzählt habe, laden sie mich in ihr Haus ein. Zu allererst darf ich das Bad benutzen und den Staub und Schweiß der vergangenen Tage von meinem Körper schrubben.
Dann bereitet mir Beth ein leckeres Abendmahl: Sandwiches mit Fleisch, Tomaten, Ketchup, dazu Bohnen, Honigmelonen. Und zum Nachtisch gibt es Kekse, gebacken nach einem 150 Jahre alten Rezept. Diese sind so lecker, dass Marybeth sie verstecken muss. Dave würde sonst 10 Kekse auf einmal verspeisen. Ich kann das verstehen.
Die Sonne ist gerade untergegangen. Beide bitten mich auf die verglaste Terrasse, von wo aus ich einen wunderbaren Blick auf die High Sierra und die den Horizont begrenzende Bergkette habe.
Im Tal davor wachsen Pistazien- und Mandelbäume. Und gestern Nacht, so verrät mir Marybeth, streifte der Puma durch ihren Garten.
Über unser Gespräch ist es dunkel geworden. Und so bietet mir Dave ein Quartier auf der verglasten Terrasse an. Ich freute mich riesig, hat mich die Erwähnung des Pumas doch nachdenklich werden lassen.
Mit seinem Charme und seinem großartigen Humor bereichert Dave den ganzen Abend. Da die Tage sehr heiß und auch die Abende noch übermäßig warm sind, gehen wir alle frühzeitig zu Bett, um dafür morgens früher aufzustehen und die Kühle des Morgens genießen zu können.
Um 20.00 Uhr lösche ich das Licht und versinke schon nach kurzer Zeit in meinen wohlverdienten Schlaf. Es war ein wunderschöner Tag voller Ereignisse, voller kleiner Eroberungen und tollen Begegnungen.
Und wieder weiß ich euch dabei. Ihr begleitet meine Reise.