Jo's Dream

A bike. A tent. A year.

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Von New Richmond nach New Carlisle, Québec

Ich bin früh wach. Bruce ist bereits in der Küche und hat mir die Zutaten zu einem Frühstück zusammengestellt. Porridge mit Datteln, Mandeln, Rosinen, frischen Blaubeeren, einer Banane, Ahornsirup und selbstgemachter Erdbeermarmelade. Ein Genuss. Schon kurze Zeit später bin ich auf der Straße. Noch sind es angenehme 25°C. Und die Temperaturen sollen heute nochmals Bestwerte erreichen. Bis New Carlisle sind es gut 50 km. Das müsste vormittags zu schaffen sein.

Bereits nach 20 km habe ich die nächste Reifenpanne. Wieder suche ich ein schattiges Plätzchen und wieder bereitet mir die Hausherrin, die ich auf meiner Suche anspreche, große Freude. Sie reicht mir Obst und Wasser, während ich den Reifen flicke.

Die selbstklebenden Pads scheinen nicht so gut zu kleben. Trotzdem versuche ich, die bereits geflickte, jetzt wieder luftdurchlässige Stelle zu flicken. Mal sehen, ob es hält. Eine halbe Stunde später steige ich aufs Rad und fahre mit kräftigem Rückenwind, der den ganzen Tag anhalten wird, gen Osten.

Ein Fluss mündet ins Meer und in seinem Mündungsbereich hat sich einiges an Treibholz angesammelt. Ich komme zügig voran. Die Strecke ist größtenteils flach. In Bonaventura fahre ich einen Bikeshop an und korrigiere den Reifendruck. Der Flicken hält.

Die örtliche Kirche mit ihrem silbernen Dach reflektiert das Sonnenlicht so stark, dass ich die Augen zukneifen muss.

Der kleine Jachthafen mit angrenzendem Campingplatz zieht für kurze Zeit meine Aufmerksamkeit auf sich.

Obwohl bestes Wetter, sehe ich nur wenige Menschen entlang des kilometerlangen Strandes, was mich erstaunt.

Und die letzten Kilometer zu meinem Gastgeber führen mich über Schotterwege und einen langen, hölzernen Bordwalk in Dünenlandschaft zu einem roten Haus. Ich komme von der Seeseite und bin verblüfft bis freudig überrascht. Da hat sich jemand ein Paradies erschaffen.

Das Heim meiner heutigen Gastgeber besteht aus stillgelegten Eisenbahnwaggons, die im Laufe der Zeit modifiziert und deutlich erweitert wurden.

Mein Heim für heute Nacht befindet sich in einem weiteren Waggon. Für mich ist besonders faszinierend, mit wie viel Liebe, Lebens- und Experimentierfreude mein Gastgeber Guy zusammen mit seiner Frau Ann dieses Paradies geschaffen hat.

Die vorhandenen Waggons wurden im Laufe der Jahre immer weiter den persönlichen Bedürfnissen angepasst. Dabei fällt auf, dass das Holz im Wesentlichen nicht weiter behandelt wurde. Keine Tapeten schmücken die Wände. Keine Farben oder Lacke verhindern die Sicht auf die Oberflächen des verwendeten Baumaterials Holz in seiner schönsten Form. Hier darf es sich zeigen und weiterleben. Integraler Bestandteil der Lebenswelt zweier wunderbarer Menschen.

Guy führt mich herum, zeigt mir die Räume und erzählt ihre Geschichten.

Allein die Zuwegung von der Strandseite ist bemerkenswert. Da scheint sich ein zweiter Robinson Crusoe sein Reich geschaffen zu haben.

Guy, erzählt, dass er fast 30 Jahre brauchte, um dieses Juwel zu erschaffen. Nichts wurde gekauft. Alle Zutaten trieb das Meer an Land. Er brauchte nur einzusammeln und mit viel Kreativität zusammenzufügen, was bereits am Zerfallen und Vergehen war. So gibt er Dingen eine neue Funktion und füllt sein Leben mit unglaublich viel Freude.

Während Guy mich herumführt, ist Ann nicht untätig geblieben. Ein aromatischer Begrüßungstee löscht meinen Durst. Und später werden Beide das leckere Abendmahl bereiten. Gegessen wird auf der Terrasse mit Blick aufs Meer. Ich hoffe, es war nicht unhöflich. Aber mein Hunger war groß und der Appetit sein verlässlicher Begleiter. Am Ende ging nur leeres Geschirr zurück in die Küche.

Zwischen alledem hatten wir viel Zeit für Unterhaltung. Und ich stellte fest, dass ihre Sicht auf die Gestaltung ihres Lebens viele Ähnlichkeiten zu unserem Lebenplan aufweist. Das machte es mir leicht und je länger gemeinsame Zeit andauerte, desto vertrauter wurden mir meine Gastgeber.

Beide werden morgen früh aufbrechen zu einer Fahrtadtour. Ein kleines Fachgespräch über die richtige Regenjacke bringt mich einen riesigen Schritt weiter. Ich bin dankbar und kann Guy bei der Montage einer Ortlieb Lenkertasche helfen.

Und am Ende des Tages führt mich Guy noch ein paar hundert Meter durchs Gelände zu seinem weiteren Grundstück und zeigt mir das dortige kleine Holzhaus. Komplett selbstgebaut. In der Bauphase gab es nicht einmal Strom. Heute ist das kleine Häuschen bestens ausgestattet. Guy produziert den Strom selbst. Warm- und Kaltwasser sind vorhanden. Die sanitäre Einrichtung verströmt keinen unangenehmen Duft. An alles wurde gedacht.

Das Haus steht inmitten einer flachen Zone, die in den vergangenen Jahrzehnten an dieser Stelle vom Meer gebildet wurde. Guy kann also sagen, dass die Größe seines Grundstücks im Laufe vergangener Jahrzehnte deutlich gewachsen ist. Und dieses neue Land lässt Guy so sein, wie es die Natur geschaffen hat. Dabei ist er ein ständiger Beobachter, der die stetigen Veränderungen der Landschaft mit großer Begeisterung registriert und alles Geschehen lässt, ohne einzugreifen.

All das begeistert mich und ich könnte Tage an diesem Ort verweilen. Da Ann und Guy bereits um 6 Uhr zu ihrer Fahrradtour starten wollen, verabschieden wir uns bereits heute Abend voneinander. Ein unvergesslicher, wunderschöner Tag geht zuende. Und morgen früh heisst es für mich erneut: Reifen flicken. Ich wette, es ist dieselbe Stelle. Still und dankbar, Gast bei Ann und Guy zu sein, lächele ich in mich hinein. Und bin gespannt, was mir der morgige Tag bringen wird.

Und während hier das Licht erlischt, geht an anderer Stelle ein Licht auf und fährt gemächlich durch diese ruhige Nacht.

Von Escuminac nach New Richmond, Québec

Eine ruhige Nacht liegt hinter mir. Nun weckt mich ein fröhliches Vogelkonzert und mahnt zum Aufstehen. Schnell sind alle Sachen gepackt. Noch schneller sind die Moskitos, die mich immer wieder attackieren. Erst als ich aufs Rad steige, hat der Spuk ein Ende.

Escuminac Campground ist ein geschlossener Platz. Die übliche Campingplatz Ausstattung fehlt. So fahre ich verschwitzt und ungewaschen los. Lediglich das Zähneputzen ist mir wichtig. Ich komme gut voran. Irgendwo auf halbem Wege eine Baustelle. Also warte ich, bis die Schranke sich hebt.

Ich bin keine 10 Meter gefahren, da zischt es ganz ordentlich und ich habe einen Platten. Die Sonne hat die Wolken bereits verbrannt. Und nun attackiert sie auch mich. Ich schiebe das Fahrrad in eine private Auffahrt und frage an, ob ich im schattigen Carport mein Fahrrad reparieren kann. Mittlerweile sind es 34°C. Ich darf und bekomme zusätzlich einen Becher Kaffee, Kekse und Obst gereicht. In aller Ruhe flicke ich den Hinterrad-Reifen.

Die Strecke entlang der Küste verläuft relativ flach. So komme ich gut voran, wenn nicht diese Hitze wäre. Und schon nach wenigen Kilometern suche ich für ein par Minuten Schutz vor der sengenden Sonne.

Ein Aussichtsturm, in der Ferne. Eine Skulptur in der Nähe und ein in der Sonne blinkendes Dach sorgen für Abwechslung entlang der Route 132.

Die Schulter der Straße ist genauso breit, wie die Fahrspur für die Autos.

Während sich an anderer Stelle Treibholz angesammelt hat und den ohnehin schmalen Sandstreifen entlang des Ufersaums weiter einengt.

Kurz vor Dem kleinen Ort Maria stoppt plötzlich ein ein SUV, ein Mann steigt aus und deutet mir winkend, anzuhalten. In einem kurzen, freundlichen Gespräch erfahre ich, dass er der Ehemann meiner Gastgeberin ist, bei der ich vom 20. auf den 21. Juni übernachten werde. Mit meinen roten Taschen war ich ihm aufgefallen. Sie freuen sich schon auf meinen morgigen Besuch. Und natürlich kommt auch bei mir große Freude auf. Dann fährt er weiter und ich steuere Gesgapepiag, Québec an.

Auf einer Wiese entdecke ich mehrere Tipis. Irgendwo wird Rustikales Camping auf diesem Campground angeboten. Noch sind alle Zelte leer. Es wird nicht lange dauern, bis sich die Tipis füllen werden.

Ich radle weiter. Bereits in New Richmond angekommen, nenne ich dem Briefzusteller den Namen meines heutigen Gastgebers. Er beschreibt mir den Weg und deutet noch auf ein anderes Haus. Dort drüben wohnt eine Dame aus Deutschland. Da ich sehr früh dran bin, klopfe ich bei der Dame an.

Eine junge Frau öffnet und nachdem wir uns einander vorgestellt haben, bittet sie mich ins Haus. Bei frischem Obst und viel Wasser unterhalten wir uns angeregt. Ihr Sohn Emilio bastelt mir währenddessen mit großer Freude ein Herz, fügt seinen Namen und einen kleinen Anhänger hinzu und fertig ist das kleine Geschenk für mich. Emilio spricht ebenfalls deutsch. Und so fällt es mir deutlich leichter, zu kommunizieren

Sophie erzählt ein wenig aus der Vergangenheit, wie sie kanadische Bürgerin wurde. Eine schöne Geschichte und ich lausche interessiert. Ihr Mann Christian kommt noch hinzu und beteiligt sich freundlich an unserem Gespräch. Nach einer Stunde verabschiede ich mich. Die Familie macht mir noch ein weiteres Geschenk. Zwei Hände voll Nussriegel mit Schokolade. Was für eine Gastfreundschaft! Und zuletzt weisen sie mir ebenfalls genau den Weg zu meinem heutigen Gastgeber. Sophie erzählt noch, dass er für die Kinder des örtlichen Kindergartens ein Held ist, der die Möglichkeit für die Kinder geschaffen hat, über seinen privaten Zugang zum Strand zu gelangen.

Nach gut einem Kilometer habe ich meinen Gastgeber erreicht. Ich bin sicher, an die richtige Tür zu klopfen. Hat mein Gastgeber Bruce doch eine kleine Nachricht für mich hinterlassen, in welcher er mich namentlich anspricht.

Wir verbringen einen wundervollen späten Nachmittag und Abend. Bruce ist ein hervorragender Gastgeber und Koch. Und während die Waschmaschine läuft und meine verschwitzten Sachen reinigt, sind wir beide schon in intensive Gespräche vertieft. Er zeigt mir Fotos seiner engsten Familie. Und wir unterhalten uns über Politik, Familie, Gesellschaft und was mich zusätzlich erfreut: über das Sammeln von Mineralien und Gesteinen. Ich bin begeistert.

Mir gelingt es immer besser, mich in die Gespräche einzubringen. Langsam weicht meine Scheu, zu sprechen. Und ich fange wieder an, eigene Sätze zu bilden. Da Bruce ein sehr geduldiger Zuhörer ist und sich sehr bemüht, die Sätze so zu verpacken, dass ich sie verstehe, wird es für mich ein toller Abend.

Spaghetti mit würziger Fleischsoße. Eine Riesenportion Eis mit selbst hergestellter Erdbeermarmelade, Blaubeeren und Ahornsirup. Wasser, Wein und Sirup. Und auch hier begeistert mich die Gastfreundschaft. So dass ich am Abend mit großer Dankbarkeit zu Bett gehe. Ich danke allen, die mich durch den heutigen Tag begleitet haben.

Von Pointe Verte, New Brunswick nach Escuminac, Québec

Es war eine unruhige Nacht. Gegen 3 Uhr setzten plötzlich dröhnende Motorengeräusche ein. So laut, dass an Schlaf nicht mehr zu denken war. Also krabbelte ich aus dem Zelt und lief runter zum Strand.

Draußen vor der Küste ernteten mehrere Fischerboote Lobster. Wie sie das machen, weiß ich nicht. Dabei verursachen die Boote diesen Höllenlärm. Wegen des heißen Wetters flüchten die Tiere wohl vor dem warmen Wasser und sammeln sich hier wenige hundert Meter direkt vor dem Strand in kalter Meeresströmung.

An Schlaf war nicht mehr zu denken. Also genoss ich den anbrechenden Morgen am Strand. Statt Herumstochern im Lagerfeuer, zeichnete ich mit einem Stock Formen in den kiesingen, groben Sand. Bei nachlassendem Lärm legte ich mich gegen 6 Uhr wieder hin und döste vor mich hin.

Um 7 Uhr dann laute Stimmen und Lärm zweier Rasenmäher, der jedoch abruppt erlischt. Und auch mein letzter Versuch, ein wenig zu schlafen, scheitert. Um 8 Uhr wird der Rasen rund um mein Zelt gemäht. Ich stehe auf einem Spielplatz und die Arbeiter haben die Aufgabe, diese Fläche zu mähen. Ein kurzes Gespräch, sie sind freundlich und nehmen Rücksicht.

Von meinem Lagerplatz aus kann ich die Rückkehr eines dieser Lobster-Lärm-Boote beobachten. So mache ich mich auf den Weg. Über die Rue du Quai erreiche ich das kleine Hafenbecken, wo ich dem Treiben der Fischer zuschauen kann.

Auf mein Bitten wird eine der Boxen geöffnet, in denen der Fang für den Weitertransport und -verkauf bereits verpackt ist und hält geschickt einen Lobster vor die Kamera.

Ich frage, ob ich solche Tiere auch am Strand fangen könnte und erfahre, dass alle 6 bis 7 Jahre ein solches Ereignis ansteht. Dazu müssen allerdings drei Faktoren zusammenkommen. Eine besonders hohe Tide, ein starker Ostwind und Schnee. Und wenn man in diesem Wetter vor Ort ist, dann kann man durchaus 200 Pfund Lobster einsammeln. Die Fangergebnisse der Fischer werden durch dieses Ergebnis kaum beeinflusst.

Die Hafenmole selbst dient einer Kolonie Kormorane als Ruheplatz.

Schließlich mache ich mich auf den Weg. Der Morgen ist noch kühl, der Himmel bedeckt. Die bisher in den Gärten typischen Rhododendren sind verblüht. Dafür duftet der Flieder entlang der Straßen und manche grüne Wiese ist von einem Meer goldgelber Butterblumen durchsetzt. Was für eine Fülle.

Die Straßen sind gesäumt von weiß blühenden Wiesenblumen.

Strandleben kurz vor Campbellton.

Ein junger Mann spricht mich an. Stolz zeigt er mir seine Eigenkreation. Und sie fährt. Er nutzt das Fahrzeug, um zu seinen verschiedenen Arbeitsplätzen zu fahren.

Campbellton kommt in Sicht und der Anblick des Berges vor mir stimmt mich nachdenklich. Da hinauf, frage ich mich. Doch es kommt anders.

Nach kurzer Rast geht es über die JC van Horne Bridge, die an dieser Stelle den Restigouche River überspannt. Und mit dem Überschreiten der Brücke bin ich das erste Mal in der Provinz Québec.

Ein Seitenstreifen ist auf der vielbefahrenen Brücke nicht vorhanden. So nutze ich den schmalen Fußweg. Das gibt mir Sicherheit.

Ein letzter Blick, bevor ich mein heutiges Ziel, Escuminac, verschwitzt, erschöpft und glücklich erreiche. Mittlerweile ist es schwül und heiß. Die Temperaturen betragen gegen Abend rund 34°C. Jetzt hat mein Körper sich Ruhe verdient.

Bei diesem Wetter habe ich Angst, dass mir die Vorräte vergehen. Und so lege ich den Cheddar 3- oder 4-fach aufs Brot. Und was mache ich mit der getrockneten Wurst? Ich finde bestimmt eine gute Lösung.

Und trinken muss ich noch viel mehr. Ich habe sicher schon 3 Liter getrunken, doch die Tatsache, dass ich heute noch keinen Baum gegossen habe, zeigt mir, es besteht Nachholbedarf. Ich musste Biggi versprechen, gut für mich zu sorgen.

Damit Ihr mich begleiten könnt

Von Miramichi nach Pointe-Verte, New Brunswick

Um 9.00 Uhr verlasse ich Miramichi. Es ist ein sonniger Morgen. Ich habe gut geschlafen. Und fühle mich wohl. Auf dem Weg zur Interstate No. 8 komme ich an der eleganten Centenniel Bridge vorbei, die den Miramichi River überspannt. Nach ein paar Kehren bin ich auf der Interstate.

Es herrscht nicht viel Verkehr. Manchmal passiert minutenlang kein Auto. Die Spur ist sauber und fast so breit wie die eigentliche Fahrbahn. Optimale Bedingungen. Die Steigungen sehr moderat, so dass ich nur wenige Male in den ersten Gang runterschalten muss. Hinzu kommt Rückenwind. Die vergangenen beiden Tage kam der Wind immer von vorne. Heute unterstüzt mich seine Kraft sehr. So komme ich gut voran.

In den Talmulden geht es über Brücken, die gelegentlich einen herrlichen Einblick in die Landschaft rechts des Weges gewähren. Und bis zur Abzweigung ändert sich somit nichts. Ich komme gut voran.

Eine einstündige Pause tut mir gut. Ich habe Halt gemacht an einem Restaurant und gönne mir einen Kaffee. Daraus werden 3 große Becher. War es beim zweiten Becher noch eine Frage, so kam beim dritten die Dame mit der Kaffeekanne und sagte in einem bestimmenden Ton: „Du brauchst bestimmt noch einen Kaffee.“ Ein Liter Milch hat auch noch Platz.

Weiter geht’s. Links und rechts breiten sich üppige Wälder aus. Stundenlang und wunderschön.

Nur an wenigen Stellen treffe ich auf abgestorbene Bäume. Dafür gibt es mehr Elchspuren, die die Fahrbahn kreuzen. Gesehen habe ich bisher noch kein Exemplar. Aber sie sind da. Gestern, auf dem unbefestigten Teil der Beaverbrooks Road, hatte ich die gleichen Trittsiegel schon in Hülle und Fülle gesehen.

Aber trotz ihrer Größe nimmt der Wald sie auf und sie bleiben für mich versteckt.

Kurz vor Erreichen von Bathurst mündet rechts der Straße ein Fluss ins Meer. Es hat fast den Anschein, als wenn er den rettenden Ozean nicht erreicht, versperrt doch die Sandbank den direkten Weg ins Meer …

Um 15.30 Uhr erreiche ich Bathurst. Viel Charme hat die Stadt für mich leider nicht. Einige Industriebetriebe, unter anderem für die Holzindustrie und ein „Instandsetzungswerk“ für deutsche Panzer. All das sichert Arbeitsplätze in dieser Region.

Um 18.30 mache ich mich auf die Suche nach einem Lagerplatz für die Nacht. Und finde Le Cap A Joe. Leider ist auf diesem Privatgrund niemand zuhause. Sonst hätte ich gefragt, ob ich an diesem Ort nächtigen kann. Also weiter suchen. Der Streckenabschnitt von Bathurst bis Le Pointe Verte führt zwar dicht die Küste entlang, ist aber durchgängig privat bebaut.

Ein paar Grundstücke weiter treffe ich auf eine Familie, die am Strand vor einem offenen Feuer in ihren Stühlen sitzt. Ich stelle mich freundlich vor und die nächsten 1 1/2 Stunden sind wir in ein munteres Gespräch vertieft. Jean Emile und seine Frau Lorraine stellen sich freundlich vor. Und sogleich entwickelt sich ein nettes Gespräch.

Jean Emile war Genelral Constructor und ging vor einigen Jahren in den Ruhestand. Da Jean Emile nicht so gut Englisch spricht, hat seine Frau ihn im geschäftlichen Alltag jahrzehntelang unterstützt. Wieviel Liebe steckt doch in dieser Bereitschaft, neben der eigenen Arbeit und den Kindern diese Kraft aufzubringen.

Und dann sind da noch Brigitte und ihr Ehemann Christian. Und während Jean Emile mir einen Schwarzen Tee bereitet (meinen ersten seit meiner Ankunft in New York – und das mir als passioniertem Teetrinker) erzählen beide aus ihrem Leben. So vergeht die Zeit wie im Fluge.

Und dann haben sie noch die Lösung parat, die mir einen herrlichen Schlafplatz direkt am Atlantik sichert. Ein paar Regentropfen fallen. Und da ich nicht abschätzen kann, was daraus wird, verabschiede ich mich, schiebe ich mein Rad gut 100 Meter den Strand entlang und stelle mein Zelt auf. Abendessen mit Blick aufs Meer.

Es gibt Kartoffelsalat, eine frische, saftige Paprika, Tomaten und zum Nachtisch einen Apfel. Und auch die Mücken glauben, ihr Tisch sei gedeckt. Also husche ich ins sichere Zelt und lasse diesen wunderbaren Tag noch einmal Revue passieren. Es waren wieder tolle Begegnungen mit den hier lebenden Menschen, wofür ich sehr dankbar bin.

Von links: Lorraine, Jean Emile, Christian und Brigitte.

Und dann war da noch Blacky, die ganz opportun und vergeblich darauf wartete, etwas vom Müsliriegel abzubekommen. Für heute Abend waren wir fast eine Familie …

Schon weit gekommen …

Von Doaktown nach Miramichi, New Brunswick

Die Nacht war ruhig und kühl. Und am Morgen lacht die Sonne mir ins Gesicht. Schnell ist alles verstaut. Ich habe Hunger, aber der Proviant ist verbraucht. Also auf zum nächsten Supermarkt. Nach wenigen Kilometern finde ich einen. Und halte erst einmal die Luft an. Alles scheint nochmals teurer als und den USA. Und so stehe ich unentschlossen vor Obst und Gemüse und versuche, mir eine Preisübersicht zu verschaffen.

Plötzlich kommt ein junger Mann auf mich zu und fragt, ob er helfen kann. Ich frage, welches die preiswerteste Apfelsorte ist, die sie im Supermarkt im Angebot haben. Er gibt mir keine Antwort, lächelt mich an und fragt stattdessen, wo ich herkomme, wohin es geht, usw. Ein kurzes Gespräch, an dessen Ende er sein Portemonaie zückt, mir 100 Kanadische Dollar schenkt und eine gute Reise wünscht. Sprachlos, aber strahlend schaue ich ihm hinterher, wie er zwischen den Regalen des Supermarktes verschwindet. Im Gefühl großer Dankbarkeit tätige ich meinen Einkauf, und frühstücke erst einmal etwas abseits des Supermarktes.

Eine Kundin des Marktes kommt auf mich zu. Ein nettes Gespräch entwickelt sich, in dessen Verlauf sie mir wertvolle Tipps für den weiteren Weg gibt. So komme ich in Blackville runter von der Hauptstraße und es geht den Miramichi River entlang Richtung Miramichi.

Ich bin schon ein Stück gefahren, da werde ich erneut angesprochen. Mary stellt sich vor. Während einer wunderschönen, angenehmen Unterhaltung zeigt sie mir ein paar lokale Spots und erklärt mir, dass der Ort, an dem wir uns gerade befinden, früher Indiantown hieß, irgendwann jedoch umbenannt wurde in Quarryville.

Mary hat eine Überraschung für mich parat: gemeinsam gehen wir in einen großen Supermarkt einkaufen. Mir hilft das ungemein. Hatte ich doch bisher die Preisauszeichnungen an den Waren nicht richtig verstanden.

Bepackt mit Brathähnchen, frischem Gemüse, Brot und Wassermelone betreten wir ein Lokal und breiten unsere Speisen auf der Theke aus. Das ist erlaubt. Nur das selbstgebraute Bier muss bestellt werden. Und dann wird gespeist. Die Kosten werden geteilt, wobei Mary den Löwenanteil übernimmt. Ich bezahle das Gemüse und die beiden sehr leckeren Biere.

Um 16.00 Uhr verabschieden wir uns voneinander. Über die Beaverbrooks Road verlasse ich Miramichi in nördliche Richtung. Eine breite Asphaltstraße, die aussieht, wie ein Flickenteppich in Schwarz- und Grautönen. Fast kein Verkehr. Nach über 13 km fehlt plötzlich der Belag. Breit, mit tiefen Spurrillen zerfurcht geht es viele Kilometer weiter.

Vorbei an Landschaften, die stark an Moore erinnern.

Ein Eldorado für die Tiere. Biberdämme, die ganze Areale unter Wasser setzen. Tierspuren, die auf Elche hinweisen und ein Weg, der abrupt endet. Ich kann es kaum glauben. Google sagt zwar Geradeaus. Aber vor mir liegt nur undurchdringliches Buschwerk. Den einzigen Autofahrer, den ich zufällig treffe, spreche ich an. Ergebnis: Ich muss den Weg bis Miramichi wieder zurückkehren.

Selbst kleine gescheiterte Nebenpfade führen hier draußen ins Nichts. So fahre ich in den Abend hinein, zurück nach Miramichi. Um weiter zu fahren, ist es nun zu spät.

In einem kleinen Park mit bester Aussicht auf den Fluss finde ich meinen Platz für die Nacht.

So könnte meine Tour weitergehen – oder ganz anders


Von Moores Mills nach Doaktown, New Brunswick

Um 6.00 Uhr in der Frühe klopft Robert an die Tür und teilt mir mir, dass Jasper bereits auf dem Weg ist, um mich mitzunehmen. Also raus aus den Federn und rein ins Bad, ankleiden, packen und nichts vergessen … Robert hat mir ein leckeres Frühstück bereitet. So verlockend. Aber Jasper ist bereits da. Fahrrad und Gepäck werden im Kofferraum verstaut. Ich nehme auf dem Beifahrersitz Platz und Robert reicht mir lachend das Tablett mit dem Frühstück herein.

Ein kurzer, aber sehr intensiver Abschied von Robert. Ich habe die Zeit mit ihm zusammen unglaublich genossen. Die Gespräche intensiv. Die Themen abwechslungsreich. Mal ernst, mal heiter. Über Politik, Gesellschaft, Historie. Über sein Leben und über meines. Und so ist Robert zu einem wunderbaren Teil dieser Reise geworden. Und auch Jasper, sein zukünftiger Schwiegersohn, gehört in meine Schatzkiste. Auf der Fahrt nach Fredericton in New Brunswick unterhalten wir uns so hingegeben, dass ich von diesen 50 Meilen nicht sagen kann, welche Landschaften an mir vorbeifahren. Etwa 10 Meilen vor Fredericton erreicht er seine heutige Arbeitsstelle.

Das Rad wird zusammengebaut, alles an seinem Platz verstaut. Ich bekomme noch kurz Gelegenheit, Jaspers Vater kennenzulernen. Und dann bin ich schon wieder unterwegs. Es ist kühl und bewölkt. Aber ich habe großes Glück. Die Regenfront ist bereits vorbeigezogen und so wird es heute trocken bleiben.

Als ich dieses Schild passiere, mache ich einen großen Fehler. Eigentlich muss ich noch ein Stück Richtung Edmundston. Aber ich fahre weiter Richtung Fredericton. Und denke nicht weiter darüber nach. Navigation ist ausgeschaltet. Und Stunden später, ich bin wohl 60 Kilometer nordöstlich von Fredericton, erkenne ich, dass es nicht die geplante Route ist. Ein wenig ärgert es mich schon, hatten Robert und Jasper mir doch geholfen, einen interessanten, reizvollen Weg nach Campbellton zu finden. Dann schüttle ich mir den Frust von der Seele und munter geht es weiter.

Radweg in Fredericton.

Er führt über eine ehemalige Eisenbahntrasse aus der Stadt raus.

Ich bin gespannt, was meinen Weg noch kreuzen wird.

Eine TBM Avenger Airkraft#14. Die wurde in dieser Region wohl 50 Jahre lang in der Forstwirtschaft eingesetzt.

Am Abend fahre ich zum Schlafen an einen Fluss. Dort hatte ich einen der hier üblichen Picknicktische entdeckt. Aber der Ort scheint sehr beliebt zu sein. Nach und nach bekomme ich Besuch. Zuletzt sind wir 7 Leute. Und so entschließe ich mich, noch etwas weiter zu ziehen.

Dann schlage ich mich in die Büsche. Ich bin irgendwo im Nowhere. Kein Empfang, dafür eine Menge Ruhe. Erschöpft wie ich bin, nach über 100 km radeln, will ich nur noch eines: schlafen!

So könnte meine Tour weitergehen – oder ganz anders

Moores Mills – Ruhetag

Heute Morgen bietet mir mein Gastgeber an, dass ich noch einen Tag bleiben kann. Ich nehme gerne an. So habe ich Zeit, mich mit den weiteren Planungen zu beschäftigen und meine Wäsche zu waschen. Robert unternimmt mit mir eine Fahrt nach St. Stephens, wo ich eine Prepaid SIM-Card für Canada kaufe. So bleibe ich für meine Frau Biggi jederzeit erreichbar.

Robert ist ein wunderbarer Gastgeber. Er hilft mir in jeder Hinsicht. Besonders bei der Routenplanung sind seine Vorschläge sehr, sehr wertvoll. Und ich bin froh, dass er seine Erfahrungen mit mir teilt. So habe ich ein sehr gutes Gefühl für die kommenden Tage. Nachmittags ist Familienpflege via Internet angesagt. Und kaum dass ich das Gespräch beendet habe, läd mich Robert zum Abendessen bei einem Glas Bier nach Saint Andrews ein. Seine Tocher kommt mit ihrem Freund Jasper hinzu.

Wir speisen bei Livemusik und führen eine anregende Unterhaltung. Jasper bietet an, mich Samstagmorgen bis Fredericton im Auto mitzunehmen. Dieses Angebot nehme ich gerne an denn es soll den ganzen Tag heftig regnen. Das strengt mich an. Nach dem Abendessen mit einem anschließenden, gemeinsamen Spaziergang durch den kleinen Hafen von Saint Andrews verabschieden wir Jasper und Roberts Tochter.

Eine kleine Überraschung hat Robert noch für mich parat: er fährt mit mir zu einem seiner Lieblingsorte und wir erleben noch einen wunderbaren Sonnenuntergang. Und während die Sonne verglüht, zeigen sich an anderer Stelle die Vorboten eines Gewittersturms.

So bleibt mir am Ende des Tages, allen zu danken, die mich diese Tage begleitet haben. Und ganz besonders möchte ich Robert danken, der mir diesen unvergesslichen Aufenthalt in Moores Mills ermöglicht hat.

Die Würfel sind gefallen – 3 Monate Kanada

Der Start in den Tag gelingt gut. Bei der ersten Gelegenheit halte ich an und gönne mir einen großen Becher Kaffee. Ich bekomme ihn gratis. Da steige ich aufs Rad und die nächsten 41 Meilen drehen sich meine Beine und mein Kopf. Ich bin in Gedanken schon in Kanada. Ohne zu wissen, ob es klappt.

Zwar gibt es Abwechslung entlang des Weges. Ich aber bin gefühlt schon an der kanadischen Grenze. Und so übersehe ich vielleicht die ein oder andere Schönheit. Die frische Brise in der salzhaltigen Luft tut gut und weckt meinen Geist. Nicht nachdenken. Einfach fahren. Du hast gut geplant …

Es geht vorbei an kleinen Häuschen, die man für den Urlaub mieten kann. Richtig klein und keine 20 m von der vielbefahrenen Interstate entfernt.

Und immer wieder öffnet sich der grüne Vorhang und gibt die Sicht frei auf das Meer, welches mit seinen Prielen tief in die Marschen eindringt.

Meterdicke Sedimentschichten hat das Meer in den Marschen abgeladen. Sie stehen im interessanten Kontrast zu den Hügeln, welche die Marschen kleinflächig zergliedern.

St. Croix Historical Site. Im Jahre 1604 ein Ort, an dem sich ein Drama abspielte. Darüber lässt sich sicherlich einiges im Internet finden.

Ich erreiche Calais, ein unscheinbarer kleiner Ort. Hier geht es über die Grenze. Ich reihe mich in die Autoschlange ein, und warte. Nur kurz, denn ein Mitarbeiter der Grenzbehörde winkt mich an der Schlange vorbei und weist mir den Weg in ein Verwaltungsgebäude. Dort, in einer Wartezone, nehme ich Platz. Kaum habe ich mich gesetzt, werde ich freundlich von einer Grenzpolizistin angesprochen. Ich reiche meinen Reisepass und meine Visitenkarte, die Biggi liebevoll gestaltet hat. Kurz darauf bittet mich die Polizistin, das Fahrrad anschauen zu dürfen, fragt nach meinem Beruf, wie lange ich in Kanada bleiben möchte, was ich an Ausrüstung dabei habe und wo ich wohnen werde. Alles sehr freundlich. Alles sehr sympathisch.

Meine Angaben stimmen sie zuversichtlich. Und bereits 5 Minuten später ist die Entscheidung gefallen. Ich bekomme eine Aufenthaltserlaubnis für drei Monate. Ich hätte die Polizistin am liebsten umarmt. Und als sie mich fragt, ob sie meine Visitenkarte behalten kann, habe ich das Gefühl, das da etwas Persönliches mitschwingt. Überglücklich verabschiede ich mich und freue mich, wenn sie auf meiner Webseite vorbei schaut.

Gleich hinter der Grenze bricht meine Internetverbindung ab. Und ich kann weder den einen, noch den anderen Gastgeber erreichen. In der nahegelegenen Bibliothek finde ich Hilfe. Und nachdem ich meinen Gastgeber Robert telefonisch erreicht habe, mache ich mich auf den Weg zu ihm. Ich werde herzlich empfangen. Das Quartier ist großartig. Gleichzeitig stelle ich fest, dass Robert und der andere Gastgeber befreundet sind. Und keine 20 Minuten später sind wir zu dritt. Robert bereitet eine leckere Mahlzeit mit Shrimps. Während Jasper mir die Nutzung von bestimmten Apps erklärt, die für mein Vorhaben sinnvoll sind. Und gemeinsam erarbeiten wir meinen weiteren Weg. Ich freu mich schon auf Morgen.

Jasper zeigt reges Interesse an meinem Fahrrad. Probefahrt inbegriffen. Da Jasper begeistert von Vancouver nach St. Stephen, Brunswick, Canada gefahren ist, sind seine Vorschläge und Tipps sehr wertvoll für mich.

Weil ich mich wegen der fehlenden Internetverbindung nicht bei Jasper melden konnte, hatte er sich auf den Weg zum Grenzübergang gemacht, um mich dort in Empfang zu nehmen. Was für eine großartige Geste.

Robert begeistert mich. Er ist ein richtiger Storyteller. Und gespannt lausche ich den Erlebnissen aus seinem langen Leben. Ein lange währendes, spannendes, ganz besonders buntes Leben. So verbringen wir den gemeinsamen Abend mit Wein und herrlicher Unterhaltung.

Wissenswertes: Kanada ist mit einer Fläche von 9.984.670 km² nach Russland der zweitgrößte Staat der Erde und fast so groß wie Europa. Der Staat nimmt rund 41 % Nordamerikas ein.

Wikipedia.org

Von Lincoln, Maine nach Whiting, Maine

Die Nacht war ruhig. Kein Feuerwehr-Alarm, der mich weckte. Ich hatte bei der Feuerwehr in Lincoln angefragt und der Feuerwehrmann vor Ort stimmte meinem Wunsch zu. Das Erstaunliche war, dass er deutsch sprach. Er hat es von seinen Großeltern gelernt. Und als kleines Gastgeschenk gab es noch ein Abzeichen des Fire Departments Lincoln, Maine und wenige Minuten später kam ein anderer Herr aus dem Gebäude und erfreute mich mit einem leckeren Brownie. Ich lasse mir Zeit, während mein Zelt in der Morgensonne trocknet.

Gegen 9.00 Uhr fahre ich los, ostwärts. An einem Markt mache ich für einen leckeren heißen Kaffee halt. Eine ältere Dame spricht mich an. Sie hat von meinen Reiseabsichten erfahren und bereichert mich mit ihrem Interesse. So wird schon der Morgen schön.

Was sich auf meiner heutigen Fahrt geändert hat, sind die auffallend vielen Häuser entlang meines Weges, die leer stehen und teilweise, weil nicht mehr gehegt und gepflegt, heruntergekommen bis baufällig sind. Oftmals sind es ganze Häuserzeilen, die am Vergehen sind. Ich suche nach den Gründen … Im krassen Gegensatz dazu steht die Natur, die sich immer mehr vor mir ausbreitet. So viel so sattes Grün. Es ist unbeschreiblich. Und irgendwie verändern die Wälder ihr Aussehen. Nicht mehr so üppig und prall. Mehr locker und zerzaust. Und alles wunderschön.

Der Marktplatz in Cherryfield wirkt trostlos. Die Townhall bräuchte ein paar Reparaturen. Ihr gegenüber, auf der anderen Straßenseite und ein wenig abseits im Schatten eines Baumes entdecke ich einen Blumenstand. Verlassen hockt die Blumenfrau auf ihrem Hocker und wartet wohl auf Kundschaft. Ich sehe weit und breit niemanden. Das wirkt bedrückend.

Und so wechselt das Bild ständig. Aufgegebene und verlassene Häuser und eine wunderbare, abwechslungsreiche Landschaft.

Zeitweise fahre ich auf der Route 1. Sie ist stärker befahren. Aber oftmals sind die Anstiege nicht so steil.

Gegen 15.00 Uhr erreiche ich Machias, Maine. Zwei Dinge, die mir auffallen: die Kirche, deren schneeweißer Turm in den kräftig blauen Himmel ragt und der Wasserfall, der über einige Felsstufen munter zu Tale hüpft. In diesem Ort will ich eine Pause einlegen.

Zwischen Straße und einem größeren Gewässer liegt ein kleines, einladendend ausschauendes Picknickgelände. Hier steige ich ab. Einen Campingtisch weiter herrscht reges Treiben. Es wird ausgepackt, der Tisch gedeckt, Essen bereitet und ein laues Lüftchen mit leckerem Duft weht zu mir herüber. Keine zwei Minuten später kommt Matthew zu mir und läd mich gemeinsam mit seiner Frau Cheryl zum Dinner ein. Hocherfreut nehme ich die Einladung an. Sie nennen es Left Over Dinner. Bevor sie über die Grenze nach Kanada fahren, wollen sie die frischen Lebensmittel verbrauchen.

Jo im Glück.

Es gibt Spaghettis mit Gemüsetopf und Hackfleischwürsten. Und da es ja ein Left Over Dinner ist, lasse ich auch nichts über. Drei Portionen – ich weiß nicht, wie lange es her ist, dass ich so viel verspeist habe. Wir führen ein tolles Gespräch und die Szenerie hat auch Einiges zu bieten. Fischadler kreisen über dem Gewässer, sausen zur Wasserfläche hinab und fliegen anschließend mit ihrem Fang in den Klauen zum Nest. Es ist faszinierend zu sehen, mit welcher Treffsicherheit die Jagd gelingt. So vergeht wohl eine Stunde. Und am Ende würde ich gerne einen Verdauungsschlaf machen. Aber ich will weiter.

Cheryl verät mit noch, dass die örtliche Bibliothek kostenloses WiFi anbietet. Also auf zur Bibliothek. Um 17.00 treffe ich dort ein. Internet ist kostenlos und ich kann bis 19.00 bleiben um zu schreiben. Gleichzeitig kann ich mein Smartphone aufladen. Nur wenige Minuten später kommen auch meine beiden Gastgeber vom Nachmittag vorbei. So arbeitet ein jeder still und leise an seinem Projekt. Kurz vorher schon war Matthew mir mit dem Auto hinterhergefahren und hatte mir mein kleines Stativ gebracht, welches ich am Mittagstisch hatte liegenlassen. Erneut verabschieden wir uns voneinander und ich biege in die Route 191 ein. Schon nach kurzer Zeit merke ich, dass sie einige steilere Passagen aufweist. Meine Beine sind müde.

Also zurück zur Route 1 und auf nach Whiting, Maine. Ein wunderschöner Sonnenuntergang mit doppelter Halo lässt mich für ein paar Minuten verweilen. Um 20.15 Uhr frage ich bei einer Kirche, ob ich mein Zelt auf dem Gelände der Kirchengemeinde aufstellen darf und bekomme ein OK. So verstecke ich mich hinter dem Kirchenbau und sage dankbar gute Nacht.

Acadia 26 Miles Park Loop

Heute habe ich mich auf den Weg gemacht, den Ostteil des Nationalparks entlang der Küste zu erkunden. Meine Nachbarn auf dem Campingplatz haben mich liebevoll mit allem versorgt, was das Herz begehrt: mit heißem Kaffee, Sandwiches und vielen Informationen. Der Loop beginnt einige Meilen nördlich des Nationalpark Hauptquartiers.

Auf exellent ausgebauter Straße mit moderaten Steigungen geht es die Küste entlang. Richtung Süden als zweispurige Einbahnstraße. Richtung Norden dann zweispurig mit Gegenverkehr. Heute, bei strahlendem Wetter sind viele unterwegs. In den Felsen entlang der Küste tummeln sich die Menschen. An empfohlenen Aussichtspunkten wird es mir zu viel.

Und so versuche ich mein Bestes, Blickwinkel zu erhaschen, die mehr von der Natur als den Aktivitäten der vielen Menschen zeigen, die fröhlich am Strand oder auf und zwischen den Felsen herumklettern.

Und trotzdem ist es immer wieder eine Freude, ihnen zuzuschauen.

Sandy Beach, ein Hotspot an solch einem wunderschönen Tag…

An anderen Streckenabschnitten ist es ruhiger. Die Felsen der Küste bestehen aus Granit, der mit seinem Zartrosa einen schönen Kontrast zum Grün der ans Meer reichenden Wälder bietet. Die Luft, eine würzige Mischung aus Salz und Aromen, die den Pinien entströmen. Augen zu und träumen!

An manchen Stellen versperren Mauern aus Granit den Blick aufs Meer.

Und überall hämmert, mahlt schleift und poliert das Meer den Fels, und zerlegt ihn unaufhörlich in seine Einzelteile.

Und überall sehe ich Menschen, die mit Faszination den fortwährend nagenden Kräften des Meeres zuschauen …

… während über ihnen Pinien braungebrannt in der Sonne strahlen.

Weiter im Süden flacht die Felsküste ab und der herrliche Wald reicht bis ans Meer.

Wie dünn muss die Krume sein, die dem Wald Stand und Nahrung gibt, um zu gedeihen.

An manchen Stellen erkenne ich Wasserstrudel, die sich mit jedem Wellenschlag neu formieren.

Üppige Tang-Matten hängen im Gezeitenbereich des atlantischen Wassers von den Felsen herab.

Und auch in den kleinen Wasserbecken zwischen den Felsen findet man Natur pur. Auch wenn ich nicht weiß, was ich da sehe, so fasziniert es mich trotzdem.

Auf der Rückfahrt durch den Wald treffe ich Kerry und Jimmy. Wir hatten uns auf Hadley’s Point Campground kennengelernt und treffen uns auf dem Loop wieder. Zeit für ein kleines gemeinsames Picknick am Wegesrand.

Anschließend geht es zurück zum Campingplatz. Ich packe meine Sachen, verabschiede mich und mache mich um 16.30 Uhr auf den Weg …