Während des Packens bemerke ich, dass der Gepäckträger instabil ist, da eine Halterung gebrochen ist. Ein Spanngurt schafft Abhilfe und stellt mein Gefühl für die Sicherheit wieder her. Vor mir liegen 67 km. Und ich möchte vor dem angekündigten Regen Montreal erreichen. Da heißt es, in die Pedale treten.
Vorbei an Steinmännern …
… und in Lavaltrie kleineren Kunstobjekten neben der Kirche erreiche ich um 12.00 Uhr den östlichen Stadtrand Montreals und überqueren die stark befahrene Brücke über der Mündung des Riviere de Praeries in den Sankt Lorenz Strom.
Die Verkehrssituation hat sich für mich bereits in Repentigni abrupt geändert. Auf gut ausgebautem Radweg gehr es die letzten 25 Kilometer hinein in die Stadt Montreal. Immer der Route Verte 5 folgend. Und fast immer entlang dem Sankt Lorenz Strom.
Zwischen den Radweg und den Strom schieben sich ein breiter Industriegürtel und entlang dem Strom ausgedehnte Hafenanlagen. So tritt der Fluss mehr und mehr in den Hintergrund. Nur an wenigen Stellen gelingt mir der Blick auf ihn.
Die Straße zu meiner Linken ist vollgestopft mit Autos. Ein Überqueren der mehrstufigen Fahrbahn ist abseits der Ampeln nicht möglich. So bin ich heilfroh, dass es diesen Radweg gibt. Seit meiner Ankunft in Montreal hat sich das Wetter zusehends verschlechtert. Die Reste des Hurrikans Beryl durchnässen den Boden Montreals.
Regen hatte eingesetzt und mittlerweile hat der gleichmäßig tiefgraue Himmel das Tageslicht stark verdunkelt und seine Schleusentore geöffnet. Sintflutartige Regen prasseln auf mich hernieder. Gullys laufen über. Die Fahrbahn erinnert eher an einen Fluss, in dem der Verkehr mit unverminderter Intensität fließt. Auf der anderen Straßenseite entdecke ich im trüben Schein ein Zelt. Nach minutenlangem Warten im Regen erreiche ich die andere Seite. Doch kaum dass ich aufatme verweist mich ein Sicherheitsmann des Platzes. Ich darf mich nicht unterstellen. Da hilft kein Debattieren. Also zurück in den Starkregen, der unvermindert anhält.
Zurück auf die andere Straßenseite, die im Regen fast verschwindet. Nahe der Jacques-Cartier-Brücke finde ich schließlich Unterschlupf in einer kleinen verglasten Bushaltestelle. Ich komme mir vor wie ein Fisch im Aquarium. Um mich herum strömt das Wasser die Straße und den Radweg hinab. Die Temperaturen liegen noch immer bei 28°C. Die Regenklamotten sind trocken verpackt. So hoffe ich jedenfalls. Es macht keinen Sinn, sie herauszuholen. Ich schwitze so stark, dass ich in meiner Situation nicht zwischen Schweiß und Wasser unterscheiden kann. Ich bin durchnässt bis auf die Haut. Das Wasser läuft mir aus den Schuhen, während um mich herum alles fließt.
Die hohe Luftfeuchtigkeit macht sicherlich vielen Menschen zu schaffen. Alles klebt, ist nass. Aber ich friere nicht. Das vom Himmel kommende Wasser fühlt sich warm an. Eine Waschküche ist nichts dagegen. Das Smartphone hatte in diesem Regen nicht mehr funktioniert. Zwar richtete der Regen keinen Schaden an. Aber die Funktion des Touchscreens war wegen der Bedienung mit meinen klatschnassen Händen stark eingeschränkt.
Nach einer Stunde, es regnet unvermindert weiter, rufe ich meinen Gastgeber an und bekomme ihn sofort in die Leitung. Schnell sind die notwendigen Informationen ausgetauscht. Und ich bin zurück auf der Straße. Im strömenden Regen geht es auf sicheren Fahrradwegen, unsicheren Straßen, über große und kleine Kreuzungen und aufgehalten von unzähligen Ampeln, die lediglich ihre Pflicht tun und mir gleichzeitig das Gefühl des ständigen Ausbremsens geben.
So Schläge ich mich als Wasserman durch die Straßen Montreals. Von der Stadt sehe ich nichts. Mein Focus liegt auf dem Verkehr. Und nach 35 Minuten habe ich mein Ziel in der Mosonstreet erreicht. Ich bin noch nicht runter, da grüßt bereits eine Stimme vom ersten Balkon. Philippe und Rosemary erwarten mich bereits. Egal wie nass ich bin. Sie nehmen mich mit einem fröhlichen Lachen auf. Als Erstes runter mit den nassen Klamotten. Trockene Kleidung aus den Packtaschen und erst einmal ab unter die warme Dusche.
Währenddessen hat Rosemary mein Fahrrad in den ersten Stock gewichtet und dort sicher verwahrt. Nasse umd schmutzige Kleidung wandern in die Waschmaschine . Und für mich geht es in die Küche, wo die Beiden bereits ein leckeres Dinner bereitet haben. Mir wird es während meines Aufenthaltes an nichts mangeln. Sie umsorgen mich. Geben mir das Gefühl, zuhause zu sein und helfen mir, Shop und Werkstatt zu finden, damit das Fahrrad (Gepäckträger) und auch eine Packtasche repariert werden können. Bei der Tasche war die obere Hakenschiene ausgerissen und durch die Löcher Wasser in die Packtasche eingedrungen. Nun muß aller Inhalt raus und getrocknet werden.
Beide sind Lehrer. Rosemary bereits im Ruhestand und Philippe hat auch nur noch ein paar Monate. Dann wird sein Berufsleben ebenfalls enden und sie werden sich neuen Ideen öffnen und gemeinsam auf Reisen gehen. Beide sind ausgesprochen kommunikativ und ausgesprochen gute Gesprächspartner. Und so haben wir uns in den kommenden Tagen viel zu erzählen.
Für heute allerdings ist Schluß. Es ist spät geworden. Und der Tag war anstrengend. Und so bin ich froh, endlich zu Bett zu gehen und einfach die Augen zu schließen. Ich fühle mich sicher, geborgen und angenommen von meiner Familie auf Zeit.
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