Jo's DreamA bike. A tent. A year.

Von Montreal nach Ottawa

Ich bin früh wach. Heute breche ich auf Richtung Ottawa, das ich spätestens morgen Abend erreichen will. Meine Gastgeber Rosemary und Philippe versorgen mich ein letztes Mal mit allem, was notwendig ist. Philippe hat Sandwiches bereitet. Sie werden am späten Nachmittag willkommene Energispender sein.

Beide haben mir den besten Weg aus Montreal zusammengestellt. Ihre Erläuterungen sind so gut, dass ich ohne anzuhalten und zu fragen die Stadt verlassen kann. Ihre Beschreibungen decken sich mit dem, was ich sehe. Ich brauche nicht einmal eine Karte. Auch dafür möchte ich mich bei euch von Herzen bedanken. Ihr wart großartig. Und nun ein Teil meiner Geschichte, die als Traum begann und noch lange nicht zuende ist.

Um 9 Uhr sitze ich auf dem Fahrrad. Ich fühle mich ausgeruht. Gleichmäßig und zügig rollt das Rad über den Asphalt. Ich fahre durch Laval und habe den Eindruck, durch eine wohlhabendere Gegend zu fahren. Anschließend verläuft der Radweg durch Wetland. Links und rechts immer wieder versumpftes Gelände. An vielen Stellen bedeckt Entengrütze die Wasserflächen. Auch bei diesem Stück des Weges könnte es sich um eine alte Bahntrasse handeln.

Gegen 12 Uhr erreiche ich die Fähre Oka – Hudson, die mich über den Lac des Deux Montagnes bringt. Nach einer kleinen Pause in Hudson ändere ich meine Entscheidung. Da ich gut in der Zeit bin, werde ich heute die Strecke nach Ottawa unter meine Reifen nehmen. Das Wetter meint es gut mit mir. Und auch der Weg gestaltet sich nicht schwierig – bisher.

Auf Aspalt und grobem Schotter geht es gut voran. Zwar führt mich Google Maps an einer Stelle auf eine Logroad. Aber ich merke es früh genug, fahre zur Straße zurück und kehre wenige Kilometer weiter westlich bei Eugene auf den Prescott-Russell-Recreational-Trail zurück. Es Ist eine alte Eisenbahntrasse, die meist durch Farmland verläuft und keinerlei Gefälle aufweist. Der Untergrund ist festgewalzter Gesteinsstaub. Nur an wenigen Stellen bereitet dieser Untergrund Schwierigkeiten.

Über weite Strecken riecht es nach Baldrian, der abgelöst wird vom gemeinen Pastinak. Dazwischen entdecke ich echte Seidenpflanzen und immer wieder leuchtet der gewöhnliche Sonnenhut. Das echte Seifenkraut breitet sich endlang des Weges über weite Strecken aus. Alles in ungeahnter Fülle. Ich bin begeistert.

Entlang des insgesamt 72 km langen Weges, von dem ich 67 km abgeradelt habe, gibt es mehrere Shelter, mit Picknicktischen und kleiner Toilette. Der Weg selbst befindet sich in einem hervorragenden Zustand.

Irgendwo führt der Weg über eine alte Eisenbahnbrücke, deren Fahrweg aus alten, teerölhaltigen Bahnschwellen besteht. Dieses Teeröl ist schon von weitem zu riechen und erinnert mich an Carbolineum. Mich wundert, dass man es in dieser Konzentration auf dem Wanderweg belässt.

Einziger Nachteil der Trasse: Entang des Weges gibt es keine Einkaufsmöglichkeiten. Und die Orte, durch die der Weg führt, fallen von der Trasse aus gesehen überhaupt nicht auf. Der Vorteil wiederum ist, das ich keine Zeit verplempere. Und so sind es am Ende ca. 165 km, die ich an diesem schönen Tag zurücklege. Ohne Hast, ohne Eile. Am Nachmittag steigen die Temperaturen auf 28 °C. Gegen Abend steigt auch wieder die Luftfeuchtigkeit.

Kurz vor 20 Uhr rufe ich Mike an und keine 15 Minuten später ist er da und pickt mich auf. Und schon wenige Minuten später erlebe ich einen herzlichen Empfang. France, seine Frau lädt mich ein, für die Dauer meines Aufenthaltes bei ihnen Teil Ihrer Familie zu sein. Ich werde zur Begrüßung umarmt, geherzt und Mike führt mich zu meinem Schlafzimmea

Für mich ist das immer wieder ungewöhnlich. Ich fremdel wieder. Nicht mit den Beiden, sondern mit der Situation. Und dann lasse ich los. Und tue das, was sie sich wünschen und mir empfehlen. Mich wohl- und zuhause zu fühlen. Und langsam gelingt es mir, das alles auch anzunehmen als das was es ist: ein wunderbares Geschenk.

Mike zeigt mir mein Zimmer. Schnell sind meine Sachen ins Haus gebracht und das Fahrrad in der Garage verstaut. Draußen dunkelt es bereits, während ich unter die Dusche husche. Die kurze Zeit, die ich auf Mike am Wegesrand gewartet habe, waren ein Hauen und Stechen. Diese Mücken sind wirklich eine Spaßbremse und Arme und Beine weisen etliche Stiche auf. Aber auch das mindert nicht meine große Freude, Gast in ihrem Haus zu sein.

Ich erfahre, dass Mike und France sich schon vor meinem Anruf mit dem Auto auf den Weg gemacht und nach mir geschaut haben. France lag richtig mit ihrer Annahme, dass ich über den Prescott Russel Recreational Trail Link fahren würde.

Anschließend unterhalten wir uns über das Reisen und tauschen Erfahrungen und Ziele aus, an denen wir uns ein paar Tage aufgehalten haben. Die nächsten Tage werden sich unsere Gespräche mit Sicherheit vertiefen. Ich freu mich drauf. Für heute jedoch ist es genug. Müde und glücklich ziehe ich mich in mein kleines Reich zurück und freue mich auf den kommenden Tag.

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