Jo's DreamA bike. A tent. A year.

Von Riviere du Loup nach Dègelis am Témiscouata Lake

Ich bin früh wach und freue mich auf den Tag. So packe ich meine Sachen und verstaue alles auf dem Rad. Mittlerweile geht das Packen leichter und ich weiß, was wo verstaut ist.

Maryse und Homer bereiten mir ein letztes Mal einen warmherzigen Abschied. Und kurz darauf bin ich schon auf der Straße. Es geht westwärts und nach wenigen Kilometern habe ich die Spitze der kleinen Landzunge mit dem Fähranleger nach Saint Simeon erreicht.

Die Fähre hat bereits abgelegt und der Anleger wirkt leer und verlassen. Einziger Lichtblick an diesem frühen Morgen ist ein bunter, übergroßer Kopf, der auf die ursprünglichen Bewohner dieser Landschaft hinweist.

So mache ich mich ohne weiteren Stopp auf den Weg zum Musee du Bas-Saint-Laurent. Hier beginnt meine heutige Etappe auf der Route Verte 8. zum Lake Témiscouata. Der Tag verspricht, gut zu werden. Es ist noch kühl. Die Sonne scheint bereits am Morgen zur Höchstform aufzulaufen.

Ein paar Straßenkehren weiter, verlasse ich die asphaltierte Straße und biege auf einen mit feinem Schotter und Rollsplitt befestigten Weg ab, den ich bis zum Ziel nicht wieder verlassen werde. Der Weg ist sehr gut ausgestattet, gut beschildert und führt mit nur wenigen, kaum merkbaren Steigungen durch die grandiose, leicht hügelige Landschaft.

An Straßenkreuzungen verhindern Absperrungen, dass Autos diesen Weg benutzen können. Überhaupt sind motorisierte Fahrzeuge auf diesem Weg nicht zugelassen. Und so genieße ich den heutigen Tag ganz besonders.

Autolärm von der mitunter nahe gelegenen, parallel zu meiner Route verlaufenden Interstate, dringt allenfalls gedämpft herüber. Nur selten kommen mir Radfahrer entgegen. Und noch seltener werde ich an diesem Tag überholt.

Lediglich das ununterbrochene Mahlen und Knirschen des Schotters unter meinen Reifen begleitet mich durch den ganzen Tag. Es ist ein mühsames Fahren, da der Rollwiderstand im mitunter weichen Rollsplitt erheblich ist.

Der Wald wird an vielen Stellen immer lichter. Dabei bestimmen vielerorts entlang des Weges Nadelwälder und Moore die Flora. Fichten, Kiefern und Tannen bilden teìĺs gemischte Bestände. Die Wuchshöhe beträgt vielerorts keine 15 Meter.

Zwischen den Wäldern liegen kleinere und größere, in grellem Grün leuchtende Sumpfgebiete. Von Bächen und kleinen Flussläufen durchzogen und eingebettet in den dunklen Nadelwald.

An vielen Stellen scheinen die Wasser keinen Abfluss zu haben. Hier setzt vom Ufer her offensichtlich die Verlandung ein.

Und mitunter sehe ich kleine abgestorbene Wälder. Wälder. In denen die Bäume mit Sicheheit nicht ihr Lebensalter erreicht haben.

So wechseln lichte und dichte, hohe und niedrige Waldbestände immer wieder einander ab.

Und auch der Wegesrand hat einiges zu bieten. Mehrere Male halte ich an, um die leckeren Walderdbeeren zu pflücken. Ein mühsames und gleichzeitig leckeres Unterfangen.

Es blüht entlang des Weges: Schmalblättriges Weidenröschen, Orangerotes und Gelbes Habichtskraut, Wiesenmargerite, Vogelwicke, Taubenkropf-Leimkraut, Malven, Schmalblättrige Lorbeerrose, Gemeiner Hornklee, Zerbrechlicher Blasenfarn, Philadelphia-Feinstrahl, Weißes Labkraut, Rosen-Malven, um nur die auffallendsten Blüher zu benennen.

Das rotfrüchtige Christophskraut trägt bereits Früchte. Rote Johannisbeeren reifen am Wegesrand. Und auch der kanadische Holunder steht wenige Wochen vor der Fruchtreife. Die Walderdbeeren sind ein Genuss – der Tisch ist reich gedeckt. Man muss sich nur bücken.

Und an vielen Stellen säumen dichte Bestände des Weißen Labkrauts den Weg.

Reifenpannen häufen sich. In Montreal muss ich einen neuen Mantel für das Hinterrad kaufen. Ich hoffe, das der Mantel bis dahin durchhält.

Ein gebrochener Biberdamm hat das aufgestaute Wasser ablaufen lassen. Nun liegt die Biberburg auf dem Trockenen. Und auch auf dem heutigen Weg finde ich Trittsiegel der Elche. Nur gesehen hab ich bisher keine.

Nur ganz selten reicht das Farmland bis an den Radwanderweg heran. Meistens dominiert der Wald, das Moor, der Sumpf.

Von den alten Zeiten, als Lokomotiven lange aus Güterwaggons gebildete Schlangen durch die Wälder zogen, ist kaum etwas geblieben. Ein paar Namen und diesen ehemaligen Bahnhof konnte ich entdecken. Das war’s. Wie sich die Zeiten ändern …

In Cabano kann ich das erste Mal einen Blick auf den Témiscouata Lake werfen. Und für die nächsten Spätnachmittagsstunden radle ich gemächlich am Westufer des Sees entlang und genieße die Aussichten auf den See.

Entlang des Ufers Reihen sich Haus an Haus, so dass ich kaum die Möglichkeit habe, dort hinunter zu gelangen, ohne Privatgrund zu betreten. Und so bleibe ich meistens auf dem Bahndamm, der im Abstand von 20 m entlang des Westufers verläuft und genieße die Stunden.

Das Ostufer ist weit weniger zersiedelt. Hier liegt auch der Parc National du Lac Témiscouata.

Mein Schatten wird langsam länger. Zeit, mich nach einen Quartier umzuschauen.

Und ich habe Glück. Kurz vor dem südlichen Ende des Sees spreche ich einen jungen Mann an und stelle mich vor. Er heißt Jerome Beaulieu. Nach kurzem Überlegen willigt er ein und bietet mir ein kleines, verstecktes Eckchen auf seinem Grundstück an, wo ich mein Zelt aufschlagen darf. Noch während ich am Aufbauen bin , kommt Jerome herbeigeeilt und bittet mich, schnell zu kommen. Ich folge ihm. Unsere Blicke nach oben in die Baumkronen gerichtet. Und dann entdecke ich, was Geraume so elektrisiert.

Einen Weißkopffischadler. Fasziniert schaue ich hinauf ins Geäst. Mich erstaunt, dass dieses Tier in vielleicht 20 Metern Entfernung ganz ruhig auf dem Ast hockt, seinen Blick auf den See richtet und offensichtlich nach Beute Ausschau hält. Wohl 20 Minuten hockt der Vogel hoch oben im Baum, bevor er seine Schwingen ausbreitet und sich vom Ast in einer leichten Abwärtsbewegung in seine weitgeöffneten Schwingen fallen lässt. Lautlos gleitet er über unsere Köpfe hinweg, hinaus auf den See. Unsere Blicke folgen ihn. Und weit draußen schlägt er zu. Krallt sich seine Beute, einen unachtsamen Fisch und fliegt mit ihm dem Ostufer entgegen, wo er vermutlich ein Nest hat. Jerome erzählt, dass der Vogel seit ein paar Tagen früh am Morgen und am Abend zu seinem Grundstück kommt und in diesem hohen Nadelbaum rastet.

Den Rest das Abends verbringen wir gemeinsam am Lagerfeuer bei angenehmer Unterhaltung. Jerome wohnt und arbeitet in der Stadt. Aber nur hier am See fühlt er sich richtig zuhause. Ich kann ihn gut verstehen. Um 22.00 Uhr ist der Tag zu Ende. Müde und glücklich gehe ich in mein Zelt und schlafe gleich darauf ein.

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