Jo's DreamA bike. A tent. A year.

Visa Run in San Diego, California

21. November 2024

Die Nacht war relativ ruhig. Ich war zuerst skeptisch. Aber meine Müdigkeit und auch Erschöpfung war doch so groß, dass ich durchschlafen konnte.

In der Leiste habe ich ein ziehendes Gefühl. Und so mache ich mich zuerst auf zu einer Ambulanz. Dort bitte ich um ein kurzes Gespräch mit einem Arzt, um anschließend erst einmal alle Formalitäten zu klären.

Schon gestern hatte Biggi alles mit meiner Langzeitreisekrankenversicherung bei der ADAC abgeklärt und das genaue Procedere besprochen.

Klar war aber auch, dass wir in Vorleistung gehen und allein die Untersuchungen wie Sonographie, Röntgen und CT, um die genaue Lage und Größe der Hernie abzuklären, 10.000 Dollar kosten kann. Von der OP nicht zu reden. Und nach der OP darf ich mich mindestens 1 Monat nicht belasten.

Schnell waren wir uns einig, dass ich – wenn der Arzt mir die Flugtauglichkeit bestätigt – nach Deutschland zurückkomme.

Ich erzähle dem Arzt also von meiner Reise. Er zeigt sich sehr interessiert und führt mich in ein Gesprächszimmer. Fast eine Stunde nimmt er sich Zeit für meine Tour, fragt begeistert nach, bevor ich auf den eigentlichen Grund meines Besuches zu sprechen komme.

Dann fordert er mich auf, sich die Leiste anschauen zu dürfen. Ich bitte ihn, damit zu warten, bis ich alle Formalitäten mit meiner Krankenkasse geklärt habe. Ich befürchte einfach, durch einen Formfehler meinerseits auf hohen Kosten sitzen zu bleiben. Worauf der Arzt mir sagt, dass er die Untersuchung nicht in Rechnung stellen wird.

Am Ende bekomme ich dann die „Quittung“: Ich soll mit dem Radfahren stoppen und den Bruch möglichst schnell operieren lassen. Entweder in den USA oder in Deutschland. Er bescheinigt mir also die Flugfähigkeit und gibt mir noch ein paar Verhaltensregeln mit auf den Weg. Dann wünscht er mir alles Gute und begleitet mich noch zum Ausgang. Das war’s.

Da in wenigen Tagen meine Aufenthaltserlaubnis abläuft und ich nicht weiß, wie schnell es jetzt mit einem Rückflug klappt, entscheide ich mich, zur Grenze zu fahren, um eine Verlängerung meines Aufenthalts genehmigt zu bekommen.

Dafür steige ich noch einmal aufs Fahrrad. Ohne Gepäcktaschen fährt es sich viel leichter. Und bis auf einen kleinen Hügel kurz vor der Grenze ist es weitestgehend flach und somit wenig belastend.

Bis zur Grenze sind es circa 14 Meilen. Mein Gastgeber hat mir eine Fahrradkarte gegeben, die mir in dieser Großstadt gute Hilfe leistet. Allerdings hatte ich geglaubt, dass der Weg entlang der San Diego Bay idyllisch sei und unter Palmen und an Sandstränden entlangführt.

Stattdessen geht es entlang der Küste, auf ausgewiesenem Radweg durch den Industriegürtel der Stadt. Trotz des starken Verkehrs fühle ich mich auf den Radwegen dieser Stadt sicher. Unsicherheit kommt nur an den Stellen auf, an denen die Wegführung nicht eindeutig ist.

Da die Straßenführung in Amerika sehr stark von Stoppschildern geprägt ist, dauert es entsprechend lange, durch die Stadt zu kommen. In der Regel wechseln die Stoppschilder aufeinanderfolgender Kreuzungen: Ich stoppe an einer Straßenkreuzung. An der nächsten Kreuzung habe ich Vorfahrt. An der darauf Folgenden muss ich dann wieder vor dem Stoppschild anhalten.

So geht das über Meilen. Schwierig sind für mich nur mehrspurige Straßen, wo ich nach links abbiegen muss. Hier entscheide ich von Fall zu Fall, wie ich mich im Kreuzungsbereich verhalte.

Bei wenig Verkehr wechsle ich direkt und gefahrlos in die Linksabbiegerspur. Bei regem und starkem Verkehr überquere ich die Fahrbahn im Geradeausverkehr, steige dann vom Fahrrad und ordne mich auf dem Fahrradweg in die gewünschte Fahrtrichtung ein.

Dort, wo Markierungen für abbiegende Radfahrer auf die Fahrbahn aufgetragen sind, ist es für mich leicht und ungefährlich, die Kreuzung zu queren.

Nach 3 Stunden erreiche ich den Grenzübergang. Ich verlasse die USA nicht. Es erscheint mir zu heikel. Ich hab ja kein Gepäck dabei. Und sollte mir wider Erwarten die Einreise verwehrt werden, stünde ich da …

So suche ich ein großes Verwaltungsgebäude an der Grenze auf und versuche mein Glück. Vor dem Eingang des Gebäudes stehen zwei mit Schutzkleidung ausgestattete, bewaffnete Polizisten. Ich wende mich an sie mit meinem Anliegen.

Daraufhin bitten sie mich, vor dem Eingang des Gebäudes auf einen Mann in blauer Dienstjacke zu warten. Das Gebäude selber darf ich von dieser Seite aus nicht betreten. So trete ich zurück, um zu warten und mein Fahrrad an einem Lichtmast anzuschließen.

Sogleich pfeift mich einer der beiden Polizisten an, dass das verboten sei. Schließlich befinde ich mich auf staatlichem Privatgrund. Ein Fahrradständer ist nicht in der Nähe. Und so bleibe ich die ganze Zeit neben meinem Fahrrad und warte in Sichtweite des Eingangs auf meinen Ansprechpartner.

Nach mehr als einer Stunde des Wartens kommt einer der Polizisten zu mir herüber und fragt, warum ich immer noch da stehe. Bisher ist kein Mitarbeiter in blauer Dienstjacke bei mir gewesen. Darauf deutet der Polizist an, sich persönlich um meine Angelegenheit kümmern zu wollen und verschwindet in dem Gebäude.

Minuten später ist er wieder zurück und teilt mir mit, dass ich am falschen Ort und bei der falschen Behörde sei. Die für mich zuständige Behörde, die USCIS hat ihren Sitz in San Diego. Sie ist keine 2 Kilometer von meinen Gastgebern entfernt. Ich hätte mir den Weg also sparen können. OK.

Wenn ich schon einmal an der Grenze bin, so kann ich auf meinem Rückweg auch zum südwestlichten Punkt der USA fahren. Dort soll der von Trump so favoritisierte, hohe, mit Stacheldraht bewehrte Grenzwall in voller Größe bis an den Pazifik reichen. Ich erreiche diesen Ort jedoch nicht.

Am Eingang zum Border Field State Park ist Schluss. Mein Gastgeber hatte mir den Besuch dieses Ortes empfohlen. So bleibt mir nur der Verweis auf das Internet. Und ich überlege, warum alle Wege, die westlich des Grenzüberganges auf amerikanischem Gebiet liegen, gesperrt sind.

Während meiner kurzen Anwesenheit am Parkeeingang passieren mich mehrere Polizei- und Border Control Fahrzeuge und verschwinden auf staubiger Piste hinter der nächsten Kurve.

Da noch genügend Zeit für einen Besuch bei dem USCIS (US Citizenship and Immigration Service) ist, mache ich mich auf den Heimweg.

Diesmal nehme ich den Weg entlang der Route 75, die parallel zum Silver Strand Beach Park westlich der San Diego Bay auf schmalem Sandstreifen verläuft.

Auch hier fahre ich die ersten Meilen entlang eines hohen Walls, auf dessen Krone sich gleichfalls über Kilometer ein stacheldrahtbewehrter Zaun hinzieht, der den Silver Strand Trainings Complex als militärische Einrichtung vor neugierigen Blicken schützt.

Der Radweg führt den Highway entlang. Leider verhindert dieser Highway über die gesamte Strecke entlang des Silver Strand Beach Parks die Sicht auf den Pazifik.

Trotzdem ist dieser Radweg etwas abseits ein Genuss. Breit, gut ausgebaut und ohne Schockwellen im Asphalt. Und man wird belohnt mit einer freien Sicht auf die an manchen Stellen 4 km breite San Diego Bay.

Gegen 14.45 Uhr erreiche ich Coronado Island. Der Ort Coronado liegt auf einer Halbinsel, die über die Coronado Bridge mit der California State Route 75 zu erreichen ist.

Da es verboten ist, mit dem Fahrrad über diese Brücke zu fahren, muss ich die Fähre nehmen. Der Radweg führt an der Bayseite am Ort Coronado vorbei.

Hier steht das Hotel del Coronado, ein berühmtes altes Luxushotel. Es ist eines der wenigen erhalten gebliebenen Exemplare eines hölzernen victorianischen Strandhotels. Es ist das älteste und sogleich größte Holzgebäude in Kalifornien.

Leider waren wichtige Teile eingerüstet, und so verzichte ich auf ein Foto. Abgebildet seht ihr nur das Bluewater Boathouse in der Glorietta Bay, in dem heute ein Seafood Grill untergebracht ist. Es ist das ehemalige Bootshaus des Hotel del Coronado und wurde 1888 erbaut.

Auf dem Weg zum Fähranleger habe ich immer wieder freien Blick auf die elegante Coronado Bridge, die den Ort mit dem Festland verbindet.

Mit leichtem Schwung führt dieses Brückenbauwerk in großem Bogen über die Bay nach San Diego.

Kleine Badestrände entlang meiner Route laden zu Verweilen ein und bieten gleichfalls einen schönen Blick auf die Skyline San Diegos.

Hier und da entlang des Rad- und Wanderweges wurden moderne Skulpturen aufgestellt. Einige davon witzig, andere durchaus interessant wie dieses aus Metallbändern geformte Antlitz.

Um kurz vor 15 Uhr erreiche ich die Fähre, die mich wieder zurückbringt aufs Festland. Für die Nutzung zahle ich 9 Dollar. Dann geht es zum USCIS, wo ich zwanzig Minuten später eintreffe. Nach einigem Suchen finde ich den verschlossenen Eingang zu dieser Behörde.

Die hat nur bis fünfzehn Uhr geöffnet. Außerdem bedarf es einer Online-Anmeldung, ohne die einem kein Einlass gewährt wird.

Ich bin genervt. Fast nichts habe ich heute erreicht. Lediglich der Aztbesuch war „erfolgreich“. Enttäuscht über die Ergebnisse des Tages fahre ich zurück zum Fähranleger. Von dort schlendere ich auf der Promenade die Hafenanlagen entlang.

Die Skyline San Diegos ist noch nicht so zugebaut mir Wolkenkratzen wie die Skyline New Yorks, Hong Kongs oder anderer Großstädte.

Deshalb bietet sie immer wieder interessante Einblicke.

Ein ganz besonderes Highlight ist das Rady Shell im Jacobs Park. Diese Open Air Konzerthalle wird vom San Diego Symphony Orchestra betrieben. Das Orchester führt hier im Sommer Symphoniekonzerte auf.

Daneben wird die Anlage für weitere Konzerte auch der Popmusik genutzt. Zu den in den letzten Jahren aufgetretenen Musikern gehören unter anderem Sting, Boyz II Men, Leon Bridges, Stewart Copeland, Sheryl Crow, Norah Jones, Gladys Knight, Ledisi, Smokey Robinson, Olivia Rodrigo, Ben Platt, Charlie Puth, Lea Salonga und Brian Wilson.

Ein beeindruckendes, für die Öffentlichkeit an konzertfreien Tagen frei zugängliches Gelände. Und die Konzerte selbst müssen großartig sein …

Langsam neigt sich der Tag seinem Ende zu. Gegen 17.00 Uhr wird es dunkel. So mache ich mich auf den Weg zu meinen Gastgebern.

Die einzige Angelegenheit, die ich heute noch erledigen muss, ist die Online-Anmeldung meines Besuchs bei der USCIS. Nach über 4 Stunden Beschäftigung mit dieser Anmeldung, die einen Antrag meines Aufenthaltes auf Verlängerung beinhaltet und kostenpflichtig ist, habe ich es endlich geschafft. Zwar hab ich noch keine Bestätigung. Aber ich laufe nicht Gefahr, illegal in den USA zu sein.

Natürlich habe ich tagsüber Kontakt mit meiner Frau gehalten, um Lösungen für die aktuelle Situation zu finden. Während ich also meinen Antrag abgeschickt habe, war Biggi nicht untätig und hat ihrerseits alle Hebel in Bewegung gesetzt, um einen Rückflug für mich zu organisieren.

Sie konnte für mich in dieser Kürze einen Rückflug für den 25. November buchen. Und zwar direkt von San Diego aus. 2 Tage vor Ablauf meiner Aufenthaltserlaubnis. Ich hätte also die Verlängerung des Visums gar nicht gebraucht.

So, das war kein Tag nach meinem Geschmack. Jetzt gilt es, die verbleibende Zeit sinnvoll zu planen und die Rückreise zu organisieren.

Ich muss eine Box für das Fahrrad organisieren und, und, und …

Aber das mache ich heute nicht mehr. Es wird Zeit, mich hinzulegen. Das entlastet den Bruch. So danke ich vor allem meinen Gastgebern, die mir ohne zu Zögern die Möglichkeit bieten, bis zur Abreise bei Ihnen zu wohnen.

Der Abschied tut natürlich weh. Ich hätte mir noch ein halbes Jahr gewünscht. Aber die Gesundheit geht vor. Die verbleibende Zeit werde ich nutzen, um San Diego noch besser kennen zu lernen – und zwar zu Fuß …

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