Jo's DreamA bike. A tent. A year.

Ein Tag in Los Angeles

17. November 2024

Heute ist Sonntag. Gegen 8.30 Uhr mache ich mich mit Gil auf den Weg zu seiner Kirchengemeinde. Dort treffen wir seine Frau Marin, Sohn Charlie und Tochter Cici. Gemeinsam besuchen wir den Gottesdienst.

Der heutige Gottesdienst besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen. In der ersten Stunde wird gemeinsam gesungen und die Kinder der Gemeindemitglieder beteiligen sich aktiv am Gottesdienst.

In Gruppen von 5-6 Kindern treten sie ans Rednerpult. Jedes Kind richtet dort einen kleinen christlichen Spruch an die Gemeinde. Dabei werden sie von den älteren Kindern unterstützt. Haben alle Kinder der Gruppe ihren Spruch aufgesagt, begeben sie sich wieder zurück auf ihre Plätze, und alle Kinder singen gemeinsam ein Kirchenlied.

Dann wird die nächste Gruppe nach vorne ans Rednerpult gebeten und der Reigen beginnt von Neuem. Herzallerliebst. So vergeht die erste Stunde.

In der zweiten Stunde findet der Gottesdienst nicht in der Kirche sondern in einer Art Seminarraum statt. Unter der Leitung eines Gemeindemitglieds werden kleine Sequenzen aus der Bibel betrachtet. Dabei wird vor allem Augenmerk darauf gelegt, wie die Gemeindemitglieder diesen Bibeltext im Alltag anwenden und interpretieren können.

Die Beteiligung ist rege. Und die erwähnten Beispiele der Anwendbarkeit der Bibelzitate auf das tägliche Leben sind zahlreich. Aufmerksam hören alle einander zu. Keine hitzigen Debatten. Mehr Anerkennung und ganz viel Wohlwollen.

Ich habe den Eindruck, dass alle Anwesenden die heute bearbeiteten Bibelverse auswendig kennen. Dem „Referenten“ ist nicht entgangen, dass mit mir ein Gast anwesend ist. Ich werde freundlich begrüßt und ich erhalte für meine Fahrradtour viele lobende und anerkennende Worte.

Da der Referent selber Rennrad fährt, kommen wir nach dem Gottesdienst noch einmal kurz zusammen, um uns gedanklich auszutauschen. Und ich hatte in dieser Zeit Gelegenheit, mein Zwiegespräch zu führen und zu danken …

Wieder daheim gibt es erst einmal Frühstück. Es bleibt noch ein wenig Zeit, sich auszruhen, bevor wir um 13.00 Uhr nach Los Angeles aufbrechen. Die Fahrt dauert knapp eine Stunde. Unter der Woche würden wir für dieselbe Strecke das Zweieinhalbfache brauchen.

Da ich keinen Stadtplan vor Augen habe, weiß ich nicht genau, wo wir sind. Auf mehrspurigen Straßen fahren wir durch dicht bebaute Stadtteile, die nicht enden wollen. Dabei legen wir eine Strecke von 45 Meilen zurück.

Dann erreichen wir unser erstes Ziel: La Brea Tar Pits und das dazugehörige Museum. La Brea Tar Pits ist eine aktive, paläontologische Forschungsstätte im Hancock Park in Los Angeles.

Es war schon lange mein Wunsch, hierher zu kommen und ich dachte nicht, dass dieser Wunsch erfüllt wird. Mit meiner großen Begeisterung für Geologie und Paläontologie ist dies für mich von großem Interesse.

Der Park entstand um eine Gruppe von Teergruben herum, wo natürlicher Asphalt (spanisch: „brea“) über Zehntausende von Jahren aus dem Boden sickerte. Über diese Zeit hinweg wurden die Knochen „gefangener“ Tiere konserviert.

Das gleich daneben errichtete George C. Page Museum widmet sich der Erforschung der Teergruben und stellt unter anderem Exemplare der Tiere aus, die dort starben.

Zuerst besichtige ich den Lake Pit. Es ist die größte Teergrube. Unscheinbar liegt sie vor mir. Eingezäunt, um Schlimmeres zu verhindern. Der zähflüssige Asphalt ist von einer dünnen Wasserschicht überlagert. Das gibt dem See den Anschein, dass es sich um einen natürlichen Wasserteich handelt.

Das Besondere sind die ständig dem Teichboden entsteigenden und an die Oberfläche des Sees drängenden Gasblasen. Aus Rissen im Boden dringt nach und nach Erdöl aus natürlichen Lagerstätten an die Erdoberfläche, wo die flüchtigen Bestandteile verdampfen und eine klebrige, zähflüssige, schwarze, an Teigmasse erinnernde Substanz zurückbleibt.

Das Alter der Teergruben reicht bis zu 40.000 Jahre zurück. In all dieser Zeit hat es immer wieder Unfälle gegeben, bei denen sich die Tiere nicht mehr aus der klebrigen Masse befreien konnten und versanken.

Heute sind diese Gruben einmalige Fossillagerstätten. Und seit der systematischen Erforschung sind bis zum heutigen Tag etliche Millionen Knochen, Fragmente und Zähne von Tieren geborgen geworden, denen die Teergruben zum Verhängnis wurden.

Auf dem Gelände gibt es neben der größten Teergrube, dem Lake Pit, noch mehrere kleinere Gruben. Zeitkapsels des Lebens einer untergegangenen Tier- und Pflanzenwelt.

Von den Teergruben ist es ein Katzensprung ins Museum, das mit einer kleinen, aber großartigen Sammlung das Tier- und Pflanzenleben an den Teergruben der vergangenen 40.000 Jahre beleuchtet.

Außerdem hat man die Möglichkeit, den Wissenschaftlern bei der Reinigung und Präparation zuzuschauen. Ein eindrucksvolles Beispiel, Laien für die Wissenschaft zu interessieren und beide zusammenzubringen.

Die exzellent präparierten, ausgestellten Exponate sind beeindruckend. Da insgesamt nur wenige Exponate ausgestellt sind, bleibt viel mehr Zeit, die einzelnen Objekte zu betrachten und dazu gebotene Informationen zu verarbeiten. So hat diese Ausstellung einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen.

Die Exponate wie Mammuts, Säbelzahnkatzen, Wölfe, riesige Faultiere und mehr, stellen einen breiten Querschnitt der Lebenswelt dar, die während der vergangenen Eiszeit L. A. durchstreiften.

Man kann sehen, woran Wissenschaftler im Fossil Lab arbeiten, von der Sortierung von Mikrofossilien bis zur Reinigung von Mammutstoßzähnen. Man kann mit den Wissenschaftlern, mit Museumspädagogen und Freiwilligen über die jüngsten Funde sprechen und Geschichte erleben, die die Vergangenheit zum Leben erweckt.

Hier ein kleiner Einblick in die Sammlung:

Die größte Teergrube ist ca. 40 x 18 m² groß. Ständig aufsteigende Gase setzen die Oberfläche des Sees in Schwingungen, welche in konzentrischen Ringen auseinander laufen. Sie zeugen von der Aktivität im Untergrund.

Ständig ist die Oberfläche in Bewegung. Dabei verteilen sie die Gasblasen über den ganzen See.

Wenn die Gasblasen an die Oberfläche des Sees gelangen, bilden sich wegen der zähen Viskosität vor dem Zerplatzen große, halbrunde Gasblasen.

Mit einer lebensgroßen Tiergruppe wird verdeutlicht, wie die kleinen und großen Tiere in den Sumpf gelangten und sich dann aus der zähen Masse nicht mehr befreien konnten.

Harlan’s Riesenfaultier

Bison

Mithilfe eines Hologramms wir ein Säbelzahntiger dargestellt. Dabei wechselt die Darstellung vom erhaltenen, sichtbaren Skelett zum vermutlichen Aussehen des Tieres in seinem Fellkleid.

An ausgewählten Schädeln wird der Zahnwechsel beim Säbelzahntiger dargestellt.

Einen besonderen Blickfang stellt dieses ausgewachsene Mammutskelett dar. Seine Größe ist wirklich beeindruckend.

In dieser Vitrine sind 404 Schädel des Dire-Wolfs ausgestellt, die in den Teergruben von Rancho La Brea in Los Angeles gefunden wurden. Wie konnten so viele Wölfe in den Teergruben versinken? Folgten sie lediglich ihrem Instinkt und erkannten die Gefahren nicht, die für sie von den Teergruben ausging?

Diese Schädel von Dire-Wölfen stellen nur einen Teil der über 1.600 Wölfe dar, deren Überreste hier gefunden wurden. Man geht davon aus, dass Rudel von Dire-Wölfen versuchten, sich von im Asphalt gefangenen Tieren zu ernähren und dabei selbst im Sumpf blieben.

Man kann sehen, dass sie weder in Größe noch in Form alle genau gleich sind. Die Erforschung dieser kleinen Unterschiede wird sicherlich Informationen über die Evolution und Populationsstruktur der Wölfe liefern.

Vor kurzem wurde ein Amerikanischer Löwe (Panthera atrox) in einer der Teergruben gefunden. Wissenschaftler nutzen verschiedene Methoden, um herauszufinden, wie ausgestorbene Tiere ausgesehen haben könnten.

Fossilienvergleiche zeigen, dass ausgestorbene amerikanische Löwen modernen Löwen ähnelten, und genetische Untersuchungen beweisen, dass sie eng verwandt sind. Kürzlich untersuchten Forscher auch ein Skelett eines amerikanischen Löwen, das in den La Brea Tar Pits gefunden wurde, mithilfe der CT-Scan-Technologie. So konnten sie berechnen, dass die Körpermasse des Tieres bis zu 900 Pfund betragen konnte.

Durch Glasscheiben kann man den Forschern bei ihrer Arbeit zuschauen. Im Vordergrund der Unterkiefer eines Mammuts.

Natürlich wurden auch Knochen des Grizzlybären in den Teergruben gefunden. Im Bild ist das rekonstruierte Tier in Lebensgröße dargestellt.

In einer Vitrine wird in einem Blockdiagramm dargestellt, wieviele Knochen sich im Laufe von Jahrtausenden am Grunde der Teergruben angesammelt haben.

Aufsteigendes Gas hat die nach der Verwesung voneinander losgelösten Knochen immer wieder „durcheinander gewirbelt“, so dass das Zusammensetzen der vom klebrigen Teer befreiten Knochenfragmente einer Sisyphusarbeit gleicht.

Nach dem Besuch der La Brea Tar Pit und des angegliederten Museums wechseln wir ein paar Meter weiter in das Academy Museum of Motion Picturs.

Auf dem Weg dorthin komme ich an dem Los Angeles County Museum of Art vorbei. Dabei fällt mir die eindrucksvolle Fassade des Petersen Automotive Museums auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf …

Und vor dem LA County Museum of Modern Art leuchtet die Lichtinstallation ‚Urban Art‘ und zieht zahlreiche Besucher an.

All diese Museen liegen in Reichweite von 5 bis 10 Minuten zueinander. Jedes Museum wäre einen Besuch wert. Ich habe mich jedoch für das Academy Museum of Motion Pictures entschieden, das erst einmal mit einem nüchtern wirkenden Eingangsbereich aufwartet.

Von allen Wänden flimmern Filmszenen aus berühmten Filmen und erzählen ihre Geschichte.

In den Räumen sind viele Exponate ausgestellt, die in mir meist unbekannten Filmen eine Rolle spielten.

In bemerkenswerten Filmen oder auf der Bühne von berühmten Personen getragene Kleidungsstücke – der rote Anzug ist ein Original aus dem Kleiderschrank Elvis Presleys.

Filmpakate sind ebenso vertreten …

… wie unzählige Oskars mit ihren Widmungen.

Und natürlich darf die Atrappe aus dem Film ‚Der weiße Hai‘ nicht fehlen.

Jedes dieser Exponate wird dem interessierten Besucher erklärt.

Das Besondere: Hier kann man den ganzen Tag kostenlos Filmausschnitte anschauen. Zwar zahlt man für den Besuch Eintritt. Dafür bekommt man anschließend in dem Museum aber auch einiges geboten.

Selbst ein rotes Paar Schuhe haben ihren Weg in dieses Museum gefunden und werden effektvoll zur Schau gestellt.

Das „Toy Story 3D Zoetrope“. Um Figuren tanzen, rennen oder reiten zu lassen, bauen Animatoren die Action Bild für Bild auf. Einzelne Bilder, jedes leicht anders als das letzte, werden in schneller Folge gezeigt, um die Illusion von Bewegung zu erzeugen.

Dies ist die Grundlage fast jeder Art von Animation, einschließlich einer ihrer frühen Formen: dem Zoetrop, einem optischen Spielzeug aus dem 19. Jahrhundert.

Wenn man durch vertikale Schlitze an der Seite eines rotierenden Zylinders schaut, erwacht eine Folge statischer Bilder auf magische Weise zum Leben. Dieser Effekt ist teilweise darauf zurückzuführen, dass unsere Augen und unser Gehirn Bilder noch für den Bruchteil einer Sekunde „sehen“, nachdem sie aus dem Blickfeld verschwunden sind. Wenn Bilder einander mit der richtigen Geschwindigkeit ersetzen, wie es beim Blick durch ein Zoetrop der Fall ist, können sie wie ein einziges bewegtes Bild erscheinen.

Pixar Animation Studios hat das hier gezeigte 3D-Zoetrop geschaffen, um den Durchbruch von Toy Story (USA, 1995) zu feiern, dem ersten vollständig computeranimierten Spielfilm.

Anstelle eines Papierstreifens mit Bildern verwendet das Toy Story Zoetrop 3D-gedruckte Charakterskulpturen in einer Reihe von Posen. Während sich die Basis dreht, erzeugt ein Stroboskoplicht das für die Illusion der Bewegung erforderliche Flackern. Ohne diese Sekundenbruchteile, in denen das Bild verschwindet, würden wir nur einen bunten Fleck sehen.

Im Kern ist „Toy Story“ ein klassisches Animationswerk, das eine schnelle Abfolge von Standbildern präsentiert, die wie eine kontinuierliche Bewegung erscheinen. Von Daumenkinos bis zu Stop-Motion-Filmen täuscht Animation das Auge, und „Toy Story“ tat dies, indem es eine traditionelle Form des Filmemachens mit der damals neuesten Technologie kombinierte.

Mitte der 2000er Jahre baute die Pixar-Crew ein riesiges Zoetrop mit beliebten Figuren aus dem Film Toy Story. Sie begannen damit, 214 Toy Story-Modelle, jede in einer Abfolge von Posen, auf einem Drehtisch zu montieren.

Wenn sich der Tisch dreht und Stroboskoplichter aufblitzen, erwachen die Figuren zum Leben: Woody und sein Pferd bocken in die eine Richtung, Buzz rollt auf einem Pixar-Ball in die andere, Jesse, das Cowgirl aus Toy Story 2, tanzt in einem Lasso, Soldaten springen mit dem Fallschirm vom Himmel, während dreiäugige Aliens winken und spielen. Der kumulative Effekt ist magisch.

Mit dem Zoetrope endet mein Besuch in dem Museum. Während des anschließenden Besuchs eines Restaurants füllen wir unsere Mägen. Mein Burger ist ein Genuss. Und auf dem Heimweg macht mich Gil noch auf die eine oder andere Besonderheit aufmerksam, die aus dem Dunkel aufleuchtet.

Massenhaft Filmwerbungen für ein und denselben Film. Nicht, um die Besucher in den Film zu bekommen, sondern um den Filmakteuren zu zeigen, dass man etwas für sie tut.

Schließlich sind wir in Hollywood. Gegen 20.30 Uhr sind wir nach einem wunderschönen, erlebnisreichen Tag wieder daheim. Zum Abendessen gibt es Sushi. So mit allem verwöhnt zu werden, macht mich sprachlos. Ganz verlegen danke ich Gil und seiner Familie für diese Gastfreundschaft.

Zum Tagesausklang geht es noch einmal in den heißen Whirlpool. Mein Rücken fühlt sich anschließend, als ich mich ins Bett lege, viel entspannter an. Was für ein wunderschöner Tag. Was für ein großes Geschenk von Gil und seiner Familie. Ein unvergessliches Erlebnis und eine bleibende Erinnerung an L.A.

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