Jo's DreamA bike. A tent. A year.

Erholsame Tage in Goleta, Santa Barbara

Regenbrachvogel (Whimbrel)

2. – 7. November 2024

Am 2. November hilft mir Mark, das ausgebaute Hinterrad in die Fahrradwerkstatt zu bringen. Dort geht man für die Reparatur von insgesamt 5-6 Tagen aus. Man wird mich telefonisch kontaktieren, sobald das Hinterrad repariert ist. Das ist die wichtigste und gleichzeitig einzige Aufgabe, die ich im Augenblick zu erledigen habe.

Vielleicht noch wichtiger ist es, Ruhe in meinen Rücken zu bringen. Und so verlasse ich bis zum 7. November nicht das Haus, sondern ruhe mich aus. Während dieser Tage gibt es viele Gelegenheiten, mit meinen Gastgebern zu kommunizieren. Und da der 5. November, der Wahltag, unmittelbar vor der Tür steht, gibt es reichhaltig Gesprächsstoff.

Ich hatte Mark gefragt, wie er die Situation am 5. November einschätzen würde für den Fall, dass die Republikaner verlieren und ich mit dem Fahrrad auf der Straße unterwegs sein würde.

Seine ehrliche Antwort war die Empfehlung, am 5. November und den darauf folgenden Tagen die großen Städte entlang der Pazifikküste zu meiden, weil möglicherweise Unruhen zu erwarten seien. Vor diesem Hintergrund ist es für mich außerordentlich beruhigend, dass ich hier bei Irma und Mark ein sicheres Zuhause gefunden habe.

Die nächsten Tage und besonders der 5. November werden zeigen, wohin die Reise geht. Inzwischen habe ich die großartige Gelegenheit, ein bisschen in die amerikanische Denkweise einzutauchen, die zu dieser aktuell schwierigen politischen Situation vor der Wahl geführt hat.

In meinem Gastgeber Mark habe ich einen hervorragenden Gesprächspartner gefunden, der mir zum einen das amerikanische Parteien- und Wahlsystem erklärt und der mir zum anderen großartig hilft, nicht nur dieses System zu verstehen, sondern auch das Denken, was dem zugrunde liegt, bis hin zu den Gedanken und Beweggründen der Menschen vor dieser Wahl.

So lässt sich ansatzweise verstehen, warum Menschen in den USA mit der bisherigen Politik so unzufrieden sind und ihrem Ausdruck nach einem starken Führer so viel Gewicht verleihen.

Da ich meine politische Wurzeln in der deutschen Demokratie habe, bleibt mir vieles unverständlich. Manches aber schält sich klar heraus.

Ich freue mich unglaublich, dass ich mit meinem Gastgeber diese Gespräche führen kann. Für mich geht es dabei im Wesentlichen um das Verstehen der amerikanischen Sicht- und Denkweise. Vor allem führen wir keinen Diskurs, wer Recht oder Unrecht hat. Wir hören einander aufmerksam zu und tauschen unsere politischen Gedanken aus. So bleibt das Gespräch immer interessant und wohlwollend.

Von Beruf war Mark Softwarespezialist. Nebenbei ist er seit Jahrzehnten als Schiedsrichter für Fußballspiele tätig. Und es ist erstaunlich, dass er im Alter von 62 Jahren sonntags bis zu sieben Fußballspiele als Schiedsrichter auf dem Rasen pfeift.

Ich spüre seine große Leidenschaft für den Fußball. Und es erstaunt mich sehr, welche Karriere dieser Sport in den letzten 20 Jahren in Südkalifornien genommen hat. Sicherlich dank des Einsatzes von Menschen wie Mark.

Seine Ehefrau Irma muss leider noch ein wenig arbeiten. Sie bekleidet neben ihrer Arbeit in der Klinik ein kirchliches Ehrenamt. Auch ihren persönlichen Einsatz bewundere ich sehr.

Ich komme hier gut zur Ruhe, werde mit leckerem Essen verwöhnt und lasse es ganz langsam angehen.

Der 5. Dezember selber verläuft hier eher ruhig. Irma geht arbeiten, Mark assistiert im Wahllokal, ich bleibe Zuhause und der Fernseher bleibt still. Unruhen bleiben auch nach dem Wahltag aus.

Am 7. November Nachmittags habe ich einen kleinen Spaziergang, entlang des Strandes von Goleta in östliche Richtung gemacht. Ich möchte eine Asphaltsickerstelle nahe dem Ufersaum des Pazifiks am Fuß einer Klippe aufsuchen. Davon gibt es Unzählige entlang der kalifornischen Küste.

Sie entstehen dadurch, dass das Erdöl aus den Lagerstätten an die Erdoberfläche sickert. Dort bildet es Pfützen, aus denen Asphalt wird, wenn die leichteren Fraktionen des Erdöls biologisch abgebaut werden oder verdunsten. Der Asphalt härtet dann normalerweise aus.

Die klebrige, schwarze, nach Teer riechende Substanz überzieht die Felsen um die Austrittstelle herum. Das macht es leicht, solche Stellen entlang des Strandes zu finden.

Mark hat mir ein paar alte Schuhe zur Verfügung gestellt für den Fall, dass ich bei meinem Spaziergang in Teerfladen trete, die an den Strand gespült wurden. Weit brauche ich nicht zu gehen. Nach ca. 1 Meile habe ich mein Ziel erreicht.

Unterwegs finde ich als Hinweise bereits den ein oder anderen schwarzen Brocken.

Ich will wissen, ob es sich wirklich um Asphalt oder nur um einschwarztes Konglomerat handelt und schlage mit einem anderen Stein solange auf das Objekt ein, bis es aufbricht. Im Inneren des Klumpens befinden sich noch Erdölreste, die noch nicht restlos ausgehärtet und klebrig sind. So wie wir es vom Straßenteer kennen.

Ein paar Meter weiter erreiche ich eine schwarz gefärbte Klippe. Irgendwo hier in der Nähe wird die Sickerstelle sein. Vielleicht liegt sie unter der Wasseroberfläche. Auf alle Fälle hier in der Nähe.

Am Fuße der Klippe türmt sich massenhaft schwarzer, zäher, fast ausgehärteter Teer auf und gibt der blasscremegelben Küstenlinie für ein paar Meter ein bizarres Aussehen.

Auch wenn das Meer ständig an der Küste nagt, so schafft es das Wasser nicht, diese Lagerstätte komplett auszuwaschen, da immer wieder Erdöl an die Erdoberfläche durchsickert. Dieser Vorgang hält seit Jahrtausenden an.

Bereits vor Jahrhunderten wusste die einheimische Bevölkerung von den Eigenschaften des Teers. Sie dichteten damit erfolgreich ihre Bootsrümpfe. Diese Technik fiel auch den spanischen Eindrinlingen auf.

Anfangs trieben die Natives Handel mit den Eindringlingen und verkauften ihnen die mit Teer wasserdicht präparierten Boote. Die Technik wurde dann schnell von den Invasoren übernommen.

Baum oberhalb des kleinen Teerhügels

In diesem Bild, wie auch dem nächsten, sind die Fließstruktur des sehr zähen, aber noch nicht restlos verfestigten Teers gut zu erkennen.

Die Sickerstelle vom Rand der Klippe aus betrachtet.

Inmitten der Stadt Los Angeles gibt es im Hancock Park noch heute Teergruben und Asphalthügel. An einer dieser Teergruben wird noch geforscht. Im Laufe der letzten 100 Jahre wurden mehrere Millionen Knochen und Fragmente in diesen Teergruben gefunden.

Die meisten der hier entdeckten Fossilien befinden sich im Museum in den La Brea Tar Pits, im Zentrum der umliegenden Teergruben. Dabei reichen die Entdeckungen von riesigen, ausgestorbenen Mammuts und Faultieren bis hin zu „Mikrofossilien“ oder winzigen Überresten von Pflanzen und Tieren, die Hinweise darauf geben, wie sich alte Ökosysteme und Klimazonen verändert haben.

Ich nehme denselben Weg entlang des Strandes, auf dem ich gekommen bin. Die Bluffs leuchten in der späten Nachmittagssonne warm auf und bilden einen herrlichen Kontrast zu den nachtschwarzen Sickerstellen.

Irgendwo entlang meines Heimweges begegnet mir noch Elvis in einem Vorgarten. Eine gute Zeit später sammelt mich Mark mit dem Auto auf und wir fahren gemeinsam heim. Mein Rücken hat diesen Spaziergang gut überstanden.

Der Fahrradladen hatte mir mittlerweile mitgeteilt, dass die Ersatzteile für meine Alfine-Gangschaltung erst am 11. oder 12. November eintreffen werden. Ich kann frühestens am 13. November weiter fahren. Meine Gastgeber haben mir großzügig erlaubt, bis dahin bei ihnen zu bleiben. Mir fällt ein großer Stein vom Herzen. Es müssen Engel sein, die mich beherbergen.

Leave a reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

2 comments