6. September 2014
Heute morgen sind es nur 1°C. Das Zelt ist noch nass und ich stehe im Waldschatten. Ich bin seit 6.00 Uhr wach.
In den WC Anlagen des Campingplatzes habe ich eine Steckdose entdeckt, wo ich die Möglichkeit habe, mein Smartphone aufzuladen. Da hier reger Verkehr herrscht, mag ich den Ort nicht verlassen. Zu ärgerlich wäre es, wenn mein Smartphone plötzlich verschwunden wäre. Wenigstens ist es warm hier. Von den Geräuschen will ich nicht reden…
Um 7.00 Uhr beginne ich zu packen. An einer kleinen Stelle erreicht die Sonne den Talboden. In diesem Licht stelle ich mein Zelt auf, was den Trocknungsvorgang enorm beschleunigt. Geduscht hatte ich am Abend zuvor in der mehr als 1 km entfernt liegenden Duschanlage.
Um 9.00 Uhr verlasse ich den Campingplatz und halte wenige Meter weiter bei einem Foodstore an. Die Auswahl begeistert mich nicht. Und die Preise entsetzen mich. So verlasse ich unverrichteter Dinge den kleinen Lebensmittelmarkt. Ich bin nicht bereit, von meinem ersparten Geld so viel für so wenig auszugeben.
Und so fällt mir die Entscheidung leicht, den Park zu verlassen. Ich habe noch für zwei weitere Tage gebucht. Diese Buchungen verfallen nun. Das ist immer noch preiswerter, als zwei Tage in Folge im Park zu verbringen und Grundnahrungsmittel zu deutlich überhöhten Preisen zu kaufen.
Die Tage im Park bleiben mir trotz alledem unvergesslich.
Um zehn Uhr radle ich los gen Süden. Und je weiter ich mich vom Park entferne, um so leichter wird mir ums Herz. Ich bin überzeugt, aus einer für mich sehr schwierigen Situation das Beste gemacht zu haben. Und ich bin dankbar, dass mich meine Frau dabei so unterstützt.
So wird mein Abschied aus dem Yellowstone Park zu einem ganz besonderen Erlebnis. Ich bemerke, wie frei ich plötzlich wieder das Radfahren und die Natur genießen kann.
Kilometer um Kilometer geht es voran. Und erst nach einer Weile bemerke ich, dass ich gar nicht gefrühstückt habe. Da kommt es wie ein Geschenk, dass ich bei einem kurzen Fotostopp von einem Autofahrer angesprochen werde.
Er und seine Frau laden mich auf einen Kaffee ein. Sie sind mit dem Wohnmobil unterwegs. Ursprünglich wollten sie eine Fahrradtour machen, aber plötzlich auftretene Knieprobleme vereitelten das Vorhaben. Aus dieser Not heraus haben sie sich kurzfristig entschieden, die Reise stark verkürzt für wenige Wochen mit dem gemieteten Wohnmobil fortzusetzen.
Leider war ich unaufmerksam. Ich hatte ihre Namen vergessen Und bevor ich sie erneut fragen konnte, waren wir alle schon wieder unterwegs, um unsere Träume und Ziele zu verwirklichen.
Vielleicht habe ich Glück und das Ehepaar aus den Niederlanden hinterlässt noch einen Kommentar. Das würde ihnen in meinem Blog Herz und Seele verleihen.
Der Kaffee hat mir gut getan. Ich verspüre keinen Hunger. Stattdessen große Zufriedenheit.
Und so radle ich durch die eindrucksvolle Landschaft.
Zwischen dem Yellowstone Park und meinem nächsten Ziel, dem Grand Teton Nationalpark, liegen nur siebenundzwanzig Meilen. Den größten Teil dieser Strecke fahre ich durch einen verbrannten Wald.
Es ist schon ein paar Jahre her, dass es hier gebrannt hat. Und langsam fängt der Wald an, sich vom Grund auf zu erholen. Die toten Bäume stehen noch. Im Unterholz jedoch zeigt sich üppiges Grün. Trotz alledem wird es Jahrzehnte dauern, bis sich hier ein neuer Wald gebildet hat. Die Vegetationszeiten sind kurz und das jährliche Wachstum spärlich.
An einer kleinen Parkbucht steht winkend ein Ehepaar. Als ich anhalte erkenne ich, dass wir uns bereits bei einer vorherigen Gelegenheit gegenseitig bekannt gemacht haben. Was für eine große Freude.
Rainer und Sylvia laden mich ebenfalls zu einem Kaffee ein. Wie schon zuvor werden aus dem Wohnmobil Klappstühle herausgeholt, aufgebaut und ich darf auf komfortablem Gestühl Platz nehmen.
Während sich Rainer mit mir unterhält, bereitet Silvia einen kleinen Snack und einen leckeren Kaffee zu. So bekomme ich das, was mir gerade fehlt: etwas zum Essen. Und das Wichtigste, wie schon zuvor: wir unterhalten uns. Es geht um die Erfüllung unserer Träume. Schlicht, es dreht sich um das, was wir gerade tun: Reisen und unser Glück finden.
Beide Begegnungen erfüllen mich mit Freude und geben mir einmal mehr das Gefühl, heute Morgen die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Nach knapp einer Stunde lösen wir die Kaffeerunde auf und jeder setzt seine Reise fort.
Mit dem Fahrrad hab ich die Gelegenheit, an Stellen anzuhalten, wo es für den Autofahrer unmöglich ist. Willow Flats im Grand Teton National Park gehört dazu. Zwar gibt es eine offizielle Parkbucht als Aussichtspunkt. Die Sicht von meinem Standort ist jedoch viel schöner und stellt die andere weit in den Schatten.
Man stelle sich die Teton Range und das Tal davor wie zwei Teile eines riesigen Gebirgszuges vor. Die Erdkruste dehnt sich und bricht entlang der 40 Meilen langen Teton-Verwerfung in zwei Blöcke. Brüche erzeugen große Erdbeben entlang der Verwerfung. Der westliche Block klappt nach oben und wird zur Teton Range. Der östliche Block neigt sich nach unten und bildet das Tal.
Während die Berge aufsteigen, schleifen Wind, Wasser und Eis die zerklüftete Skyline ab und erobern Sandstein- und Kalksteinschichten bis auf kleine Felsvorsprünge.
Die Landschaft verändert sich weiter. Geowissenschaftler prognostizieren zukünftige Erdbeben mit einer Stärke von bis zu 7,5.
Die Teton Range besteht aus einigen der ältesten Gesteine der Erde, ist aber eine der jüngsten Gebirgsketten Nordamerikas. Die Dehnung, Rissbildung und Neigung, die die Tetons formen, begann erst vor 9 Millionen Jahren. Im Gegensatz dazu drückten geologische Kräfte die Erdkruste zusammen und schoben die Rockies vor über 70 Millionen Jahren in die Höhe.
Im Vordergrund das flache Tal. Im Hintergrund die Teton Range. Die Bruchzone verläuft entgangen dem Bergfuß von Nord nach Süd …
Während ich von Norden kommend in das flache Valley einfahre, breitet sich seit Stunden hinter dem östlichen Horizont ein Waldbrand aus.
In der späten Abendsonne erreiche ich schließlich Jackson. Einmal mehr genieße ich die warmen Farben der glühenden Landschaft.
Ich komme an einem Kunstwerk vorbei. Es besteht aus vier großen Bögen an den Ecken eines Platzes. Jeder einzelne Bogen besteht aus hunderten von Geweihen.
Geweihbögen sind seit 1960 die Tore zum Jackson Town Square. Die Geweihe stammen von den ca 7.500 Hirschen, die den Winter im National Elk Refuge verbringen. Die Bullen werfen im Frühjahr ihre Geweihe ab. Diese werden von den örtlichen Pfadfindern eingesammelt und jedes Jahr im Mai bei einer öffentlichen Auktion verkauft. Alle vier Bögen wurden vom Jackson Hole Rotary Club gebaut. Also keine Jagdtrophäen …
Aber es wird Zeit, sich nach einem Quartier umzuschauen. Im Ort spreche ich eine ältere Dame an. Die einzige Idee, die sie hat, liegt zwei, drei Meilen außerhalb des Ortes in der Straße Cash Creek. Sie beschreibt den Weg und ich fahre los.
Kurz vor Erreichen des Ortsausganges nehme ich allen Mut zusammen und spreche eine Frau an, die mit ihrem Hund spazieren geht. Dann habe ich ganz großes Glück. Geneva, so lautet ihr Name, läd mich einfach zu sich nachhause ein. Das Haus steht gleich um die Ecke. Und zwei Minuten später kann ich mein Rad an die Hauswand lehnen.
Geneva stellt mich ihrem Ehemann Dave und etwas später ihrem Sohn Bard vor. Dann erlaubt sie mir, mein Zelt in ihrem kleinen Garten aufzuschlagen. Anschließend darf ich ins Haus kommen, kann ein Bad nehmen, meine Schmutzwäsche verschwindet in der Waschmaschine und währenddessen gibt es ein leckeres Abendessen.
Geneva ist selbst mit dem Fahrrad auf Reisen gewesen und weiß, wie schwierig es manchmal ist, ein Quartier zu finden. Und so möchte sie sich auf diese Art und Weise für all die Gastfreundschaft bedanken, die sie anderswo genossen hat. Ich erlebe einen wunderschönen Abend.
Geneva hilft mir anschließend bei der weiteren Planung meiner Tour. Um 22.30 Uhr gehe ich in meinem Zelt schlafen. Mein Glück an diesem Tag kann ich kaum fassen. Voller Dank für diesen wundervollen Tag schließe ich meine Augen und schlafe Augenblicke später ein.
Lieber Jo, was für ein unglaublicher einzigartiger Reiseblog bis San Francisco. Unsere Wege haben sich nur kurz getroffen (das winkende Paar am Straßenrand am 06.09.24), aber Deine Reise, Dein Mut und dass Du Deinen Lebenstraum lebst hat mich in dieser kurzen Begegnung wirklich tief beeindruckt.
Dein Blog wird zunehmend zu meiner „Abendlektüre“, auf die ich immer mit Spannung hinfiebere.
Mein Motto „Das Leben ist zu kurz für mache ich irgendwann“ spiegelt sich in deiner Lebensweise wieder. Was kann es Wundervolleres geben als seinen Lebenstraum zu (er)leben?!
Ich wünsche Dir von Herzen, dass Du noch unglaublich viele weitere wundervolle Menschen triffst; Dir weiter Herzlichkeit begegnet; Du Dir Deine Pausen gönnst, die Du benötigst und Deine Reise trotz der ein oder anderen heiklen Situation immer sicher bleibt.
Hab noch viele einzigartige Kilometer auf Deinem Drahtesel!
Liebe Grüße Silvia
Liebe Sylvia,
was für eine schöne Überraschung, von dir zu hören. Herzlichen Dank für deine wundervollen Worte. Es sind diese kleinen Begegnungen wie die unsrige, die ich so liebe und die den ganz besonderen Reiz meiner Reise ausmachen. Nach einer fast 2-wöchigen Pause hoffe ich nun, nächste Woche meine Reise fortzusetzen und noch viele Reiseberichte verfassen zu können. Da ich mit meinen Berichten ein wenig in Verzug bin, nutze ich die Zeit, um fehlende Berichte nachzuliefern. So bleibt es auch für dich weiterhin spannend …
Liebe Grüße aus Californien
Jo