26. August 2024
Um 7:30 Uhr bin ich auf den Beinen. Draußen sind es 11°C. Das erste Mal spüre ich eine unangenehme Kühle auf meiner Haut. Ich hab keine Zeit, darüber nachzudenken. Das Zelt ist knacktrocken. Uns so sind nach einer halben Stunde alle Dinge verstaut und ich starte vom Lewis & Clark Observation Point
Ich fahre Richtung Loma, das nur wenige Meter nördlich des Zusammenflusses des Teton Rivers in den Marias River liegt. Der Marias River wiederum fließt nur eine Meile weiter in den Missouri. Vom Observation Point habe ich den Panoramablick auf das Einzugsgebiet dieser drei großen Flüsse genossen.
Im Hintergrund sind die Bear’s Paw Mountains im Osten, Square Butte und Round Butte im Südosten, die Highwood Mountains im Süden und die Little Belt Mountains im Südwesten meist als Silhouetten im dunstigen Licht zu sehen. Und jetzt fahre ich hinunter in dieses Flusssystem hinein …
… und erreiche wenige Minuten später den kleinen Ort Loma mit einer aktuellen Einwohnerzahl von neunzig Personen.
Neben der Straße liegt ein kleiner Lebensmittelladen, an dem ich anhalte. Mir ist noch immer nicht warm und ich wünsche mir sehnlichst einen Morgenkaffee. Der Chef des Hauses preist geschäftig seine Küche und ich entscheide mich für einen lecker zubereiteten Burger mit Rührei, Bacon und Käse. Die Dame in der Küche meint es gut mit mir. Und so fallen die Zutaten für den Burger üppig aus.
Als ich bezahlen möchte, streikt meine VISA-Karte. Auch nach dem vierten und fünften Versuch habe ich keinen Erfolg. Bargeld habe ich keines. Da wendet sich ein anderer Kunde im Laden mir zu, fragt woher ich komme, erzählt mir, dass er zwei Jahre in Bamberg gelebt habe, und erwähnt ganz nebenbei, dass er mir das Frühstück spendiert.
In mir macht sich Erleichterung breit. Ich bedanke mich höflich. Er schenkt mir noch ein Lächeln. Dann verlässt er den Dorfladen, steigt in sein Auto und fährt davon.
Der freundliche Manager des Ladens bittet mich um ein Foto und ich möchte es doch bitte im Blog veröffentichen. Diesem Wunsch komme ich nur zu gerne nach.
Dann setze ich meine Reise fort. Ich hatte befürchtet, dass ich die Geländestufe, die mich zuvor ins Tal geführt hatte, auf der anderen Seite des Tales auf steiler Straße überwinden muss. Stattdessen fahre ich einige Meilen am Flussufer des Teton Rivers entlang.
Zwischen der Straße und dem Fluss verläuft noch eine alte, stillgelegte Eisenbahnlinie. Was für eine Möglichkeit, einen Fernradweg daraus zu machen …
Am Zusammenfluss des Teton Rivers in den Marias River
Im Flusstal des Teton Rivers
Kaum sichtbar ist die verkrautete Bahnlinie. Die Schienen liegen noch, aber es fährt schon lange kein Zug mehr. Im Hintergrund der bewaldete Ufersaum des Teton Rivers.
Der Fluss schlängelt sich in großzügigen Schleifen durch das Tal.
Der Talboden wird als landwirtschaftliche Fläche genutzt. Das angrenzende Gelände wird in Teilen als Badlands bezeichnet und ist landwirtschaftlich gesehen für nichts zu gebrauchen.
Dort, wo der Fluss auf die Hügel trifft, haben sich Prallhänge mit steilen Wänden gebildet.
Fast unbemerkt erreiche ich den oberen Rand der Geländestufe und verlasse somit das Flußsystem.
In Big Sandy mache ich an einer Tankstelle halt, um Wasser zu kaufen und um zu sehen, ob die VISA Karte funktioniert. An der Kasse ein Hinweisschild, dass bei Kartenzahlung ein Mindesteinkaufswert von fünf Dollar erreicht werden muss. Das Wasser kostet nur 1,75 Dollar. Und als ich sagen, dass ich nicht mehr brauche, sagt mir Jakob, dass er die Bezahlung übernehmen möchte.
Er möchte sich einen Augenblick mit mir unterhalten. Wir gehen vor die Tür und ich beantworte ihm alle seine Fragen. Es scheint nicht oft zu sein, dass jemand mit einem Fahrrad mit Riemenantrieb vorbeikommt. Er ist ganz fasziniert. Leider muss er das Gespräch schon nach kurzer Zeit beenden, da er zum Arbeiten an der Tankstelle ist. Jakob macht noch ein Foto von mir für seine Erinnerungen. Und dann bin ich auch schon wieder unterwegs.
Am Wegesrand glüht die steife Goldrute unter den silbrig leuchtenden schmalblättrigen Ölweiden.
Und auf vielen Feldern gedeiht weißer Beifuß.
Schließlich erreiche ich Fort Benton. Alexander Culbertson gründete das Fort 1846 als Handelsposten der American Fur Company. Die abgelegene Siedlung florierte in den 1850er Jahren, doch erst im darauffolgenden Jahrzehnt erlebte sie einen wirklichen Aufschwung.
Die Ankunft des Dampfschiffs Chippewa an der Post im Jahr 1859 leitete eine neue Ära des Handels im innersten Hafen der Welt ein. Das Boot transportierte Büffelroben und andere Pelze flussabwärts nach St. Louis. Drei Jahre später war die Ladung viel wertvoller: Gold aus den tosenden Bergbaulagern im Südwesten von Montana.
Auf seinem Höhepunkt im Jahr 1867 legten 39 Dampfschiffe an der Abgabe an und deponierten Vorräte und Passagiere für die Goldfelder. Kneipen, Drehleiern und andere Geschäfte dienten einer kosmopolitischen und durchreisenden Bevölkerung. Auf den Straßen drängten sich Menschen aus ganz Nordamerika, Europa und Asien. Es war wirklich eine weitläufige Stadt.
Im Jahr 1870 war der Boom bereits gescheitert, doch Fort Benton erlebte eine kurze Wiederbelebung, als die Kaufleute der Stadt damit begannen, Vorräte über den berühmten Whoop Up Trail zu den Forts der Royal Canadian Mounted Police nördlich der Grenze zu transportieren. Heute ist Fort Benton aufgrund seiner reichen und farbenfrohen Geschichte am oberen Missouri River ein nationales historisches Wahrzeichen.
Ich folge den auf die Straße gemalten Buffalo-Spuren. Sie bringen mich zu einigen historischen Sehenswürdigkeiten.
Das Lewis and Clark Memorial: Decision at the Maria’s River.
Die Statue Rider of the Purple Sage von George Montgomery.
Und zur einzigen Brücke über den Missouri River weit und breit.
Gegen Mittag verlasse ich Fort Benton und mache mich auf den Weg nach Great Falls, dass ich gegen 17.30 Uhr erreichen werde.
In großzügigen Schleifen windet sich der Missouri River durch das Tal. Am Missouri River Overlook genieße ich die eindrucksvolle Aussicht auf eine dieser Flußschleifen.
Es geht vorbei an trocken gefallenen Wasserstellen …
… an gepflügten Feldern …
… an Stoppelfeldern, die bis zum Horizont reichen.
Manchmal muss ich runter von der Straße, weil wieder ein Fahrzeug mit Überbreite die ganze Straße einnimmt. Die heikelsten Momente sind allerdings jene, in denen LKW’s mit unverminderter Geschwindigkeit in weniger als drei Fuß Abstand an mir vorbeirauschen. Sogwirkung oder auch Gegenwind können so stark sein, das man für einen kurzen Augenblick die Kontrolle über das Fahrrad zu verlieren scheint.
In diesen Augenblicken hilft mir meine langjährige Erfahrung als Fahrradfahrer. Das Motorengeräusch des LKW’s verrät mir, wie nah hinter mir er bereits ist. Diese Sekunden nutze ich, um mit dem Fahrrad weit nach rechts an den Fahrbahnrand zu fahren. In diesen Augenblicken bin ich so konzentriert, das ich alles andere um mich herum vergesse. Selbst visuelle Eindrücke werden dann ausgeblendet. Wenige Sekunden später ist der Spuk vorbei und ich kann in gewohnter Manier weiter fahren.
Zehn Meilen vor Great Falls nehme ich Kontakt zu meinem heutigen Gastgeber auf. Wir vereinbaren einen Treffpunkt, den ich schon in zwei Meilen Entfernung sehen kann: einen hochaufragenen Wassertum an der Straße. Und als ich nach 15 Minuten dort eintreffe, erwartet mich bereits mein Gastgeber, der Jim heißt.
Schnell sind Fahrrad und Packtaschen auf dem Pickup-Truck verstaut. Und keine 10 Minuten später erreichen wir sein Haus. Seine Frau Michelle erscheint und begrüßt mich mit einer herzlichen Umarmung, während Jim meine Ausrüstungsgegenstände in das für mich vorbereitete Gästezimmer bringt.
Ich bin restlos erschöpft, trinke erst einmal drei Glas Wasser und bitte um ein paar Minuten Pause zum Ausruhen. Alles wird gewährt. Sie sorgen sich um mich und geben mir das großartige Gefühl, Teil der Familie zu sein. Jim hatte mir im vorhinein mitgeteilt, dass seine Familie von 18:00 bis 20:00 Uhr Bibelstunde habe. So hatte ich mich beeilt, vor 18 Uhr bei ihm zu sein.
Ich hätte gern an der Bibelstunde teilgenommen, doch da weitere Teilnehmer ausgefallen waren, wurde die Veranstaltung für heute gecancelt – schade … Gemeinsam mit der Tochter Colton und ihrem Ehemann, nehmen wir das Abendessen ein, nachdem Jim zuvor ein Gebet gesprochen und allen und allem Gottes Segen gegeben hat.
Bei einem leckeren Cappuchino folgen anregende Gespräche über meine Reise. Da ich sehr erschöpft bin, mangelt es mir an Konzentration und ich bitte, mich gegen 9 Uhr zurückziehen zu können.
Ich hatte Michelle gefragt, warum sie sich als Gastgeber so unglaublich engagieren. Ihre Antwort ist so verblüffend wie einfach: Sie handeln voll und ganz im christlichen Sinne. Ihr Haus soll Shelter sein. Nicht nur für sie, sondern auch für jene, die eines vorübergehenden Schutzes bedürfen. Ihr Haus ist Gottes Haus.
Und so haben sie im Laufe vieler Jahre unzähligen Schutzsuchenden einen sicheren Schlafplatz geboten, sie beköstigt und geholfen, wann immer es nötig war. Und das Erste, was sie mir anbieten, ist angesichts meiner sichtbaren Erschöpfung eine zweite Nacht in ihrem Haus. Ich bin erleichtert, froh und dankbar, hier zu sein …
Vielen Dank für Eure Begleitung bis hierhin. Und vielen Dank für Eure Kaffees und Zuwendungen für einen – wie heute bei einer Donation vermerkt – „rasenden Rentner“.
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