24. + 25. September 2024
Um 4.30 Uhr steh ich auf. Alles liegt bereit. Teri Ann hat mir ihren kleinen Wanderucksack mit Trinkblase gegeben. Ich hatte den Rucksack gestern Abend bereits gepackt. Die Trinkblase ist gefüllt und ich habe weitere Flaschen Wasser eingepackt, insgesamt ca. 5 Liter.
Im Haus ist es still. Ich schleiche mich leise hinaus. Mit dem Auto geht es auf der Route 191 nach Süden bis Monticello. Dort biege ich auf die Route 211 nach Westen ab und gelange nach weiteren ca 24 Meilen noch vor Tagesanbruch zum Needles Campground.
Die Sonne steigt gerade hinter dem Horizont empor und taucht die Landschaft in ein dunkles Rot unter einem für kurze Zeit gelborange leuchtenden Himmel. In der Ferne grüßt ein Monolith. Ich kann nur ahnen, was ich in der Dunkelheit der letzen Stunde verpasst habe.
Gegen 7.20 Uhr laufe ich los. Ich weiß nicht, was mich erwartet. Um so gespannter bin ich, was kommt.
Während die Ebenen noch im verschlafenen Glanz des hereinbrechenden Tages liegen, fangen die mächtigen Felsformationen bereits die ersten Sonnenstrahlen ein und wirken wie riesige Leuchttürme am Horizont. Ein kurzes, intensives, großartiges Schauspiel.
Die Luft ist kühl am Morgen. Und so genieße ich die ersten Stunden bei 12 – 17°C, Tendenz steigend.
Am Anfang geht es durch sandiges, im Wesentlichen flaches Gelände, das mit einer strauchartigen Vegetation aufwartet. Aber schon bald geht es über Stock und Stein. Große Felsbrocken versperren mir den Weg. Ich folge den Fußspuren durch dieses Labyrinth …
… und trete auf der anderen Seite des Felsriegels in ein weites, großes Tal mit niedrigem Bewuchs und vereinzelten höher aufragenden Büschen. Hell liegt die Fläche vor mir im Morgenlicht. Ein ausgetretener, gut sichtbarer Pfad lässt mich sicher voranschreiten.
Der Weg führt im Abstand an unterschiedlichsten Felssformationen vorbei. Roter Sandstein bedeckt von cremeweißem Sandstein. Was für ein Kontrast an diesem Morgen.
Besonders in den felsigen Abschnitten, wo es keine Trittspuren gibt, wird es heikel. In solchen Bereichen helfen kleine Steinmännchen, in der Spur zu bleiben.
Da ich einige Höhen erklimmen muss, verliere ich kurzfristig die Übersicht um muss mich, auf dem Gipfel angekommen, neu orientieren. Die Suche nach der Weiterführung des Trails gestaltet sich dabei nicht immer leicht.
Dort, wo Steinmännchen den Weg markieren, ist es leicht. Aber es gibt auch Abschnitte, in denen man vergeblich nach Steinmännchen sucht. Hier braucht es schon einige Erfahrung, um auf dem richtigen Weg zu bleiben.
Einige helfen sich mit heruntergeladenen Wanderkarten auf ihrem Smartphone. Ich begebe mich auf die Suche nach dem richtigen Weg. Mitunter dauert es Minuten, bis ich die Fortführung des Weges gefunden habe. Freue mich aber jedesmal über meinen Spürsinn.
Auch wenn das Gebiet, in dem ich heute wandere, nicht wirklich groß ist, es sind nur wenige Quadratkilometer, kann man sich sehr schnell und gründlich verlaufen.
Die umgebenden Felsen und Felsmauern müssen als Landmark herhalten. Und da ich mich in diesem Terrain ständig bewege und meinen Standort verändere, ist mir der jeweilige Sonnenstand das wichtigste Hilfsmittel, um die Himmelsrichtungen, in die ich mich bewege, mit dem jeweiligen Gelände abzugleichen.
Immer wieder bleibe ich stehen, um die faszinierenden Landschaftseindrücke aufzunehmen. Hinter jeder Kurve gibt es etwas Neues zu sehen.
All das führt immer wieder zu Verzögerungen. Und so kommt es, dass ich pro Stunde nur zwischen zweieinhalb und drei Wanderkilometer schaffe. Und das, obwohl ich recht zügig voranschreite.
Die Entfernungen verschwimmen in diesem Gelände. Für manches kurze Wegstück braucht es schlicht und einfach viel Zeit. Ich bin nicht allein und treffe vereinzelt auf Wanderer.
Die meisten sind gut ausgestattet und doch wundere ich mich, dass es auch immer wieder Leute gibt, die mit nichts losziehen. Ein junges Pärchen überholt mich. Und ich kann bei ihnen keine Wasservorräte entdecken.
Eine weitere Schwierigkeit auf dem Weg ist, dass es nur wenige Möglichkeiten gibt, sich vor der sengenden Sonne zu schützen
So geht es weiter: Strecken über felsige Kuppen …
… hunderte Meter an überhängenden Felswänden entlang …
… und um so manchen Felsendom herum.
Mit all diesen Schwierigkeiten bin ich unterwegs. Mein Rucksack ist voll: Wanderkarte, Lunchpaket, fast 6 Liter Wasser, Kompass, Stirnlampe, eine wärmende Schutzjacke, falls ich in die Nacht komme. Alles ist dabei und ich fühle mich wohl und sicher.
Gelegentlich gibt mein Standort die Sicht frei auf Felsstrukturen in größerer Entfernung: Mauern, Türme, Zinnen. Wie auch immer, allesamt Wunderwerke der Natur. Sie lassen mich staunen.
Aber auch die kleinen Besonderheiten haben ihren Reiz. Ob verwitterte Mulden auf den Oberflächen der weichen, ausgedehnten Felsbrocken …
… oder über aufgeblätterte Gesteinsschichten, die mir in diesem Gelände sicheren Halt bieten. All das lässt mich immer wieder staunen.
Ob ein Weg, der durch lebende, biochemisch beeinflusste, verkrustete Strukturen führt …
… Bäume, die auf karger Kruste wachsen …
… Bäume und Sträucher, die im tiefen Sand ausreichend Feuchte finden, um zu überleben:
Ich bin erstaunt über die biologische Vielfalt.
Gelegentlich muss ich mich durch enge Passagen zwängen, bevor ich Neues entdecken kann.
Dann steige ich zwischen den Felsen auf. Teilweise über verblocktes Gelände. Und die Mühe wird belohnt mit fantastischen Aussichten auf unzählige, farblich abgestufte Felsnadeln.
Sie sind die Namensgeber für die großräumige Gliederung dieses Wandergebietes. The Needles ist der südliche Teil des Canyonlands. Und innerhalb dieses Areals wandere ich durch den vielleicht schönsten Teil, den Chesler Park.
Hinter jedem Fels warten weitere Überraschungen auf mich. Und ich bin hungrig. So suche ich mir eine kleine schattige Oase, an der ich kurz raste und etwas esse und trinke.
Nach der kleinen Pause wandere ich weiter. Vorbei an Felstürmen und immer wieder durch kleine Engstellen zwischen den Türmen.
Immer wieder halte ich an, um mir die Gegend genau anzuschauen. Wo komme ich her? Wo will ich hin?
Die Steinmännchen helfen, sind aber nicht überall vorhanden.
Der verkrustete Boden ist unberührt. Hier führt kein Weg lang.
Diese Felsskulpturen habe ich zuvor noch nicht gesehen …
Und obwohl keine Felsspitze der anderen gleicht, ist es schwierig, die Übersicht zu behalten.
Und auch dieser Struktur begegne ich auf meiner Wanderung das erste Mal.
Dieser Weg könnte weiterführen. Gewissheit habe ich erst, wenn ich oben angekommen bin.
Und oben stelle ich dann fest, das ich den falschen Weg genommen habe. Also wieder zurück zur letzten Stelle, die ich eindeutig identifizieren kann.
Immer wieder recken sich Felsnadeln in den blauen Himmel.
So arbeite ich mich durch das Gelände. Steige über winzige Terassen, die das Gestein gebildet hat, an anderer Stelle auf. Solange, bis ich den Weg gefunden habe und weitergehen kann.
Immer wieder versperren löchrige Felsbrocken den Weg.
Und immer wieder steige ich über Felsstufen auf und ab.
Es sind diese ständigen Wechsel, die neben der grandiosen Landschaft für den Reiz auf dieser Wanderung sorgen.
Und so habe ich auch noch Zeit, diese Landschaft in vollen Zügen zu genießen.
Bei alledem habe ich ein gutes Gefühl. Der Rückweg ist mir sicher.
Und doch gibt es einen Punkt, wo ich entscheide, umzukehren, nachdem ich 45 Minuten die Fortführung des Weges gesucht, aber nicht gefunden habe. Mittlerweile ist es 13.00 Uhr. Und erst gegen 17.30 Uhr werde ich am Startpunkt zurück sein.
Noch einmal ziehe ich durch diese Landschaft. Und wieder zeigt sie sich von ihrer schönsten Seite. Hatte ich am Anfang des Tages das etwas kühlere Morgenlicht, so ist es jetzt die Nachmittagssonne, die den leuchtenden Felsen ihr warmes Rot verleiht.
Die letzten Kilometer werde ich immer langsamer. Vom stetigen Auf und Ab tut mir die Beinmuskulatur weh. Die Knie fangen an zu schmerzen. Und so verändert sich langsam mein Gang. Besonders in den steileren Passagen, wo ein wenig Klettern angesagt ist, macht sich etwas Unsicherheit breit. Es ist wohl meinem Alter geschuldet.
So verlangsame ich meinen Gang und wähle in den schwierigen Abschnitten sorgfältig jeden Schritt. Der Leihrucksack drückt mir zusätzlich auf den Steiß. Um 17.30 Uhr bin ich wieder zurück am Parkplatz, nach 20 km Wandern und 5,8 l Wasseraufnahme (welches 1:1 durch meine Poren wieder meinen Körper verließ).
Nach einer kleinen Verschnaufpause setze ich mich hinter das Steuer und trete die Heimfahrt an. In der späten Nachmittagssonne leuchten die hohen Felswände auf. Ein letztes Foto. Dann ist der Akku leer. Und so nehme ich die Eindrücke der Großstrukturen entlang der Route 211 in mich auf, damit ich zumindest davon berichten kann, wenn ich wieder daheim bin.
Eine letzte Bemerkung zur Vegetation. Für mich ist die Pflanzenfülle und Vielfalt in diesen ariden Gebieten erstaunlich. Neben blühenden Myrtenastern habe ich auf meiner Wanderung noch die Knollige Seidenpflanze, die gelbblühende Zackenblume, Yukkas, oder auch den Ephedra Viridis Strauch, der unten holzig ist und oben viele dichte Büschel aufrecht stehender, hellgrüner Zweige hat, die mit der Zeit etwas gelb werden können, identifizieren können.
Ferner die Gambel-Eiche, ein sommergrüner, kleiner Baum oder großer Strauch, der in den Vorgebirgen und niedrigeren Bergen im Westen Nordamerikas weit verbreitet ist. Er wird regional auch Busch-Eiche , Eichenbusch und Weißeiche genannt.
Die Graue Flügelmelde und die Wyoming Indian Paintbrush, die Staatsblume von Wyoming. Und natürlich darf in dieser Landschaft das Sagebrush-Gestrüpp nicht fehlen, ein Salbeibusch.
Und dieses ist nur ein kleiner Ausschnitt. Vor vielen Pflanzen stehe ich mit großen Augen bewundere ihr Dasein und ihre Ausdauer in diesem Habitat ohne zu wissen, was da wächst. Ich bräuchte viel mehr Zeit, um meine Neugierde zu befiedigen und zu verstehen. So aber bleibt nur das große Staunen.
Das dieser Tag gelingen konnte,habe ich auch meiner Gastgeberin Teri Ann zu verdanken. Sie hatte die Idee. Sie hat mich mit allem Notwendigen ausgestattet. Es war ihre Großzügigkeit, die es mir ermöglichte, in diesem Teil des Canyonland National Parks zu fahren, 85 Meilen von meinem augenblicklichen Standort entfernt.
Für die Inspirationen und die fortwährende Unterstützung während meines Zwangsaufenthaltes in Moab möchte ich mich an dieser Stelle herzlichst bedanken. Teri Ann, ich hatte eine wunderbare Zeit mit Dir. Durch dein großartiges Engagement erfüllten sich in den vergangenen Tagen ein paar langgehegte Träume.
25. September 2024
Letzter Ruhetag in Moab
Heute ist mein letzter Tag in Moab. Ich habe tagsüber an meinem Blog gearbeitet, Lebensmittel für die nächsten ein bis zwei Tage eingekauft, überlegt, wohin die Weiterreise mich führen soll und am Abend mein Fahrrad abgeholt.
Nun freue ich mich auf neue Abenteuer … Und für all die Coffees, die ihr mir in den letzten Monaten spendiert habt, möchte ich mich an dieser Stelle auch bei euch allen bedanken. Jedesmal, wenn die Nachricht über eine Kaffeespende mich erreicht, strahle ich vor Freude über das ganze Gesicht. Ihr seid einfach großartig.
Und dass ihr mich auf meiner Reise begleitet, spornt mich an, weiter von meinen Erlebnissen zu berichten.
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